Donnerstag, 6. Dezember 2018

Ankunftszeit 6 – Verspätet in "Altes Land" von Dörte Hansen

Die Musiklehrerin Anne gerät mit ihrem Leben an die Grenze der Überforderung, als sie mitbekommt, dass ihr Freund sie betrügt. Darum wird sie im Verlauf von Dörte Hansens Bestseller aus Hamburg in das titelgebende Alte Land entfliehen. Zuvor jedoch holt sie ihren Sohn Leon aus der Kita ab, allerdings leicht verspätet:

Irgendwas mit Warten und Tannengrün.
Erkner, 2018.
"Im Gruppenraum der Käfer standen die Stühle auf dem Tisch, der Boden war gefegt, gewischt, schon wieder trocken, jetzt legte Marion im Wickelraum die Handtücher zusammen, was gar nicht ihr Job war. Sie war hier nicht die Hauswirtschafterin, sie war die pädagogische Leiterin der Käfergruppe, und während sie ein bisschen heftiger als nötig an den unschuldigen Handtüchern zerrte, behielt sie Leon im Auge, der wie bestellt und nicht abgeholt in der Spielecke saß. Ihm schien das allerdings nichts auszumachen, er baute konzentriert an einem Turm, der mittlerweile fast so hoch war wie er selbst.
Es waren immer dieselben Eltern, die viel zu spät hier angehechelt kamen und dann am liebsten noch die große Verzeih-mir-Show abzogen. Aber das hatte sie ihnen inzwischen ganz gut abgewöhnt.
Als Anne in den Gruppenraum stürzte, gab Leon seinem Turm einen Tritt, und die Bauklötze flogen donnernd durch den ganzen Gruppenraum, was Marion nicht toll fand, besonders nicht um acht nach drei."1

Es scheint sich um den Alptraum der schlimmstmöglichen Ankunft zu handeln – verspätet und unter den strengen Augen einer Wartenden.
Selbst zu spät kommen oder (in der Kälte) auf jemanden warten müssen, das sind Herausforderungen, die jeden je nach Veranlagung anders betreffen, die einen von dieser, die anderen von jener Seite.
Zum Glück wartet Gott nicht so genervt auf uns wie die Marion im Text, wenn wir es wieder einmal nicht schaffen, zu ihm zu kommen. Gott wartet geduldig auf uns.

Vielleicht ist heute Zeit, (wiederum je nach Veranlagung) entweder diejenigen, die unter meinem Zu-spät-Kommen leiden, im Gebet vor Gott zu bringen oder jene geduldig und liebevoll vor mein inneres Auge zu holen, auf die ich immer mal warten muss.


1   D. Hansen, Altes Land. 8. Aufl. München 2017, 68.