Montag, 12. Januar 2015

Sonnenfinsternis oder Universalismus? Was der Gewalt folgt

Der erste Schock nach den grausigen Taten der islamistischen Terroristen in Frankreich ist gerade vorbei. Sicherheitsmaßnahmen und öffentliche Trauer bestimmen das mediale Bild. Zugleich versuchen der Front National und die deutschen Pegidisten, die Angst auf ihre islamophoben Mühlen zu leiten, während andere dem interreligiösen Dialog und sozialer Einhegung das Wort reden.
Doch was folgt aus diesem Exzess der Gewalt, wenn man von politischen Reden, polizeilichen Vorsichtsmaßnahmen und religionsdialogischen Absichten absieht? Einige unspezifische Gedanken.

1   "Damit kein Licht uns liebe"1 
So überschreibt Rose Ausländer ein Gedicht, das vielleicht auf die derzeitige Situation passt und eine eventuelle Reaktion einbringt.

Damit kein Licht uns liebe

Ist es kälter geworden? "Winter"-Skulptur im
Kurpark Bad Freienwalde.
Sie kamen
mit scharfen Fahnen und Pistolen
schossen alle Sterne und den Mond ab
damit kein Licht uns bliebe
damit kein Licht uns liebe

Da begruben wir die Sonne
Es war eine unendliche Sonnenfinsternis

Depression und Trauma, die in Dunkel und Lieblosigkeit verborgen sind, folgen der Gewalt, die sich da mit scharfer Fahne und mit Schußwaffen so breit gemacht hat, dass nichts Liebenswertes mehr leuchtet. Das Licht ist abgeschossen, die Liebe erloschen. Das zusätzliche Begräbnis der Sonne zieht die Lage ins Bodenlose. Wenn die kleinen Lichter zerschossen werden, taugt auch die Quelle allen Lichtes nichts mehr. So lässt die Trauer alles zerrinnen.
Finsternis regiert, wie auch immer sich das gesellschaftlich und politisch auswirkt.

2   Entstehung von Wertbindungen
Ein zweiter Gang: Hans Joas stellt in seinen Erwägungen über die Menschenrechte die "Frage, ob Gewalterfahrungen selbst so transformiert werden können, dass aus ihnen die Energie für positive Wertbindungen hervorgeht."2 Dies wäre das Gegenbild zu Rose Ausländer: Aus der Gewalt der Weltkriege erwuchsen Völkerbund und die Charta der Menschenrechte. Ob aus der Gewalt in Paris weitere Gewalt folgt oder ein um so stärkeres Festhalten – oder gar ein neues Ergreifen universalistischer, also alle umfassender Wert-schätzung wird, steht heute noch dahin.
An anderer Stelle heißt es: "Gefragt wird nach den starken Kräften einer Motivation zur universalistischen Moral, wie sie sich aus kulturellen, etwas religiösen Traditionen und intensiven Erfahrungen, enthusiasmierenden ebenso wie traumatisierenden, ergeben können und zu individuellen und kollektiven Handlungen führen." Joas ist sicher: "In der Sakralisierung der Person liegen solche Kräfte zur Motivation3 Politische und religiöse Ideologien bringen ihre eigenen, anderen Sakralisierungen wie Nation oder Rasse hervor4 – die grundsätzliche Überzeugung von der Heiligkeit menschlichen Lebens aber ist aus historischen Gründen ein Kulturmarker des "Westens". 
Hoffentlich ist diese Perspektive auf den Menschen ein Wert, der uns auch in Zukunft bindet und leuchtet. Denn dieses Licht ist uns nötig, seien wir nun religiös oder nicht.

3   Gebet um Einsicht und Ausdauer
Zu dieser Hoffnung passt die Lesung aus der heutigen Vesper: "Wir hören nicht auf, inständig für euch zu beten, dass ihr in aller Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt, den Willen des Herrn ganz erkennt. Denn ihr sollt ein Leben führen, das des Herrn würdig ist und in allem sein Gefallen findet. Ihr sollt Frucht bringen in jeder Art von guten Werken und wachsen in der Erkenntnis Gottes. Er gebe euch in der Macht seiner Herrlichkeit viel Kraft, damit ihr in allem Geduld und Ausdauer habt." (Kol 1,9-11)


Sonnenuntergang am See Genezareth. 2013.

1   R. Ausländer, Aschensommer. Ausgewählte Gedichte. München 1978, 25.

2   H. Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte. Berlin 2011, 109.

3   Ebd., 146.


4   Vgl., ebd., 207.