Wenn Gott zu uns kommt, dann schleicht
er sich an uns heran wie ein Dieb in der Nacht (vgl. Lk 12,39f).
So predigte es jedenfalls Jesus.
Diesen Gott, der wie ein Dieb kommt,
sollten wir tunlichst erwischen. Denn so wie der Dieb uns etwas
entwenden will, würde uns auch eine Menge entgehen, wenn wir Gott
davonkommen ließen.
Wachsamkeit heißt also das Gebot der
Stunde. Denn Gott ist ein Überraschungsgott. Immerhin das hat er mit
dem Brexit gemeinsam.
Und es ist die erste Einsicht dieses
Evangeliums. Es ist eine Einsicht über Gott. Denn Gott überrascht
uns nicht nur zu einem Zeitpunkt, den wir nicht kennen, sondern auch
an Stellen in dieser Welt, die wir nicht für möglich gehalten
hätten.
Überraschend schwer zu finden: Dattelsirup und Butter in Kartoffelbrei. Neukölln, 2019. |
Ein Gottessohn, der in einem Stall
geboren wird? Ein Gottessohn, dessen wahre Bestimmung sich zeigt, als
er am Kreuz elendig stirbt?
Und schließlich ein Gottessohn, der
sich identifiziert mit den Hungrigen und Durstigen, mit den Fremden,
den Armen und Gefangenen (vgl. Mt 25,35ff) und sagt, dass er sich bei
ihnen finden lässt?
Wenn das die Einsicht über Gott ist,
dass er sich nicht nur im Stall und am Kreuz, sondern überall dort
finden lässt, wo Menschen benachteiligt sind, dann präsentiert uns
das Evengelium eine erschreckende Einsicht über Gott.
Ich muss gar nicht in die Kirche gehen,
um Gott zu finden, ich muss mich nur umwenden zu meinem Nachbarn –
und kann Gott in diesem Menschen entdecken.
Gott selbst ist an Weihnachten nämlich
Mensch geworden. Nennen wir diese Einsicht über Gott also ruhig die
Weihnachtseinsicht.
Gott überrascht uns mit einer
Nachricht, die fast so erschreckend ist, wie der Einbruch eines
Diebes in der Nacht: Du findest mich nebenan.
Doch das Evangelium geht noch weiter
und wendet sich dem Menschen zu (vgl. Lk 12,42ff).
Jetzt wählt Jesus das Bild eines
verantwortungsbewussten Knechtes.
Es ist einer, der sich um die anderen
sorgt, anstatt sich selbst den Bauch vollzuschlagen und sich zu
berauschen. Und zugleich einer, der sich darüber im Klaren ist, dass
alles, was er geben kann, nicht sein ist, sondern dass er nur das
Eigentum seines Herrn verwaltet.
Das ist das Idealbild des Menschen, wie
Jesus sich ihn vorstellt.
Und welch Wunder: Es ist ein Mensch,
wie Jesus selbst einer war.
Auch er hat sich um die Ausgestoßenen
gekümmert, mit den Kindern gespielt, die Kranken geheilt und die
Sünder an seinen Tisch geladen. Und dabei immer auf Gott verwiesen.
Er hat nicht behauptet, dass er aus eigener Wunderkraft oder Klugheit
etwas könne, sondern immer klar gemacht, dass es Gott ist, um den es
geht.
Und hier kommt die zweite Einsicht des
Textes, die wir vielleicht die Ostereinsicht nennen können. Denn an
Ostern hat sich dieser Mensch Jesus Christus von seiner Sorge für
die Menschen vollends verzehren lassen, so dass er am Kreuz gestorben
ist. Und er hat vollends klar gemacht, dass er sein Leben von Gott
empfangen hat und es ihm zurückgibt.
Und neben dieser zweiten Einsicht gibt
es noch etwas Drittes, das uns der Text verrät, wobei "verrät"
eigentlich schon viel zu viel gesagt ist, denn es liegt ganz offen
zutage: Es ist die Einsicht, dass unser Umgang miteinander etwas zu
tun hat mit unserer Beziehung zu Gott.
Nachdem Gott sich im Menschen finden
lässt, ist es eigentlich nur konsequent, dass wir daran gemessen
werden, wie wir mit anderen Menschen umgehen.
Die Frage des christlichen Umgangs
miteinander hat also nichts mit irgendwelchen äußeren Regeln zu
tun, die auch gegen andere ausgetauscht werden könnten, sondern
diese Frage gehört zum innersten Kern des Christseins. Es ist klar,
dass der Gott, der sich mit den Menschen identifiziert, will, dass
wir Menschen füreinander sorgen.
Eigentlich ist das alles nicht
überraschend, aber ich finde es schön, eine Weihnachtseinsicht und
eine Ostereinsicht, kurz: klare Botschaften auch in einem Text zu
finden, in dem Gott zunächst als ein Dieb erscheint und der
Christenmensch als ein Hausverwalter, der Essen auszuteilen hat.
Vor dem Austeilen will das Essen zubereitet werden. Polen, 2019. |
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