Sich selbst helfen zu können –
angesichts der Schrecknisse, die die Natur dieser Tage wieder einmal
über Menschen bringt, scheint das auch für aufgeklärte Gemüter
vermessen. Nicht dass ich glaubte, ein Gott würde ex machina
eingreifen in die Weltgeschehnisse und aus dem Außen zur Welt
dieselbe gerade rücken.
Ausgeliefert zu sein ist vielmehr eine
Erfahrung sowohl der "Gottverbundenen" als auch der
"Gottlosen"; es bleibt nicht aus, dieses Gefühl, die Dinge
nicht mehr in der Hand zu haben und sich selbst nicht helfen zu
können.
Vielleicht ist das auch gar nicht
schlecht, denn es rückt bei den Einen wie bei den Anderen die
falschen Sicherheiten, die wir zur Alltagsbewältigung aufbauen,
zurecht. "Eine gute Antwort gibt ihre Fraglichkeit nicht auf",
wie Elazar Benyoëtz aphoristisch formuliert.1
Über das zum Ende des Kirchenjahres gefeierte Christkönigsfest am letzten Sonntag vor Advent kann man geteilter Meinung sein – triumphalistischer Anspruch des Christengottes über die Welt nach dem Zusammenbruch großer Reiche nach dem Ersten Weltkrieg oder Betonung des Dienstauftrags aller Herrschaft aus dem Geist von Demut und Hingabebereitschaft. Heutige Theologie betont die Tradition biblischer Kritik an der machtvollen Institution des Königtums in der alten Welt zugunsten der Liebesbotschaft eines am Kreuz schmachvoll Verendeten.
Sich nicht selbst befreien zu können
zeigt sich gerade in diesem Moment am Kreuz. Ein exemplarischer
Moment für das Leben dieses jüdischen Mannes aus dem Kleinststaat
am Rande des römischen Imperiums, dessen Lehre sich in der
Geschichte so ambivalent durchgesetzt hat.
In diesem Augenblick am Kreuz zeigte er
sich, wie er war – auch hier passend Benyoëtz:
"Es ist immer
ein Moment
der Schwäche,
der ein Leben
beleuchtet."2
Die Lesung aus dem
Lukasevangelium (23,35-43) an diesem Sonntag ist durchzogen von den
höhnischen Hinweisen der Umstehenden auf die Hilflosigkeit Jesu –
"die führenden Männer des Volkes" (v 35) spotten ebenso
über den Gekreuzigten wie die "Soldaten" (v 36) und "einer
der Verbrecher" (v 39), der neben ihm gekreuzigt worden war.
Die Kultivierung
des Bewusstseins, sich auf einen solchermaßen Ausgelieferten zu
beziehen, stünde uns Christen bisweilen gut an. Die demütige
Besinnung darauf würde wohl auch die Schlagkräftigkeit vieler
Argumentationen reduzieren. Der sprachlich und körperlich gewaltlose
Umgang miteinander ist spürbar eine echte Herausforderung.
Auch der
politische Betrieb kann sich in einer Mediengesellschaft nicht
derartig bewähren, wenn beispielsweise zeitweilige Zurückhaltung
nur instrumentell eingesetzt oder jedenfalls interpretiert wird, um
Koalitionsverhandlungen nicht zu gefährden. Abgrenzung und
Profilierung verweisen auf "Markenkerne" und den
postulierten "Wählerwillen". Das Eingeständnis dagegen,
die demografische Pyramide nicht umkehren zu können, die Abwanderung
aus ostdeutschen Landesteilen nicht stoppen zu können,
Klimaveränderungen weitgehend machtlos gegenüber zu stehen, kommt
im politisch-öffentlichen Sprachgebrauch nicht vor.
Der Anspruch des Machen-Könnens bleibt die Antwort auf die Überforderungen in einer komplexen Welt. Anders ließe sich Macht auch schwerlich gesellschaftlich legitimieren. Wo die Macht zugäbe, partiell machtlos zu sein, tauchen genug Wunderversprecher aus dem Hintergrund auf, die anbieten, was Jesus dem Gekreuzigten auf der anderen Seite versprach: "Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." (v 43)
Ein solcher Satz kann nur maßlos sein, gerade im Moment äußerster
Schwäche und Hilflosigkeit. Oder
aber göttlich.
2
Ebd., 117.