Sonntag, 2. Dezember 2018

Ankunftszeit 2 – Zurückgezogen in "Wie hoch die Wasser steigen" von Anja Kampmann

Kampmanns Roman ist ein Roadmovie in fast lyrischer Sprache, eine Geschichte mit vielen Stationen, doch ohne wirklich Ankünfte: Nach dem Unfalltod seines Freundes verlässt Waclaw die Bohrinsel, auf der er gearbeitet hat und macht sich auf den Weg in ein neues Leben.
Am Ende kehrt der traurige Held in die Stadt seiner Kindheit Bottrop zurück:

Endlose Straße.
Wald bei Rüdersdorf, 2015.
"Der schmale Bürgersteig, Liguster, die alte Tanne und der Rasen, im Weiterfahren kam ihm ein Junge entgegen, ein Pflaster drückte von innen gegen sein Brillenglas, er trug einen Brustbeutel und hatte die Hände weit zurückgezogen in die Ärmel seines Pullovers. Die Straße vor ihm schien endlos. Es waren weniger Kinder da als früher, oder sie zeigten sich nicht. Und da war er wieder, der Geruch der Esse; als hätte man mit einem Stück Kohle auf der Straße gemalt, an einem heißen Sonnentag.
Waclaw fuhr den Fiorino langsam, als würde er zu Fuß gehen ... er war müde, und sein Mund war trocken. Im Rückspiegel sah ihn jemand an, der gelernt hatte, sich weit hinter seine Augen zurückzuziehen.
Er kaufte Leberwurst und Brötchen in einer Schlachterei, und er fragte nach einer Pension, aber der Mann schüttelte nur den Kopf."1


Trostlosigkeit spricht aus dieser Ankunft.
Zweimal wird in diesem kurzen Abschnitt gesagt, dass sich einer bzw. etwas zurückgezogen hat. Die Ankunft wirkt durch diese Formulierungen unvollendet, denn um wirklich anzukommen bedarf es zunächst des Herauskommens und Losgehens.

Im Advent will Gott mich aus meinem Panzer herauslocken, damit er bei mir ankommen kann.

Wo ist in meinem Leben ein Aufbruch nötig? Wo muss ich losgehen, damit Ankunft möglich wird?


1   A. Kampmann, Wie hoch die Wasser steigen. München 2018, 286.