Marie
ist die Tochter eines wohlhabenden Bauern, Jakob ein Waise, der Jahre
für Jahr die Kühe des Bauern oben in den Bergen hütet. Jedes Jahr
bringt Jakob die Herde ins Tal und sieht Marie. Aber dieses Jahr ist
etwas anders.
Auf der Weide. Linumer Bruch, 2018. |
"Neben Marie steht
wachsam ein Hund. Sie tätschelt ihm zärtlich die Flanke, dann winkt
sie rasch zu Jakob hinüber. Er winkt zurück. Marie und Jakob winken
einander schon seit sieben Jahren von ferne zu. Aber näher gekommen
sind sie sich noch nie, der Bauer hat es nicht zugelassen. ...
Er sieht sie und sie
sieht ihn, die beiden verstehen gar nicht, was vor sich geht, sie
kennen die Liebe noch nicht. Marie hat sie bei ihren Freundinnen
beobachtet und versteht sie als einen Zustand vorübergehender
Unzurechnungsfähigkeit bei erhöhter Körpertemperatur. Für Jakob
ist sie das, was der Stier auf der Weide mit der Kuh macht.
In dieser einen Sekunde
aber, da sie einander zuwinken, erkennt Marie im klaren Blick seiner
hellgrauen Augen, dass er sie ganz und gar wahrnimmt, ohne Vorbehalt
und ohne Urteil, und auch Jakob kann sehen, dass sie ihn erkannt und
in sich aufgenommen hat. Wie ein Blitz durchfährt sie beide die
Erleuchtung, auf einen Schlag wird ihnen alles, wirklich alles
klar..."1
Die Liebe ist da.
Mit einem Schlag hat sie
die beiden übermannt und alles auf den Kopf gestellt.
Was sie vorher über die
Liebe zu wissen glaubten, gilt nun nicht mehr.
Denn nun stellt sich
Klarheit ein.
So tritt auch Gottes
menschgewordene Liebe in die Welt und alles, was wir Menschen vorher
über Gott und Mensch zu wissen glaubten, steht danach auf dem Kopf –
oder besser: endlich auf den Füßen.
Heute danke ich Gott für
seine Liebe, die der tiefste Grund ist, warum er zu uns kommt.
1 A.
Capus, Königskinder. München 2018, 35.37.