Dienstag, 22. Oktober 2019

Überraschungsgott und Fürsorgemensch. Predigt zu Lk 12,39-48

Wenn Gott zu uns kommt, dann schleicht er sich an uns heran wie ein Dieb in der Nacht (vgl. Lk 12,39f).

So predigte es jedenfalls Jesus.
Diesen Gott, der wie ein Dieb kommt, sollten wir tunlichst erwischen. Denn so wie der Dieb uns etwas entwenden will, würde uns auch eine Menge entgehen, wenn wir Gott davonkommen ließen.

Wachsamkeit heißt also das Gebot der Stunde. Denn Gott ist ein Überraschungsgott. Immerhin das hat er mit dem Brexit gemeinsam.

Und es ist die erste Einsicht dieses Evangeliums. Es ist eine Einsicht über Gott. Denn Gott überrascht uns nicht nur zu einem Zeitpunkt, den wir nicht kennen, sondern auch an Stellen in dieser Welt, die wir nicht für möglich gehalten hätten.

Überraschend schwer zu finden:
Dattelsirup und Butter in Kartoffelbrei.
Neukölln, 2019.
Ein Gottessohn, der in einem Stall geboren wird? Ein Gottessohn, dessen wahre Bestimmung sich zeigt, als er am Kreuz elendig stirbt?
Und schließlich ein Gottessohn, der sich identifiziert mit den Hungrigen und Durstigen, mit den Fremden, den Armen und Gefangenen (vgl. Mt 25,35ff) und sagt, dass er sich bei ihnen finden lässt?

Wenn das die Einsicht über Gott ist, dass er sich nicht nur im Stall und am Kreuz, sondern überall dort finden lässt, wo Menschen benachteiligt sind, dann präsentiert uns das Evengelium eine erschreckende Einsicht über Gott.
Ich muss gar nicht in die Kirche gehen, um Gott zu finden, ich muss mich nur umwenden zu meinem Nachbarn – und kann Gott in diesem Menschen entdecken.

Gott selbst ist an Weihnachten nämlich Mensch geworden. Nennen wir diese Einsicht über Gott also ruhig die Weihnachtseinsicht.
Gott überrascht uns mit einer Nachricht, die fast so erschreckend ist, wie der Einbruch eines Diebes in der Nacht: Du findest mich nebenan.

Doch das Evangelium geht noch weiter und wendet sich dem Menschen zu (vgl. Lk 12,42ff).
Jetzt wählt Jesus das Bild eines verantwortungsbewussten Knechtes.
Es ist einer, der sich um die anderen sorgt, anstatt sich selbst den Bauch vollzuschlagen und sich zu berauschen. Und zugleich einer, der sich darüber im Klaren ist, dass alles, was er geben kann, nicht sein ist, sondern dass er nur das Eigentum seines Herrn verwaltet.

Das ist das Idealbild des Menschen, wie Jesus sich ihn vorstellt.

Und welch Wunder: Es ist ein Mensch, wie Jesus selbst einer war.
Auch er hat sich um die Ausgestoßenen gekümmert, mit den Kindern gespielt, die Kranken geheilt und die Sünder an seinen Tisch geladen. Und dabei immer auf Gott verwiesen. Er hat nicht behauptet, dass er aus eigener Wunderkraft oder Klugheit etwas könne, sondern immer klar gemacht, dass es Gott ist, um den es geht.

Und hier kommt die zweite Einsicht des Textes, die wir vielleicht die Ostereinsicht nennen können. Denn an Ostern hat sich dieser Mensch Jesus Christus von seiner Sorge für die Menschen vollends verzehren lassen, so dass er am Kreuz gestorben ist. Und er hat vollends klar gemacht, dass er sein Leben von Gott empfangen hat und es ihm zurückgibt.

Und neben dieser zweiten Einsicht gibt es noch etwas Drittes, das uns der Text verrät, wobei "verrät" eigentlich schon viel zu viel gesagt ist, denn es liegt ganz offen zutage: Es ist die Einsicht, dass unser Umgang miteinander etwas zu tun hat mit unserer Beziehung zu Gott.

Nachdem Gott sich im Menschen finden lässt, ist es eigentlich nur konsequent, dass wir daran gemessen werden, wie wir mit anderen Menschen umgehen.

Die Frage des christlichen Umgangs miteinander hat also nichts mit irgendwelchen äußeren Regeln zu tun, die auch gegen andere ausgetauscht werden könnten, sondern diese Frage gehört zum innersten Kern des Christseins. Es ist klar, dass der Gott, der sich mit den Menschen identifiziert, will, dass wir Menschen füreinander sorgen.

Eigentlich ist das alles nicht überraschend, aber ich finde es schön, eine Weihnachtseinsicht und eine Ostereinsicht, kurz: klare Botschaften auch in einem Text zu finden, in dem Gott zunächst als ein Dieb erscheint und der Christenmensch als ein Hausverwalter, der Essen auszuteilen hat.

Vor dem Austeilen will das Essen zubereitet werden.
Polen, 2019.

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