Manchmal reißt mich Lyrik aus den
wirren Verengungen meiner alltäglichen Verrichtungen. Dazu, wird
mancher mit Funktionsblick sagen, wurde sie ja auch gemacht.
Augenweitend, neues Land eröffnend, zum Aufatmen.
Interessanterweise sprechen mich oft
jene Dichterinnen und Dichter besonders an, die Enge und Grauen des
20. Jahrhunderts existenziell erlitten haben: Mascha Kaléko, Paul
Celan, Hilde Domin, Nelly Sachs – und eben Rose Ausländer.
Themen wie Heimat und Heimatverlust,
Vertrauen auf das menschliche Miteinander und die nicht vergehende
Hoffnung prägen die Gedichte dieser überlebenden jüdischen weltzugewandten Frau aus Czernowitz.
So auch dieses, das mich sehr
berührt:
Bekenntnis1
Ich bekenne mich
zur Erde und ihren
gefährlichen Geheimnissen
gefährlichen Geheimnissen
zu Regen Schnee
Baum und Berg
Baum und Berg
zur mütterlichen mörderischen
Sonne zum Wasser und
seiner Flucht
Sonne zum Wasser und
seiner Flucht
zu Milch und Brot
zur Poesie
die das Märchen vom Menschen
spinnt
die das Märchen vom Menschen
spinnt
zum Menschen
bekenne ich mich
mit allen Worten
die mich erschaffen
die mich erschaffen
Das meist religiös besetzte und im
Sprachgebrauch weit oben schwingende Wort "Bekenntnis" für
die profanen Weltdinge und den Menschen verwenden – das wendet dort
existenzielles Pathos an, wo meist nur nach Funktion und Zweck
gefragt wird. Das ist Affirmation, Überzeugung und Engagement.
Dergestalt zu bejahen und sich damit unmissverständlich zu
positionieren erfordert Mut.
Gerade dort, wo auch die
mütterlich-mörderischen und flüchtig-kontingenten Seiten bekannt
sind, gilt das um so mehr. Bei Sonne und Wasser ebenso wie beim
Menschen.
Eis, gebrochen. Spree, Berlin, 2012. |
Der Ausdruck "Märchen vom Menschen"
lässt in der Schwebe, ob es der Autorin um die
illusorische-hoffend-hoffnungslose Mär geht oder um das traumhaft
Schöne, das im Menschen isr. Sie bekennt sich. Menschsein haißt
poetisch-worthaft und damit dem Logos verbunden – dem Wort, dem
Sinn, der Rede und der Vernunft. Auch ein solches Bekenntnis zum
Menschen beweist Mut, gerade angesichts des
mörderisch rational-irrationalen 20. Jahrhunderts. Noch dazu, wenn
es so unzweideutig und deutlich, klar und entschieden "mit allen
Worten" erfolgt.
Vielleicht geht das wirklich nur im
Vertrauen darauf, selbst mit Sinn "erschaffen", gewollt und
ausgerichtet zu sein.
1
In: Rose Ausländer, Aschensommer. Ausgewählte Gedichte. Köln
1977, S.117.