Dienstag, 23. April 2019

„Geburt des Morgens“ - Österliche Natur bei Andreas Knapp

In der Natur zeigen sich gerade im Frühjahr Andeutungen und Zeichen dessen, was wir als Christen unter Auferstehung und neuem Leben verstehen1 – kein Wunder, dass Ostern in der Blüte des Jahres gefeiert wird.

In seinem Gedichtband „Beim Anblick eines Grashalms“ hat Andreas Knapp „Naturgedichte“ versammelt, die oftmals mehr oder weniger deutlich eine spirituelle Lesart enthalten.
So auch hier2:

Geburt des Morgens
Neue Farben in der Stadt.
Neukölln, Berlin, 2019.

der letzte Stern
gibt der Amsel den Einsatz

im Crescendo des Lichts
wächst die Erwartung des neuen Tages
der erste Sonnenstrahl
bricht sich in den Nachttränen

tausendfaches Aufblitzen im Tau
als habe sich der Sternenhimmel

in den Grashalmen verfangen
alle Farben werden neu erfunden

ein Atemzug Ahnung
vom ersten Schöpfungstag


Was mich sofort anspricht: das Bild der neu erfundenen Farben.

So verstehe ich Auferstehung sofort:
Neues Leben bedeutet neue Farben.
Das sind zunächst einmal Negierungen: Nicht matt, nicht altbekannt, nicht verblasst, nicht schwarz-weiß, nicht althergebracht, nicht rosig, nicht von früher übernommen, nicht grau, nicht wiederholt.
Sondern: neu.

Alles wird neu, denn Auferstehung ist eine Neuschöpfung. Daran erinnern die letzten Zeilen: Ahnung der Frische des Urzustands.
Was wir bisher gesehen haben, ist nicht vergleichbar mit dem Neuen. Unsere Kategorien greifen nicht mehr, die Augen können nicht fassen, was Auferstehung von Gott her meint, nämlich das gänzlich Neue für uns: neue Farben, ein neuer Morgen, neue Schöpfung, neue Lebendigkeit.



1   Siehe dagegen aber auch: Die Auferstehung ist kein Schmetterling.
2   A. Knapp, Beim Anblick eines Grashalms. Naturgedichte. Würzburg 2017, 78.