Samstag, 22. Dezember 2018

Ankunftszeit 22 – Eingekerkert in "Gott ist nicht schüchtern“ von Olga Grjasnowa

Der Roman erzählt auf beklemmend realistische Weise die Geschichte zweier erfolgsverwöhnter Syrer in der Zeit der ersten Aufstände gegen Assads Regime. Hammoudi reist von Paris, wo er wohnt, nach Syrien, um seinen Pass verlängern zu lassen – und scheitert an diesem eigentlich formalen Procedere. Amal, die junge Schauspielerin, wird nach einer Demonstration auf offener Straße verhaftet und ins Gefängnis verbracht.

Ein Platz zum Ausruhen!
Vitte, Hiddensee, 2018.
"Man bringt sie zu irgendeiner Zweigstelle des Geheimdienstes, die Gefangenen sollen nicht wissen, um welche es sich handelt, deswegen ist Amals Pullover immer noch über ihren Kopf gezogen und ihre Hände sind noch auf ihrem Rücken gefesselt. Sie friert und zittert, obwohl im Gebäude subtropische Temperaturen herrschen. ... Nur wenige Minuten später wird Amal in eine Zelle gestoßen. Die Zelle misst zwei mal drei Meter und hält an die fünfundzwanzig Frauen gefangen. Im Boden ist ein kleines Loch eingelassen, das als Toilette fungiert. Aus Angst vor Ratten lassen die Insassen die Spülung die ganze Zeit über laufen, wobei das eine Übertreibung ist – es ist nur ein kleiner Schlauch, aus dem Wasser tröpfelt. ... Es gibt keinen Platz, um sich hinzulegen, die Frauen schlafen in Schichten. Nun treten aber zwei Frauen zu Seite und lassen Amal ausruhen."1

Ruhe finden.
Nach dieser Tortur (von der ich ehrlicherweise einen besonders anstrengenden Teil ausgelassen habe) braucht die junge Frau einfach einen Ort, an dem sie niedersinken kann.

Und mitten in der ekelhaftesten Umgebung, in der äußersten Qual, findet sie Mitmenschlichkeit.
Die Frauen setzen einen Kontrapunkt zu der lebensfeindlichen Umgebung, in der sie sich befinden.

Dazu sind auch wir Christen aufgerufen – diese Welt zu einem Ort der Menschlichkeit zu machen.
Wo kann ich heute dazu beitragen?

 
1   O. Grjasnowa, Gott ist nicht schüchtern. Berlin 2017, 94.95.