J.M. Coetzee legt die
folgenden Aussagen Ana Magdalena Arroyo in den Mund, der Leiterin
einer Tanzschule und Ehefrau eines begnadeten Komponisten. Die
Tanzschule hat eine platonisch-pythagoreische Grundlagenphilosophie
und David, der im Vorgängerband „Die Kindheit Jesu“ mit
seinem Ziehvater in das neue Land gekommen ist, besucht diese Schule.
Nur Schatten!? Hausflur, Neukölln, 2018. |
"Wie wir wissen,
lassen wir vom Tag unserer Ankunft in diesem Leben unsere frühere
Existenz hinter uns. Wir vergessen sie. Doch nicht vollständig. Von
unserer früheren Existenz bleiben gewisse Reste – keine
Erinnerungen im üblichen Sinne des Wortes, sondern was wir Schatten
von Erinnerungen nennen können. Wenn wir uns dann an unser neues
Leben gewöhnen, verblassen selbst diese Schatten, bis wir unsere
Herkunft ganz und gar vergessen haben und akzeptieren, dass das, was
unsere Augen sehen, das einzige Leben ist.
Das Kind jedoch, das
kleine Kind, hat noch tiefe Eindrücke von einem früheren Leben,
schattenhafte Erinnerungen, die es nicht in Worte fassen kann."1
Einerseits: Mit der Ankunft ist alles
Vorherige vorbei und etwas völlig Neues beginnt.
Andererseits: Je mehr ich mich an die
Welt gewöhne, desto weniger kann ich spüren, woher ich komme.
Manche Menschen fühlen
sich im Advent besonders angesprochen von religiösen Fragen.
Vielleicht ist da ein schattenhaftes Ahnen, dass es mehr gibt als den
Alltag mit Rationalität und Hektik.
Wie geht es mir damit?
Kann ich glauben, dass da mehr ist als „das, was unsere Augen
sehen“? Und was konkret stelle ich mir da vor?
Ich kann Gott meinen
Zweifel und mein Vertrauen im Gebet hinhalten.
1 J.M.
Coetzee, Die Schulzeit Jesu. Frankfurt a.M. 2018, 85.