Weizen und Unkraut wachsen gemeinsam
empor; wenn die Felder gepflegt werden, kommt nicht nur das Gute,
sondern auch das Schlechte aus der Erde heraus. "Lasst beides
wachsen bis zur Ernte" (Mt 13,30) befiehlt der Bauer im
Evangelium des heutigen Sonntags (Mt 13,24-30) seinen Arbeitern. Denn
zur Zeit der Ernte wird beides seinen Platz finden – in der Scheune
oder im Feuer.
Im großen Gedenkjahr 2014 wird
vielerorts gefragt, was das Erbe des Deutschen Kaiserreiches war,
durch das der Erste Weltkrieg vor hundert Jahren maßgeblich
verschuldet wurde und in dessen Folge es letztlich unterging. Welche
Mentalitäten wirkten weiter, welche Strukturen schwächten die
Weimarer Republik, welche Kontinuitäten lassen sich ins "Dritte
Reich" verfolgen?
Blattwerden, Wald bei Birkenwerder, 2014. |
Es findet sich viel Unkraut: der Hass
der alten Eliten auf die neue republikanische Ordnung von Weimar, der
Dünkel und die bleibende Macht der hohen Militärs, der
Obrigkeitswahn, der Antisemitismus, die rassistisch motivierte
Kriegsführung "im Osten", die sich im Zweiten Weltkrieg
wiederholt und ausweitet und vieles mehr.1
Aber es gab auch Weizen: woher sonst
hätten ein Walther Rathenau, ein Gustav Stresemann und nicht zuletzt
all die Widerständler aus allen Gesellschaftsschichten kommen
sollen? Fast alle sind im Kaiserreich geboren und haben aus
unterschiedlichsten Motiven gegen das Hitler-Regime gekämpft. "Ein
tiefer Glaube an Gott und sein Walten gab vielen Widerständlern
Rückhalt und Rechtfertigung. Alle hatten ein durchdringendes
Verantwortungsgefühl – ein Pflichtgefühl aus Tradition, im
Dienste der Humanität, überzeugt von den Geboten der
Menschlichkeit."2
Wenige haben den Nationalsozialismus überlebt, v.a. im Gefolge des
missglückten Attentates vom 20. Juli 1944 wurden Unzählige
ermordet.
Mir geht es an dieser Stelle nicht um
Hergänge von Taten oder tiefere Motive der Handelnden, sondern um
eine Besinnung auf das Erbe des Widerstandes gegen den
Nationalsozialismus. Im Bild: welche Ernte bleibt, was haben die
Toten uns zu sagen? Vor allem: was gibt uns Heutigen noch Anstoß, wenn
wir auf die Widerständler schauen?
Angesichts einer seit 65 Jahren
funktionierenden parlamentarischen Demokratie sind das Streben nach
dem Ende von Willkürherrschaft, der Wunsch nach Rechtssicherheit und
Menschlichkeit sicher deutliche Anstöße, die auch eine
Verwirklichung gefunden haben (seien wir nun in ihrer heutigen
Ausprägung damit zufrieden oder nicht).
Europa in Deutschland, Reichstagsgebäude, Berlin, 2014. |
Fraglich ist aber, welche Ernte uns denn hinterlassen werden sollte, da die verschiedenen Widerstandsgruppen, je nach
Herkommen und Ausrichtung, sehr differierende Ansichten über ihre
Ziele für die Zeit nach dem "Tausendjährigen Reich"
hatten. Bei allen Ambivalenzen, was die Motive und Wünsche der
Männer und Frauen besonders des bürgerlichen und militärischen
Widerstandes angeht, bei allen Anfragen an ihre Sprache und trotz der
Zeitgebundenheit vieler politischer Ansichten können einige
Anregungen immer noch zum Nachdenken bringen. Doch das Pathos und der
betonte Konservatismus vieler Aussagen bleiben uns zumeist sehr
fremd.
Ein Ausschnitt aus dem Schwur Claus
Schenk Graf von Stauffenbergs von Anfang Juli 1944 spiegelt diese
Fremdheit und diese Ambivalenzen wider: "Wir wollen eine Neue
Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen
Recht und Gerechtigkeit verbürgt, verachten aber die Gleichheitslüge
und beugen uns vor den naturgegebenen Rängen. Wir wollen ein Volk,
das in der Erde der Heimat verwurzelt den natürlichen Mächten nahe
bleibt, das im Wirken in den eigenen Lebenskreisen sein Glück und
sein Genüge findet und in freiem Stolze die niederen Triebe des
Neides und der Missgunst überwindet."3
Da mischen sich Mystifizierung des
Volkes, freiheitlicher Aufbruch, Stefan-George-Denken, tiefe
Humanität und vieles mehr ineinander – Stauffenberg bleibt "ein
schwieriger Held".4
Was m.E. trotzdem als aufregendes Erbe
von ihm und anderen Männern und Frauen des Widerstands für die
unsere Gesellschaft bleibt:
1) Die Orientierung am Gewissen
Trotz Indoktrination und
Propagandawirbel eine eigene Orientierung behalten, die mehr als das
eigene Fortkommen und den behaupteten Vorrang des eigenen Volkes
kennt, das war eine enorme Leistung in der damaligen Zeit. Es
beinhaltet auch die Leistung, sich als Individuum in einer Zeit des
Massenwahns gegen diesen Wahn und gegen viele Formen der Gemeinschaft
stellen zu müssen. Dahinter steht die "Frage nach der
ethischen Substanz ... Wo kam denn dieser Stachel des 'Anstands', den
andere damals so nicht in sich fühlten, und wo kam der Mut zum
Handeln her? Ich selber glaube, es gibt eben in manchen Menschn eine
innere Stimme, die es ihnen schwerer macht, Unrecht gefahrlos zu
ertragen als in den Gefahren des Widerstandes gegen das Unrecht zu
kämpfen."5
So befindet Klaus von Dohnanyi, Sohn des Widerständlers Hans von Dohnanyi.
Grab im Grün-Gelb, Johannisfriedhof, Jena, 2014. |
2) Die Frage nach dem Einsatz von
Gewalt als letztes Mittel
Das eben Zitierte gilt
selbstverständlich gerade vor dem Hintergrund der Unsicherheit über
die Rechtmäßigkeit des eigenen Tuns. Dies illustriert die von
damaligen Theologen ausgetragene Kontroverse über die Frage nach der
Möglichkeit des Tyrannenmordes – eine Kontroverse, die zeigt, dass
auch maßgebliche christliche Denker sich uneins waren, wie mit dem
Terror umzugehen sei. Für Dietrich Bonhoeffer bedeutete diese Frage
ein enormes Ringen, das S. Dramm so zusammenfasst: "Es ist
eine Frage, die nur angesichts einer konkreten, ausweglosen Situation
gestellt werden kann. Jeder Mensch hat für sich allein und vor Gott
seine Entscheidung zu verantworten. Ein Ja kann gerade aus
Verantwortung notwendig sein, aber es bleibt Durchbrechung des
Tötungsverbotes. Aus dem Ja im Grenzfall darf nicht erneut ein
Prinzip der Gewaltanwendung, darf keine generelle Maxime des Handelns
werden."6
Angesichts der brutalen Brüche des
Völkerrechts in verschiedensten Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten
stellt sich auch uns diese Frage ganz konkret.
3) Die Bereitschaft, etwas für die
eigenen Ideale zu opfern
Aus der vorigen Fragestellung folgt
wiederum die Tatsache, dass man trotz eines Guten, das möglicherweise
durch das eigene Handeln entsteht, auf anderer Ebene doch schuldig
wird. Persönliche Schuld als mögliche Folge des eigenen Handelns
auf sich zu nehmen, in der Überzeugung, dass es grundsätzlich
richtiger ist, zu handeln als nicht zu handeln – das ist ein
starkes Stück und prägte auch Bonhoeffers Gedanken.
Über die Bereitschaft zur Übernahme
von Schuld um eines höheren Gutes willen hinaus gehört aber auch
das, "was den Kern des Widerstandes ausmachte",
nämlich die "Bereitschaft,
das eigene Leben zur Beendigung des Schreckens in Europa
einzusetzen".7
Das Selbstopfer des eigenen Lebens zu riskieren, ohne es als
"Selbstmordattentäter" wegzuwerfen, steht ebenfalls als
große Ambivalenz in der Religionsgeschichte, in der gut
unterschieden werden muss zwischen dem Jesus aus Nazareth, der
freiwillig ans Kreuz ging, den frühchristlichen Martyrern der
römischen Kaiserzeit und den mulimischen Gotteskriegern unserer Tage.8
4) Die Einsicht in die Grenzen
menschlicher Gesetzgebung
Waren die Möglichkeit der Auflehnung
gegen die "Volksgemeinschaft" und die Frage des
Tyrannenmordes zuerst in zivilen Dimensionen beheimatete
Problemstellungen, so war die Bindung der Wehrmachtsangehörigen
durch den Eid auf den "Führer des Deutschen Reiches und
Volkes"9
noch enger. Nicht nur das Töten des Oberbefehlshabers der
Wehrmacht, sondern der Bruch ihres einmal geleisteten Eides waren für
viele Wehrmachtsangehörige jenseits des Denkmöglichen.
Wenn Eidesleistung und Gesetzgebung
aber zur massenhaften Entrechtung und Entmenschlichung bestimmter
gesellschaftlicher Gruppen, zu brutalster Gewaltanwendung und zum
Bruch elementarster menschlicher Normen führen, dann finden Eid und
Gesetz eine Grenze, nach christlicher Ansicht am Wort Gottes: "Genau
diese Grenze wurde von den Nationalsozialisten überschritten. Axel
von dem Bussche hat unmittelbar nach dem Krieg treffend darauf
hingewiesen, dass eines der maßgeblichen Motive für die Tat vom 20.
Juli 1944 gewesen sei, der um sich greifenden Unmenschlichkeit
Einhalt zu gebieten."10
Diese juridisch-moralische
Unterscheidung zwischen dem Weizen und dem Unkraut, dem "rechten
Recht" und dem Unrecht gewordenen Rechtssatz war lebenswichtig
für die Widerständler, denn "der Schein der Legalität
verdeckte die Wirklichkeit des um sich greifenden Unrechts",11
jedenfalls für den Großteil der Bevölkerung.
Ausgebrannter Bus, Prenzlauer Berg, Berlin, 2014. |
Dem individuellen Gewissen folgend in
moralische Dilemmata von Gewalt und Schuld hineinzugehen und sogar
sich selbst in Gefahr bringen, diese Extreme liegen uns im
mitteleuropäischen Alltag sicher selten so krass zur Entscheidung
vor. Wie viel leichter fällt es uns, Gesetze zu hinterfragen – die
Orientierung jenseits eines gesellschaftlichen Mainstreams bleibt
allerdings oft vage. Indivduelle Gewissensbildung erscheint mir eher
als ein Randthema.
Und dann gar die Frage, was uns unsere
liberalen und demokratischen Selbstverständlichkeiten denn wert
seien, was wir für sie zu opfern bereit wären...
Die Nazis wollten den Weizen verbrennen und ihr Unkraut übrig lassen. Trotz ihres ausufernden Mordens ist das nicht gelungen. Ich glaube, das Erbe des Widerstandes
gegen den Nationalsozialismus ist eine reiche Ernte, die freilich
selbst gut durchsiebt werden muss, damit wir dann daran gehen können,
kleine Brötchen daraus zu backen.
1 Vgl.
V. Ullrich, Die nervöse Großmacht 1871-1918. Aufstieg und
Untergang des Deutschen Kaiserreichs. Erweiterte Neuausgabe
Frankfurt a.M. 2013, 584-592.
2 F.
Stern, Ansprache am 20. Juli 2010 im Ehrenhof der Gedenkstätte
Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße, Berlin. München
2011, 6.
3 Zit.
nach: U. Schlie, „Es lebe das heilige Deutschland“ - ein Tag im
Leben des Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Ein biographisches
Porträt. Freiburg i.Br. 2009, 144f.
4 Ebd.,
146. Dort finden sich 146ff auch ausführliche Stellungnahmen zu den
Nachkriegsdiskursen und -berwertungen von den verschiedensten Seiten
und mit verschiedensten Stoßrichtungen ihrer Kritik. Viele
ehemalige Militärs und liberale Demokraten mochten den Widerstand
der Stauffenberg-Gruppe schließlich aus fast entgegengesetzten
Gründen nicht!
5 K.
v. Dohnanyi, Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Aufstand des
Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime
1933 bis 1945" in der Paulskirche zu Frankfurt am Main, 25.
Januar 1998. In: T. Vogel, (Hg.), Aufstand des Gewissens.
Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945.
Begleitband zur Wanderausstellung des Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes. 6. Aufl. Hamburg, Berlin, Bonn 2001, 379-392, hier:
385.
6 S.
Dramm, V-Mann Gottes und der Abwehr? Dietrich Bonhoeffer und der
Widerstand. Gütersloh 2005, 211. zit.n.:
http://www.ekd.de/medien/film/bonhoeffer/buchtipps_v_mann_gottes_dramm.html
7 K.
v. Dohnanyi, a.a.O., 392.
8 Vgl.
dazu sehr instruktiv und differenziert: K. Mertes, Sein Leben
hingeben. Suizid, Martyrium und der Tod Jesu. Würzburg 2010.
[Ignatianische Impulse 46]
9 So
die Formulierung vom 02.08.1934
(http://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BChrereid).
10 U.
Schlie, a.a.O., 134.