Zur Zeit brodelt es wieder in den
ökumenischen Gesprächen. Vor allem die Evangelische Kirche
Deutschland scheint sich bei ihrer Standortbestimmung in Vorbereitung
auf das große Gedenkjahr 2017 eher zu rekonfessionalisieren. Scharfe
Reaktionen auf das aktuelle Dokument evangelischer
Selbstvergewisserung ließen nicht lange auf sich warten, der
Ökumeniker W. Thönissen beispielsweise sieht auf dieser Grundlage
keine Möglichkeiten für gemeinsam verantwortete Feierlichkeiten.
Kirche, Altbau, Taizé, 2014. |
Gerade da bietet es sich möglicherweise
an, auf einen großen ökumenisch Bewegten hinzuweisen. Anschließend
an meine Gedanken zu einem "Papst für alle", die sich auf die Äußerungen der Päpste Johannes Paul II. und
Franziskus und auf theologisch-historische Untersuchungen der Gruppe
von Farfa Sabina bezogen haben, möchte ich einige lose gesammelte
Gedanken von Frère Roger (Gründer der Communauté de Taizé) zu
diesem Thema beifügen.
Wie für seinen ersten päpstlichen
Gesprächspartner Johannes XXIII. geht es auch ihm nicht darum,
historisches Recht oder Unrecht aufzuarbeiten, sondern mit Blick auf
die Zukunft ins Gespräch zu kommen. So kam es zu diversen Treffen
mit den jeweils amtierenden Päpsten, mit Johannes XXIII., mit Paul
VI. und mit Johannes Paul II., auf dessen Beerdigung er schließlich
auch anwesend war.
Von den persönlichen Begegnungen lebte
das Engagement Frère Rogers – 1971 notiert er in seinem Tagebuch
Splitter aus Gesprächen mit Paul VI., der den Wegcharakter, die
Haltung der Vorläufigkeit betont hatte. Frère Roger kommentiert:
"Ja, wir sind Pilger, arm an Mitteln."1
Diese Einsicht kann ein tragendes
Element für das ökumenische Gespräch darstellen: Wir haben weder
Lösungen noch Auswege in der Hand, sind vielmehr mittellos und
unbehaust unterwegs – aber wir bleiben unterwegs, trotz der
Schwachheit unserer Möglichkeiten, trotzdem noch immer kein
gemeinsames Heim für alle Christen gefunden ist. "Der Papst
sagt zum Schluss: 'Auch ich bin ein Armer.'"2
Bänke im Bau, Taizé, 2014. |
Wie sehr das an den jetzigen Papst
Franziskus erinnert! Aber diese Form der Armut nicht zu scheuen
erfordert Kraft. Viel leichter wäre es doch, sich zurückzuziehen,
"um von hoher puritanischer Warte aus unumstößliche Urteile
zu fällen."3
So kann man, wie es leider nur zu oft geschieht, die Fehler der
Anderen gut erkennen und muss nicht die eigene Armut (biblisch: den
Balken im Auge) in den Blick nehmen. Doch "sobald sich ein
Mensch distanzert und von außen urteilt, büßt er seine kreativen
Kräfte ein und verliert etwas von seiner Menschlichkeit. Wer aber
versucht, Christus zu folgen, muss wesentlich menschlich sein."4
Ökumenische Initiative erscheint dann
als ein aus der kirchlichen Gemeinschaft erwachsender kreativer Mut,
der die menschliche Schwachheit auch der kirchlichen Institutionen
nicht verkennt, sondern sich wegfertig in den Dienst des
allökumenischen Geistes Gottes stellt. Nicht systematisch, nicht
fertig, nicht zu sehr sich in Wissen wiegend - nur kleine Dinge
können wir erkennen, "gerade genug, um weiterzukommen."5
Konkret fasst Frère Roger das Ziel
ökumenischen Bemühens wie folgt zusammen:
"Wenn die Christen eine
sichtbare Einheit suchen, liegt darin kein Ziel an sich; es geht
nicht darum, dass wir uns zusammen wohler fühlen oder geeint stärker
sind. Es geht um die Wahrhaftigkeit in den Augen der Menschen, um für
alle Menschen ein Ort der Gemeinschaft zu sein, an dem sich auch der
Nichtgläubige angenommen weiß und auf niemanden irgendein Zwang
ausgeübt wird."6
Diese sehnsüchtige "Suche nach
Gemeinschaft mit allen", wie der Untertitel es benennt, brennt
ihm im Herzen.
Blumen am Haus, Ameugny, bei Taizé, 2014. |
Das Papstamt sieht er aus dieser
Perspektive der Sehnsucht nach immer größerer Gemeinschaft und
Brüderlichkeit: "Wenn jede Ortsgemeinde einen Hirten
braucht, um die Gemeinschaft unter denen zu fördern, die stets dazu
neigen, ihre eigenen Wege zu gehen, wie können wir auf eine
sichtbare Gemeinschaft aller Christen auf der Erde hoffen, wenn es
keinen Hirten für alle gibt? Nicht an der Spitze einer Pyramide,
nicht als Haupt (das Haupt der Kirche ist Christus), sondern in der
Mitte."7
Diesen Fragen nach der einen
Autorität an der Spitze der einen Kirche hat sich vor einigen
Jahren auch die Gemeinsame Internationale Kommission von Orthodoxer
und Römisch-Katholischer Kirche gestellt und besonders über das
Verhältnis von Konziliarität / Synodalität und Primat / Autorität,
also gemeinschaftlicher und alleiniger Leitungskompetenz in der
Leitung der gesamten Kirche nachgedacht.
Herausgekommen ist das so genannte
Dokument von Ravenna (2007), in dem es zusammenfassend ganz ähnlich
den Gedanken Frère Rogers u.a. heißt: "Primat und
Konziliarität sind wechselseitig voneinander abhängig. Deshalb muss
der Primat auf den verschiedenen Ebenen des Lebens der Kirche, lokal,
regional und universal, immer im Kontext der Konziliarität
betrachtet werden und dementsprechend die Konziliarität im Kontext
des Primats." Dann klopft man fest: "Primat auf
allen Ebenen ist eine Praxis, die fest in der kanonischen Tradition
der Kirche gründet."8
Was dies nun allerdings mit Blick auf
den Bischof von Rom und seine Kompetenzen bedeutet, darüber muss
nach diesem Dokument weiter nachgedacht werden.
Frère Roger hat vier wenig
institutionell ausgearbeitete Erwartungen an ein solches Amt der
Einheit genannt:
- Er ist dazu berufen, und das überrascht nach dem zuvor Gesagten und dem derzeitigen Papst Franziskus wenig, "ein armer Bischof zu sein", der "jeder Generation die Quellen des Glaubens neu zugänglich macht und [...] mit sparsamen Worten die Christen wie auch viele Menschen jenseits der Grenzen der Kirche aufruft, gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu kämpfen".
- Er muss "sich von den lokalen Pressionen" befreien, "um so universal wie möglich zu sein" – und das meint sicher nicht nur wie in der Renaissance die Freiheit von Zwistigkeiten zwischen Adelsfamilien in der römischen Stadtgesellschaft, sondern heute auch die Freiheit vom Druck provinzieller Abgrenzung in konfessionalistischem Sinne. Nicht nur für die eigenen Schäfchen zu denken, bedeutet das, sondern bei allen Äußerungen immer auch alle anderen christlichen Gemeinschaften mit im Blick zu haben.
- Ein solcher Papst muss ebenso frei sein, "um prophetische Einsichten frei verkünden zu können", Einsichten, an denen ich Christen und Nichtchristen, Politiker und Publizisten, Gleichgültige und Engagierte abarbeiten können. Beides, die prophetische Rede ebenso wie die öffentliche Reaktion darauf werden ja bisweilen schon sichtbar, wenn man nur die Aufmerksamkeit für "Evangelii Gaudium" anschaut.
- Schließlich soll der Papst "die Gemeinschaft unter allen Kirchen" vorantreiben, "indem er sich selbst an diejenigen sich wendet, die sein Dienstamt ablehnen."9
Ein weitsichtiges und tiefgehendes
Programm ist das meiner Meinung nach – und eines, das sich (trotz
sparsamer explizit ökumenischer Handlungen) im aktuellen Pontifikat
schon erahnen lässt.
Dorfkirche in Taizé, 2014. |
1 R.
Schutz, Kampf und Kontemplation. Auf der Suche nach Gemeinschaft mit
allen. Freiburg i.Br. 1974, 107.
2 Ebd.
3 Ebd.,
95.
4 Ebd.
5 So
Frère Roger in einem Video, das auf der Seite der Communauté de
Taizé zu finden ist: http://www.taize.fr/de_article10039.html
8 Gemeinsame
Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der
Römisch-Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche in Ravenna
(8. - 14. Oktober 2007), Die ekklesiologischen und kanonischen
Folgen des sakramentalen Wesens der Kirche. Kirchliche Gemeinschaft,
Konziliarität und Autorität, 43. In:
http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/chrstuni/ch_orthodox_docs/rc_pc_chrstuni_doc_20071013_documento-ravenna_ge.html.
9 R.
Schutz, a.a.O., 77.