1 "Überwältigung"
Fußballspiele bieten im besten Fall
eine Menge überraschender Highlights, wie die letzte Nacht
eindrücklich bewiesen hat. Emotionale Überwältigung und
Freudentaumel führen zu rauschhaften Zuständen und Festen. Hier
zeigen sich meiner Meinung nach gemeinsame und unterschiedliche
Punkte im Blick auf eine Woche Taizé, wie ich sie gerade mit einer
großen Gruppe Jugendlicher aus Berlin erlebt habe:
Die sommerliche Taizé-Erfahrung halte ich im Wesentlichen für eine Mischung aus
Gemeinschaftsgefühl, Hitze, Internationalität und Stille, allesamt
Elemente, die sich besonders deutlich in den Gebetszeiten zeigen.
Zusammen entsteht eine Art "Praxis gemäßigter Überwältigung",
wie ich es mal nennen möchte.
Kirchenanbauten in Stille, Taizé, 2014. |
Es ist nicht der emotionale Rausch
eines Konzertevents oder eines Fußballspiels (Live oder beim Public
Viewing), bei denen Lautstärke, Abwechslung, Bewegung oder ein
Feuerwerk vieler Effekte das Erleben prägen. Zugleich ist es aber
noch viel weniger die still überwältigende Freude eines
Museumsbesuchs oder einer Lesung.
Taizé ist Aktivität – im Gesang
oder im internationalen Gespräch –, es ist Ruhe – in den
Gebetszeiten oder beim Nachholen nächtlichen Schlafes –, es ist
Gemeinschaft – beim Toilettenputzen, beim Spielen, beim Austausch
in kleinen Gruppen, beim Essen –, es ist Genuss, Freundschaft,
Offenheit, Begegnung und vieles mehr.
In allem bietet es den Jugendlichen
eine Erfahrung von Selbsttranszendenz, von Hinausgehen über das
eigene Ich durch all die vorgenannten Erlebnisse, die als Effekt eine
intensive Erfahrung des Überwältigtseins haben (mit all den
bedenklichen und weniger bedenklichen Auswirkungen, die dies haben
kann).
Hoffentlich zeigt sich in der Folge
dann auch das, was die Regel von Taizé als Überzeugung formuliert:
"In der Regelmäßigkeit der Gottesdienste keimt die Liebe
Jesu in uns, wir wissen selbst nicht, wie."1
2 "Ökumene"
In der Präambel derselben "Regel
von Taizé" heißt es: "Finde dich niemals ab mit dem
Skandal der Spaltung unter den Christen, die alle so leicht die
Nächstenliebe bekennen und doch getrennt bleiben. Habe die
Leidenschaft für die Einheit des Leibes Christi!"2
Ich konnte in der letzten Woche wachsende Gemeinschaft und einen tiefen
Willen zur Einheit erkennen – ob es aber die ökumenische Einheit
des Leibes Christi war, die da angestrebt wurde, möchte ich eher
bezweifeln. Allerdings hat auch rein menschliche Solidarität die Kraft,
über sich hinaus zu wachsen und offen zu werden für Gottes Geist.
Dies klingt auch in den Vorschlägen, die die Communaté de Taizé für
2014 anbietet, an - der zweite Vorschlag lautet beispielsweise:
"Über einengende Grenzen hinausgehen, um Freundschaft
entstehen zu lassen."3
Eine sehr weitgefasste Formulierung, die durch die Identifikation
Christi mit den "Geringsten" (Mt 25,40) begründet wird und
sowohl die soziale als auch die ökumenische Dimension umfasst.
Glockenturm, Taizé, 2014. |
Sehr passend zu dieser weiten Sprache und
meinen Eindrücken von den Jugendlichen fand ich einen Gedanken des
Gründers von Taizé, Frère Roger, noch aus den 1970ern:
"Die Jugend der Jahre 1950 bis
1965 stand den Institutionen der Kirche feindselig gegenüber, die
heutige Jugend wird ihnen gegenüber gleichgültig. Sie interessiert
sich wenig für Reformen, sie verlangt, dass Neues geboren wird. Ihr
Vertrauen gilt zunächst Personen, Erfahrungen aus dem Leben,
Menschen, die Gemeinschaft leben. Wenn die konfessionellen
Institutionen versuchen, auf die Jugendlichen zuzugehen, argwöhnen
sie, man wolle sie vereinnahmen."4
Ich glaube, dass das auch heute
weitgehend noch so gilt und Taizé hier einen überkonfessionellen
und wenig institutionell wahrgenommenen Kontrapunkt darstellt.
Möglicherweise bewahrheitet sich angesichts der meist wenig
anziehenden Gemeindewirklichkeit in den christlichen Kirchen auch die
hoffnungsfrohe Intuition Frère Rogers, die er in seinem Tagebuch am
23. März 1972 festhält: "Wenn heute da und dort in der Welt
bestimmte christliche Institutionen zerfallen, wird das letztlich
etwa zum Besten der Kirche sein ... vielleicht mit Blick auf eine
kommende Gemeinschaft?"5
3 "Landschaft"
Nach dem Abendgebet habe ich das
Gelände oft verlassen, um einen Spaziergang in der Stille zu machen.
Die Landschaft von Burgund mit ihren Tiergeräuschen, der spärlichen
Bebauung und den wellenförmigen Hügeln ist ein Genuss!
Für Frère Roger muss es ähnlich
gewesen sein, zumal er in der Landschaft immer wieder Neues
entdeckte, was mir als Stadtmenschen gar nicht auffiel. Für ihn war
die Landschaft Quelle von Kraft und Freude auch im Blick auf die
durch Mauern geprägten Landschaften der Kirchen, die es zu
überwinden gilt.
Die Motive von Stille, Ökumene,
Landschaft und Gemeinschaft bündeln sich in einem Tagebucheintrag
vom 26. Mai 1970, der mich sehr berührt hat und den ökumenischen
und monastischen Geist von Taizé gut zusammenzufassen scheint:
"Wiederentdeckung unserer
Landschaft: Jenseits der Mauer um das Grundstück gibt es unbekannte
Bereiche. Es war notwendig, eine Tür durchzubrechen, die seit eh und
je gewünscht wurde, damit wir das Haus endlich in Richtung Norden
verlassen und in der Einsamkeit den Hügel entlanggehen können,
während ganz nahe so viel Leben herrscht."6
Einzelne Herdentiere, bei Taizé, 2014. |
3 Vorschläge
für 2014. Auf der Suche nach sichtbarer Gemeinschaft all derer, die
Christus lieben: http://www.taize.fr/de_article16231.html.
4 R.
Schutz, Kampf und Kontemplation. Auf der Suche nach Gemeinschaft mit
allen. Freiburg i.Br. 1974, 54.
5 Ebd.,
122.
6 Ebd.,
14.
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