Freitag, 11. Juli 2014

Frère Roger und die ökumenische Frage nach dem Papstamt

Zur Zeit brodelt es wieder in den ökumenischen Gesprächen. Vor allem die Evangelische Kirche Deutschland scheint sich bei ihrer Standortbestimmung in Vorbereitung auf das große Gedenkjahr 2017 eher zu rekonfessionalisieren. Scharfe Reaktionen auf das aktuelle Dokument evangelischer Selbstvergewisserung ließen nicht lange auf sich warten, der Ökumeniker W. Thönissen beispielsweise sieht auf dieser Grundlage keine Möglichkeiten für gemeinsam verantwortete Feierlichkeiten.
Kirche, Altbau, Taizé, 2014.
Gerade da bietet es sich möglicherweise an, auf einen großen ökumenisch Bewegten hinzuweisen. Anschließend an meine Gedanken zu einem "Papst für alle", die sich auf die Äußerungen der Päpste Johannes Paul II. und Franziskus und auf theologisch-historische Untersuchungen der Gruppe von Farfa Sabina bezogen haben, möchte ich einige lose gesammelte Gedanken von Frère Roger (Gründer der Communauté de Taizé) zu diesem Thema beifügen.
Wie für seinen ersten päpstlichen Gesprächspartner Johannes XXIII. geht es auch ihm nicht darum, historisches Recht oder Unrecht aufzuarbeiten, sondern mit Blick auf die Zukunft ins Gespräch zu kommen. So kam es zu diversen Treffen mit den jeweils amtierenden Päpsten, mit Johannes XXIII., mit Paul VI. und mit Johannes Paul II., auf dessen Beerdigung er schließlich auch anwesend war.

Von den persönlichen Begegnungen lebte das Engagement Frère Rogers – 1971 notiert er in seinem Tagebuch Splitter aus Gesprächen mit Paul VI., der den Wegcharakter, die Haltung der Vorläufigkeit betont hatte. Frère Roger kommentiert: "Ja, wir sind Pilger, arm an Mitteln."1
Diese Einsicht kann ein tragendes Element für das ökumenische Gespräch darstellen: Wir haben weder Lösungen noch Auswege in der Hand, sind vielmehr mittellos und unbehaust unterwegs – aber wir bleiben unterwegs, trotz der Schwachheit unserer Möglichkeiten, trotzdem noch immer kein gemeinsames Heim für alle Christen gefunden ist. "Der Papst sagt zum Schluss: 'Auch ich bin ein Armer.'"2
Bänke im Bau, Taizé, 2014.

Wie sehr das an den jetzigen Papst Franziskus erinnert! Aber diese Form der Armut nicht zu scheuen erfordert Kraft. Viel leichter wäre es doch, sich zurückzuziehen, "um von hoher puritanischer Warte aus unumstößliche Urteile zu fällen."3 So kann man, wie es leider nur zu oft geschieht, die Fehler der Anderen gut erkennen und muss nicht die eigene Armut (biblisch: den Balken im Auge) in den Blick nehmen. Doch "sobald sich ein Mensch distanzert und von außen urteilt, büßt er seine kreativen Kräfte ein und verliert etwas von seiner Menschlichkeit. Wer aber versucht, Christus zu folgen, muss wesentlich menschlich sein."4
Ökumenische Initiative erscheint dann als ein aus der kirchlichen Gemeinschaft erwachsender kreativer Mut, der die menschliche Schwachheit auch der kirchlichen Institutionen nicht verkennt, sondern sich wegfertig in den Dienst des allökumenischen Geistes Gottes stellt. Nicht systematisch, nicht fertig, nicht zu sehr sich in Wissen wiegend - nur kleine Dinge können wir erkennen, "gerade genug, um weiterzukommen."5

Konkret fasst Frère Roger das Ziel ökumenischen Bemühens wie folgt zusammen:
"Wenn die Christen eine sichtbare Einheit suchen, liegt darin kein Ziel an sich; es geht nicht darum, dass wir uns zusammen wohler fühlen oder geeint stärker sind. Es geht um die Wahrhaftigkeit in den Augen der Menschen, um für alle Menschen ein Ort der Gemeinschaft zu sein, an dem sich auch der Nichtgläubige angenommen weiß und auf niemanden irgendein Zwang ausgeübt wird."6
Diese sehnsüchtige "Suche nach Gemeinschaft mit allen", wie der Untertitel es benennt, brennt ihm im Herzen.
Blumen am Haus, Ameugny, bei Taizé, 2014.

Das Papstamt sieht er aus dieser Perspektive der Sehnsucht nach immer größerer Gemeinschaft und Brüderlichkeit: "Wenn jede Ortsgemeinde einen Hirten braucht, um die Gemeinschaft unter denen zu fördern, die stets dazu neigen, ihre eigenen Wege zu gehen, wie können wir auf eine sichtbare Gemeinschaft aller Christen auf der Erde hoffen, wenn es keinen Hirten für alle gibt? Nicht an der Spitze einer Pyramide, nicht als Haupt (das Haupt der Kirche ist Christus), sondern in der Mitte."7

Diesen Fragen nach der einen Autorität an der Spitze der einen Kirche hat sich vor einigen Jahren auch die Gemeinsame Internationale Kommission von Orthodoxer und Römisch-Katholischer Kirche gestellt und besonders über das Verhältnis von Konziliarität / Synodalität und Primat / Autorität, also gemeinschaftlicher und alleiniger Leitungskompetenz in der Leitung der gesamten Kirche nachgedacht.
Herausgekommen ist das so genannte Dokument von Ravenna (2007), in dem es zusammenfassend ganz ähnlich den Gedanken Frère Rogers u.a. heißt: "Primat und Konziliarität sind wechselseitig voneinander abhängig. Deshalb muss der Primat auf den verschiedenen Ebenen des Lebens der Kirche, lokal, regional und universal, immer im Kontext der Konziliarität betrachtet werden und dementsprechend die Konziliarität im Kontext des Primats." Dann klopft man fest: "Primat auf allen Ebenen ist eine Praxis, die fest in der kanonischen Tradition der Kirche gründet."8

Was dies nun allerdings mit Blick auf den Bischof von Rom und seine Kompetenzen bedeutet, darüber muss nach diesem Dokument weiter nachgedacht werden.
Frère Roger hat vier wenig institutionell ausgearbeitete Erwartungen an ein solches Amt der Einheit genannt:
  1. Er ist dazu berufen, und das überrascht nach dem zuvor Gesagten und dem derzeitigen Papst Franziskus wenig, "ein armer Bischof zu sein", der "jeder Generation die Quellen des Glaubens neu zugänglich macht und [...] mit sparsamen Worten die Christen wie auch viele Menschen jenseits der Grenzen der Kirche aufruft, gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu kämpfen".
  2. Er muss "sich von den lokalen Pressionen" befreien, "um so universal wie möglich zu sein" – und das meint sicher nicht nur wie in der Renaissance die Freiheit von Zwistigkeiten zwischen Adelsfamilien in der römischen Stadtgesellschaft, sondern heute auch die Freiheit vom Druck provinzieller Abgrenzung in konfessionalistischem Sinne. Nicht nur für die eigenen Schäfchen zu denken, bedeutet das, sondern bei allen Äußerungen immer auch alle anderen christlichen Gemeinschaften mit im Blick zu haben.
  3. Ein solcher Papst muss ebenso frei sein, "um prophetische Einsichten frei verkünden zu können", Einsichten, an denen ich Christen und Nichtchristen, Politiker und Publizisten, Gleichgültige und Engagierte abarbeiten können. Beides, die prophetische Rede ebenso wie die öffentliche Reaktion darauf werden ja bisweilen schon sichtbar, wenn man nur die Aufmerksamkeit für "Evangelii Gaudium" anschaut.
  4. Schließlich soll der Papst "die Gemeinschaft unter allen Kirchen" vorantreiben, "indem er sich selbst an diejenigen sich wendet, die sein Dienstamt ablehnen."9
Ein weitsichtiges und tiefgehendes Programm ist das meiner Meinung nach – und eines, das sich (trotz sparsamer explizit ökumenischer Handlungen) im aktuellen Pontifikat schon erahnen lässt.
Dorfkirche in Taizé, 2014.

1   R. Schutz, Kampf und Kontemplation. Auf der Suche nach Gemeinschaft mit allen. Freiburg i.Br. 1974, 107.
2   Ebd.
3   Ebd., 95.
4   Ebd.
5   So Frère Roger in einem Video, das auf der Seite der Communauté de Taizé zu finden ist: http://www.taize.fr/de_article10039.html
6   R. Schutz, a.a.O., 55.
7
   Ebd., 76.
8   Gemeinsame Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche in Ravenna (8. - 14. Oktober 2007), Die ekklesiologischen und kanonischen Folgen des sakramentalen Wesens der Kirche. Kirchliche Gemeinschaft, Konziliarität und Autorität, 43. In: http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/chrstuni/ch_orthodox_docs/rc_pc_chrstuni_doc_20071013_documento-ravenna_ge.html.
9   R. Schutz, a.a.O., 77.