Der
Vater verlässt mit den Kindern die Mutter und zieht aus der
dörflichen Umgebung in Tennessee nach Brooklyn in New York. Jahre
später erinnert die erwachsene Heldin ihren Umzug vom Land in die
Stadt:
Graue Großstadt. Jobcenter, Neukölln, 2015. |
"Es war im Sommer 1973, ich war acht Jahre alt,
mein kleiner Bruder vier, und in der heißen Stadt wurde er zum
Daumenlutscher mit großen ängstlichen Augen.
Die kleine Wohnung befand sich im obersten Stock eines dreigeschossigen Hauses. Mein Bruder und ich hatten noch nie so weit oben gewohnt, und wir starrten stundenlang durch die von Farbe zugeklebten Fenster auf die Straße hinunter.
Die vorbeigehenden Leute waren alle auf die eine oder andere Weise schön – schön dünn, schön dick, schön kahl, mit schönen Afros oder Cornrows oder Glatzen. Schön gekleidet in leuchtend bunten afrikanischen Daschikis, ausgestellten Jeans, Miniröcken und knappen Oberteilen.
Das Grün von Tennessee verblasste schnell in der fremden Welt von Brooklyn, wo die Hitze aus dem Beton stieg. Ich dachte oft an meine Mutter, streichelte meine Wange und stellte mir dabei vor, wie sie neben mir stand und mir das Neue erklärte, das schnelle Tempo, das undurchdringliche Grau."1
Die kleine Wohnung befand sich im obersten Stock eines dreigeschossigen Hauses. Mein Bruder und ich hatten noch nie so weit oben gewohnt, und wir starrten stundenlang durch die von Farbe zugeklebten Fenster auf die Straße hinunter.
Die vorbeigehenden Leute waren alle auf die eine oder andere Weise schön – schön dünn, schön dick, schön kahl, mit schönen Afros oder Cornrows oder Glatzen. Schön gekleidet in leuchtend bunten afrikanischen Daschikis, ausgestellten Jeans, Miniröcken und knappen Oberteilen.
Das Grün von Tennessee verblasste schnell in der fremden Welt von Brooklyn, wo die Hitze aus dem Beton stieg. Ich dachte oft an meine Mutter, streichelte meine Wange und stellte mir dabei vor, wie sie neben mir stand und mir das Neue erklärte, das schnelle Tempo, das undurchdringliche Grau."1
Wie gebannt starren die
Kinder in diese neue Welt. Und erleben ihre Ankunft als äußerst
ambivalent: die Menschen erscheinen ihnen schön, die Stadt aber
undurchdringlich grau.
Wie oft geht mir das so in
einer neuen Situation – viel Faszination, durchmischt mit der
Trauer um das Vergangene und der Furcht vor dem Neuen.
Beides gehört zusammen,
und beides soll Platz haben in mir.
Heute nehme ich mir vor,
dass ich das Schlechte nicht auf Kosten des Guten und das Gute nicht
auf Kosten des Schlechten verdränge, damit ich die Welt sehe, wie
sie ist.
1 J.
Woodson, Ein anderes Brooklyn. München 2018, 23f.