Dies ist ein sehr drastischer Film.
Nicht in erster Linie wegen der vielen intensiven Szenen voll
körperlicher und seelischer Versehrtheit. Sondern mehr noch wegen
der moralischen und philosophischen Fragen, die er aufwirft.
Aus dem auszehrenden, wilden und wüsten Westen
der USA müssen in der Mitte des 19. Jahrhunderts drei innerlich
zerrüttete Frauen gen Osten in die Zivilisation gebracht werden. Sie
sind vom Tod ihrer Kinder, vom entbehrungsreichen Leben, von den
Misserfolgen auf der harten Erde und nicht zuletzt von ihren
Ehemännern so zermürbt, dass sich Mary Bee (Hillary Swank), eine
alleinstehende Farmerin, mit ihnen auf den Weg nach Iowa macht, wo
sie gepflegt werden sollen. Ihr zur Seite steht mehr oder weniger
freiwillig der rauhe Briggs (Regisseur und Hauptdarsteller Tommy Lee
Jones), einen von Mary Bee gerade vor dem Strick bewahrten
Eigenbrödler, der vorrangig wegen des Geldes bei der Stange zu
bleiben scheint.
Wüste. Judäa, 2013. |
Mary Bee wird in den Film eingeführt
als selbständige und feinsinnige Frau, die ihrem Nachbarn aus eher
praktischen Erwägungen einen Heiratsantrag zu machen scheint. Doch
wenn man ihre Enttäuschung bei seiner Abfuhr sieht, spürt man, dass
da mehr ist. So übernimmt sie gleich darauf zwar die Verantwortung
für die drei Frauen, sucht bei allem emanzipativen Selbststand aber
doch immer wieder Nähe – ein Wunsch, der in einem weiteren
Heiratsantrag an den ebenfalls ablehnenden Briggs gipfelt. Eine
tragisch entwürdigende Szene voller Traurigkeit.
Dieser größere Wunsch nach
menschlicher Nähe ist auch kein Wunder angesichts der drei
derangierten Frauen, die jede auf ihre Weise völlig in sich
zurückgezogen sind. Als eine der drei wegläuft und von einem Cowboy
aufgeschnappt wird, zeigt sich jedoch, wer menschlich und "normal"
agiert. Nicht der Cowboy ist es, der die Frau nur als Fundstück und
Sexobjekt ansieht. Vielmehr beweist Briggs, der sich in einen harten
Kampf um die verwirrte Frau begibt, hier seine Menschlichkeit und
seinen Anstand. Die völlig außer Kontrolle geratenen Maßstäbe für
menschliche Beziehungen liegen gerade in dieser Szene offen zu Tage.
Noch morbider wird es, wenn Briggs
später versucht, in einem Hotel mitten im Nichts etwas zu essen für
die hungrigen Frauen aufzutreiben – und aus dem mit Speisen
vollgestopften Haus fortgeschickt wird, weil einer Gruppe von
Investoren das Land schmackhaft gemacht werden soll und darum kein
Platz für sie ist. Hier gewinnt die Perversion der Unmenschlichkeit
eine Aktualität, die dem Film gut ansteht und in der auch die
weihnachtliche Frage nach der Beherbergung der Migranten und
Flüchtlinge neu auftaucht.
Kahle Eiche. Platanenallee, Westend, Berlin, 2014. |
In einer weiteren Szene richtet Mary
Bee im verzweifelten Wunsch menschlich zu bleiben ein Kindergrab
mitten in der Prärie wieder her – und findet anschließend den
weitergefahrenen Wagen nicht wieder. Die folgende Einstellung, die
zeigt, wie sie vor Hunger gemeinsam mit ihrem Pferd Gras frisst,
kontrastiert ihren Wunsch nach Menschlichkeit aufs Äußerste. Ihrem
Gebet, in dem sie Jesus um seine Liebe bittet, scheint weder hier
noch an irgendeiner anderen Stelle im Film entsprochen zu werden.
Dabei bleiben der Wunsch nach Liebe und
nach Zugehörigkeit zu menschlicher Gemeinschaft den ganzen Film
durchziehende Motive. Nachdem die Frauen in Obhut der sehr
puritanischen Gemeinde genommen wurden, hat der ehrbar gewordene
Briggs nur noch das wertlos gewordene Geld aus dem
Siedler-Territorium übrig, mit dem man ihn nach all seinen Strapazen
nicht einmal am Spieltisch des Städtchens duldet.
Wo wohnen also die
verantwortungsbewussten Helden der Menschlichkeit? Gibt es keine
Gemeinschaft, in der sie unterkommen und sich wohl fühlen könnten?
Welches Heim findet der "Homesman", der andere nach Haus bringt? Wohin gehört er?
Im Evangelium des heutigen Sonntags
fragen die Jünger Jesus dasselbe: "Meister, wo wohnst Du?"
(Joh 1,38)
Aber das wäre dann eher eine
theologische Frage.