Wenn es um Religiöses in der
zeitgenössischen Popmusik geht, ist man gut beraten, genau
hinzuschauen. Denn nicht überall will es sich so leicht zu erkennen
geben wie bei Herbert Grönemeyers kritischem "Stück vom
Himmel" oder im neulich hier betrachteten "OMG!" von
Marteria.
Gerade in Frida Golds Hit "Wovon sollen wir träumen" werden am laufenden Band religiöse
Themen angestoßen und existenzielle Fragen aufgerissen, die in ihrer
Aktualität doch religiöse Erfahrungen schon der ältesten Zeiten
reflektieren – auch wenn sie sich zunächst hinter der klagenden
Beschreibung der typischen Lebensweise vieler junger Leute in Berlin
und anderswo verbergen.
Stoffauswahl. Charlottenburg, Berlin, 2014. |
"Ich bin mitten drin
und
geb mich allem hin,
aber schaut man hinter die Kulissen,
dann fängt es immer so an,
ich schlafe immer zu lang,
krieg's nicht hin
und fühl mich deshalb beschissen.
Ich erkenn mich nicht
in den Schaufensterscheiben,
entdecke nichts, was mir gefällt.
Ich brauch die schönsten Kleider
und die stärksten Männer
und eine Hand, die meine Hand
aber schaut man hinter die Kulissen,
dann fängt es immer so an,
ich schlafe immer zu lang,
krieg's nicht hin
und fühl mich deshalb beschissen.
Ich erkenn mich nicht
in den Schaufensterscheiben,
entdecke nichts, was mir gefällt.
Ich brauch die schönsten Kleider
und die stärksten Männer
und eine Hand, die meine Hand
für immer festhält."
Da sind sie schon, all die
Fraglichkeiten: das Gefühl eigener Unzulänglichkeit und
Unzufriedenheit über das Schleifenlassen, permanente Selbstvorwürfe,
die verzeifelte Suche nach Identität, der Versuch, in durchfeierten
Nächten irgendeinen tieferen Halt zu gewinnen ... Fast wirken die
Strophen, als wäre jemand von seinen bösen Geistern gefangen und
käme nicht mehr heraus.
Doch dann platzt der Refrain in die
Klage:
"Wovon sollen wir träumen,
so wie wir sind,
so wie wir sind,
so wie wir sind,
so wie wir sind?
Woran können wir glauben?
Wo führt das hin?
so wie wir sind?
Woran können wir glauben?
Wo führt das hin?
Was kommt und bleibt?"
Es ist das folgerichtige Fragen, wie
sich das Leben sinnvoll gestalten lässt, wenn man es lebt "so
wie wir sind". Am Anfang steht die titelgebende
Visionslosigkeit: "Wovon sollen wir träumen?". Kein
Plan, keine Vision, kein umfassendes tragendes Ganzes ist vorhanden
nach dem Ausbruch aus den Normen der Jugend. Kein Leitstern, der über
die Flucht in Party und zu den "stärksten Männern"
hinausführt. Kein Lebensmotiv kann den dämonischen Nachterfahrungen
gegenüber gestellt werden.
Ratte, tot. Charlottenburg, Berlin, 2014. |
Daran schließt die mehrdeutige Frage
an, auf was ein Leben denn gebaut werden kann: "Woran können
wir glauben?". Wem lässt sich vertrauen und wer hat die
Autorität, neue Optionen aufzutun, was ist der Grund all dessen und
wer verbürgt Ruhe im Sturm?
"Wo führt das hin? Was kommt
und bleibt?" - Resignation oder Zukunftsangst, Unsicherheit
oder Orientierungssuche schließlich mag man in den letzten beiden
Fragen lesen.
Die Fraglichkeit platter Partyexistenz
und oberflächlicher Vergnügungen steckt als tiefer Stachel im
Alltag. Doch die bösen Geister des Innern haben nicht alles im
Griff, sondern lassen immerhin die Fragen an die Oberfläche.
Und die bitter-bedrückenden Einsichten
folgen, sich eifrig mehrend, im Verlauf der nächsten Strophen: Von
häufigem und unbefriedigendem Partnerwechsel, von Enttäuschung und
Unerfülltheit, von Ziellosigkeit und Leere zeugen die wie Splitter
aneinander gereihten Satzteile - "wir werden nicht satt",
"wir können nicht mehr atmen", "es bleibt
ein Spiel ohne Ziel" ...
Es hat etwas Dämonisches, wie sich ein
Leben da auf den Abgrund zuschiebt. Alles gipfelt in den
verzweifelten Fragen:
"Wann hört das auf?
Wann kommen wir hier raus?
Wovon sollen wir träumen?
Wo sind wir zu Haus?
Wo sind wir zu Haus?"
Wo sind wir zu Haus?"
Da bricht sich aus all dem verqueren
Ringen die Sehnsucht nach einer letzten Heimat. Die Wünsche nach
Ruhe, nach eigenen Träumen, einer Richtung, einem Haltepunkt und dem
Ziel suchen Auswege aus den Nächten, die "schwer, so schwer
auf meinen Schultern" lasten.
Wenn Jesus im Evangelium dieses
Sonntags (Mk 1,21-28) als erste öffentliche Handlung im
Markusevangelium einen Dämon austreibt, dann ist die Reaktion auf
den Anruf Jesu eindrücklich: "Der unreine Geist zerrte den
Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei."
Das Schreien und Zetern und vielleicht
auch das Uferlose des Feierns und die Promiskuität und das Trinken
und die Hoffnungslosigkeit in all dem können noch dämonische
Verwirrung sein – oder nur noch die letzten Zuckungen der
Unfreiheit in den besetzten Menschen. Vorbote der Auferstehung also.
Von außen ist das schwer zu sehen –
aber das Vertrauen auf den Einen, der einen Taum für jeden Menschen
hat, kann helfen, bei ihm ein "Zuhaus" zu finden, fern von
allen dämonisch feiernden Kräften.
Leere des Sommerbads Neukölln. Neukölln, Berlin, 2014. |