Samstag, 17. Januar 2015

Zugehörigkeit? - Gedanken über "The Homesman"

Dies ist ein sehr drastischer Film. Nicht in erster Linie wegen der vielen intensiven Szenen voll körperlicher und seelischer Versehrtheit. Sondern mehr noch wegen der moralischen und philosophischen Fragen, die er aufwirft.

Aus dem auszehrenden, wilden und wüsten Westen der USA müssen in der Mitte des 19. Jahrhunderts drei innerlich zerrüttete Frauen gen Osten in die Zivilisation gebracht werden. Sie sind vom Tod ihrer Kinder, vom entbehrungsreichen Leben, von den Misserfolgen auf der harten Erde und nicht zuletzt von ihren Ehemännern so zermürbt, dass sich Mary Bee (Hillary Swank), eine alleinstehende Farmerin, mit ihnen auf den Weg nach Iowa macht, wo sie gepflegt werden sollen. Ihr zur Seite steht mehr oder weniger freiwillig der rauhe Briggs (Regisseur und Hauptdarsteller Tommy Lee Jones), einen von Mary Bee gerade vor dem Strick bewahrten Eigenbrödler, der vorrangig wegen des Geldes bei der Stange zu bleiben scheint.

Wüste. Judäa, 2013.
Mary Bee wird in den Film eingeführt als selbständige und feinsinnige Frau, die ihrem Nachbarn aus eher praktischen Erwägungen einen Heiratsantrag zu machen scheint. Doch wenn man ihre Enttäuschung bei seiner Abfuhr sieht, spürt man, dass da mehr ist. So übernimmt sie gleich darauf zwar die Verantwortung für die drei Frauen, sucht bei allem emanzipativen Selbststand aber doch immer wieder Nähe – ein Wunsch, der in einem weiteren Heiratsantrag an den ebenfalls ablehnenden Briggs gipfelt. Eine tragisch entwürdigende Szene voller Traurigkeit.

Dieser größere Wunsch nach menschlicher Nähe ist auch kein Wunder angesichts der drei derangierten Frauen, die jede auf ihre Weise völlig in sich zurückgezogen sind. Als eine der drei wegläuft und von einem Cowboy aufgeschnappt wird, zeigt sich jedoch, wer menschlich und "normal" agiert. Nicht der Cowboy ist es, der die Frau nur als Fundstück und Sexobjekt ansieht. Vielmehr beweist Briggs, der sich in einen harten Kampf um die verwirrte Frau begibt, hier seine Menschlichkeit und seinen Anstand. Die völlig außer Kontrolle geratenen Maßstäbe für menschliche Beziehungen liegen gerade in dieser Szene offen zu Tage.

Noch morbider wird es, wenn Briggs später versucht, in einem Hotel mitten im Nichts etwas zu essen für die hungrigen Frauen aufzutreiben – und aus dem mit Speisen vollgestopften Haus fortgeschickt wird, weil einer Gruppe von Investoren das Land schmackhaft gemacht werden soll und darum kein Platz für sie ist. Hier gewinnt die Perversion der Unmenschlichkeit eine Aktualität, die dem Film gut ansteht und in der auch die weihnachtliche Frage nach der Beherbergung der Migranten und Flüchtlinge neu auftaucht.

Kahle Eiche. Platanenallee, Westend, Berlin, 2014.
In einer weiteren Szene richtet Mary Bee im verzweifelten Wunsch menschlich zu bleiben ein Kindergrab mitten in der Prärie wieder her – und findet anschließend den weitergefahrenen Wagen nicht wieder. Die folgende Einstellung, die zeigt, wie sie vor Hunger gemeinsam mit ihrem Pferd Gras frisst, kontrastiert ihren Wunsch nach Menschlichkeit aufs Äußerste. Ihrem Gebet, in dem sie Jesus um seine Liebe bittet, scheint weder hier noch an irgendeiner anderen Stelle im Film entsprochen zu werden.

Dabei bleiben der Wunsch nach Liebe und nach Zugehörigkeit zu menschlicher Gemeinschaft den ganzen Film durchziehende Motive. Nachdem die Frauen in Obhut der sehr puritanischen Gemeinde genommen wurden, hat der ehrbar gewordene Briggs nur noch das wertlos gewordene Geld aus dem Siedler-Territorium übrig, mit dem man ihn nach all seinen Strapazen nicht einmal am Spieltisch des Städtchens duldet.

Wo wohnen also die verantwortungsbewussten Helden der Menschlichkeit? Gibt es keine Gemeinschaft, in der sie unterkommen und sich wohl fühlen könnten? Welches Heim findet der "Homesman", der andere nach Haus bringt? Wohin gehört er?

Im Evangelium des heutigen Sonntags fragen die Jünger Jesus dasselbe: "Meister, wo wohnst Du?" (Joh 1,38)
Aber das wäre dann eher eine theologische Frage.