Samstag, 31. Januar 2015

"Wovon sollen wir träumen?" - Frida Gold und die Dämonen

Wenn es um Religiöses in der zeitgenössischen Popmusik geht, ist man gut beraten, genau hinzuschauen. Denn nicht überall will es sich so leicht zu erkennen geben wie bei Herbert Grönemeyers kritischem "Stück vom Himmel" oder im neulich hier betrachteten "OMG!" von Marteria.
Gerade in Frida Golds Hit "Wovon sollen wir träumen" werden am laufenden Band religiöse Themen angestoßen und existenzielle Fragen aufgerissen, die in ihrer Aktualität doch religiöse Erfahrungen schon der ältesten Zeiten reflektieren – auch wenn sie sich zunächst hinter der klagenden Beschreibung der typischen Lebensweise vieler junger Leute in Berlin und anderswo verbergen.

Stoffauswahl. Charlottenburg, Berlin, 2014.
"Ich bin mitten drin
und geb mich allem hin,
aber schaut man hinter die Kulissen,
dann fängt es immer so an,
ich schlafe immer zu lang,
krieg's nicht hin
und fühl mich deshalb beschissen.
Ich erkenn mich nicht
in den Schaufensterscheiben,
entdecke nichts, was mir gefällt.
Ich brauch die schönsten Kleider
und die stärksten Männer
und eine Hand, die meine Hand
für immer festhält."

Da sind sie schon, all die Fraglichkeiten: das Gefühl eigener Unzulänglichkeit und Unzufriedenheit über das Schleifenlassen, permanente Selbstvorwürfe, die verzeifelte Suche nach Identität, der Versuch, in durchfeierten Nächten irgendeinen tieferen Halt zu gewinnen ... Fast wirken die Strophen, als wäre jemand von seinen bösen Geistern gefangen und käme nicht mehr heraus.
Doch dann platzt der Refrain in die Klage:

"Wovon sollen wir träumen,
so wie wir sind,
so wie wir sind,
so wie wir sind?
Woran können wir glauben?
Wo führt das hin?
Was kommt und bleibt?"

Es ist das folgerichtige Fragen, wie sich das Leben sinnvoll gestalten lässt, wenn man es lebt "so wie wir sind". Am Anfang steht die titelgebende Visionslosigkeit: "Wovon sollen wir träumen?". Kein Plan, keine Vision, kein umfassendes tragendes Ganzes ist vorhanden nach dem Ausbruch aus den Normen der Jugend. Kein Leitstern, der über die Flucht in Party und zu den "stärksten Männern" hinausführt. Kein Lebensmotiv kann den dämonischen Nachterfahrungen gegenüber gestellt werden.
Ratte, tot. Charlottenburg, Berlin, 2014.
Daran schließt die mehrdeutige Frage an, auf was ein Leben denn gebaut werden kann: "Woran können wir glauben?". Wem lässt sich vertrauen und wer hat die Autorität, neue Optionen aufzutun, was ist der Grund all dessen und wer verbürgt Ruhe im Sturm?
"Wo führt das hin? Was kommt und bleibt?" - Resignation oder Zukunftsangst, Unsicherheit oder Orientierungssuche schließlich mag man in den letzten beiden Fragen lesen.

Die Fraglichkeit platter Partyexistenz und oberflächlicher Vergnügungen steckt als tiefer Stachel im Alltag. Doch die bösen Geister des Innern haben nicht alles im Griff, sondern lassen immerhin die Fragen an die Oberfläche.
Und die bitter-bedrückenden Einsichten folgen, sich eifrig mehrend, im Verlauf der nächsten Strophen: Von häufigem und unbefriedigendem Partnerwechsel, von Enttäuschung und Unerfülltheit, von Ziellosigkeit und Leere zeugen die wie Splitter aneinander gereihten Satzteile - "wir werden nicht satt", "wir können nicht mehr atmen", "es bleibt ein Spiel ohne Ziel" ...
Es hat etwas Dämonisches, wie sich ein Leben da auf den Abgrund zuschiebt. Alles gipfelt in den verzweifelten Fragen:

"Wann hört das auf?
Wann kommen wir hier raus?
Wovon sollen wir träumen?
Wo sind wir zu Haus?
Wo sind wir zu Haus?
"

Da bricht sich aus all dem verqueren Ringen die Sehnsucht nach einer letzten Heimat. Die Wünsche nach Ruhe, nach eigenen Träumen, einer Richtung, einem Haltepunkt und dem Ziel suchen Auswege aus den Nächten, die "schwer, so schwer auf meinen Schultern" lasten.

Wenn Jesus im Evangelium dieses Sonntags (Mk 1,21-28) als erste öffentliche Handlung im Markusevangelium einen Dämon austreibt, dann ist die Reaktion auf den Anruf Jesu eindrücklich: "Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei."
Das Schreien und Zetern und vielleicht auch das Uferlose des Feierns und die Promiskuität und das Trinken und die Hoffnungslosigkeit in all dem können noch dämonische Verwirrung sein – oder nur noch die letzten Zuckungen der Unfreiheit in den besetzten Menschen. Vorbote der Auferstehung also.
Von außen ist das schwer zu sehen – aber das Vertrauen auf den Einen, der einen Taum für jeden Menschen hat, kann helfen, bei ihm ein "Zuhaus" zu finden, fern von allen dämonisch feiernden Kräften.

Leere des Sommerbads Neukölln. Neukölln, Berlin, 2014.