Bundespräsident Gauck hat ihn heute in
seiner Rede während der Gedenkstunde des Bundestages für die Opfer
des Nationalsozialismus erwähnt – Jakob Wassermann, den großen
Erzähler, den meisten nur durch den Caspar Hauser bekannt.
Beim Zitat des Bundespräsidenten
fielen mir die folgenden Zeilen aus dem autobiographischen Buch
Wassermanns "Mein Weg als Deutscher und Jude" ein, das ich
vor einigen Jahren mit großem Interesse gelesen habe – und das mit
einem gewaltigen Klage-Monolog schließt.
Die Resignation und Enttäuschung des
deutschen Juden muss beim Abfassen 1921 schon gewaltig gewesen sein.
"Es ist vergeblich, das Volk
der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu
beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas
die Würmer, tausend neue zutage.
Schulkellerfenster, Dahlem, Berlin, 2014. |
Es ist vergeblich, die rechte Wange
hinzuhalten, wenn die linke geschlagen worden ist. Es macht sie nicht
im mindesten bedenklich, es rührt sie nicht, es entwaffnet sie
nicht: Sie schlagen auch die rechte.
Es ist vergeblich, in das
tobsüchtige Geschrei Worte der Vernunft zu werfen. Sie sagen: was,
er wagt es aufzumucken? Stopft ihm das Maul.
Es ist vergeblich, beispielschaffend
zu wirken. Sie sagen: wir wissen nichts, wir haben nichts gesehen,
wir haben nichts gehört.
Es ist vergeblich, die Verborgenheit
zu suchen. Sie sagen: der Feigling, er verkriecht sich, sein
schlechtes Gewissen treibt ihn dazu.
Es ist vergeblich, unter sie zu
gehen und ihnen die Hand zu bieten. Sie sagen: was nimmt er sich
heraus mit seiner jüdischen Aufdringlichkeit?
Es ist vergeblich, ihnen Treue zu
halten, sei es als Mitkämpfer, sei es als Mitbürger. Sie sagen: er
ist der Proteus, er kann eben alles.
Es ist vergeblich, ihnen zu helfen,
Sklavenketten von den Gliedern zu streifen. Sie sagen: er wird seinen
Profit schon dabei gemacht haben.
Es ist vergeblich, das Gift zu
entgiften. Sie brauen frisches.
Es ist vergeblich, für sie zu leben
und zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude."1
Bleibt zu hoffen, dass die deutsche
Unbelehrbarkeit heute immer mehr überwunden wird und dass schlecht
von Anderen zu denken in den aktuellen Debatten abgelöst werden kann
von erhöhter Einfühlung und Einsicht.
Den Schluss des Buches bildet ein
fiktiver Dialog mit einem nichtjüdischen Deutschen über die
genannten Vorurteile. Auf dessen Frage, was geschehen soll, was
Deutschland tun solle, antwortet Wassermann:
"Ich vermag es nicht, ihm zu
antworten, denn die Antwort liegt zu nahe, und ich schäme mich für
ihn.
Wenn ich einen Fuhrmann sehe, der
sein abgetriebenes Ross mit der Peitsche dermaßen misshandelt, dass
die Adern des Tieres springen und die Nerven zittern, und es fragt
mich einer von den untätig, obschon mitleidig Herumstehenden: was
soll geschehen? so sage ich ihm: reißt dem Wüterich vor allem die
Peitsche aus der Hand.
Erwidert mir aber einer: der Gaul
ist störrisch, der Gaul ist tückisch, der Gaul will bloß die
Aufmerksamkeit auf sich lenken, es ist ein gutgenährter Gaul, und
der Wagen ist mit Stroh beladen, so sage ich ihm: das können wir
nachher untersuchen; vor allem reißt dem Wüterich die Peitsche aus
der Hand.
Mehr kann Deutschland nach meiner
Ansicht gewiss nicht tun. Aber es wäre viel. Es wäre genug."2
Damit endet das Buch.
Damals wurde den Deutschen die Peitsche
nur mit ungeheurer Mühe entwunden und die Opfer waren grenzenlos.
Heute wissen wir (hoffentlich) – Frieden und Menschlichkeit zuerst!
Nr. 22. Schöneweide, Berlin, 2014. |
1 J.
Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude. München 1999, 122f.