Donnerstag, 28. November 2013

Das Bodemuseum als Vorhof der Völker


Grenzen und Distanzen schillern, verschwimmen und verschwinden in unseren Tagen der späten Moderne. Durch Webkommunikation, globale Märkte und das Schwinden von Standes- und Klassenschranken scheinen viele Unterschiede, vor allem in den Ländern des Westens, nicht mehr zu existieren oder jedenfalls nicht mehr sonderlich relevant zu sein.
Es finden ganz alltäglich und unkompliziert Begegnungen statt, die noch vor ein oder zwei Generationen nicht denkbar schienen. Gleichzeitig treten auch bestimmte Unterschiede krass und besonders deutlich hervor, Eindeutigkeitsgeister drängen Vermischungen zurück und Konfessionen profilieren sich auf Kosten der jeweils anderen.

Installation, Bodemuseum Berlin, Vorhof der Völker, 2013.
Äußerst interessant finde ich darum die vatikanische Initiative "Vorhof der Völker", die das Gespräch von Gläubigen und Ungläubigen sucht und Nahkontakte fördern will. Der Name basiert auf dem Platz, der im alten Jerusalemer Tempel einen Raum bot, in dem Juden und Heiden sich im Umfeld der heiligen Stätte austauschen konnten. Seit 2011 reist diese "Vorhof"-Initiative mit wechselnden Themen durch unterschiedliche Großstädte der Welt (u.a. Bologna, Paris, Bukarest, Mexiko City) und gibt Menschen Möglichkeit zu Begegnung und Diskussion, auf Podien und immer wieder auch durch künstlerische Veranstaltungen.

Ich konnte während der Berliner Station bei einem Kunstprojekt im Bodemuseum teilnehmen, das vorrangig für Schüler und Studenten angeboten war und unter dem Titel "Glaubst du, was du weißt, oder weißt du, was du glaubst?" stand.
In zwei Prozessionen ging es durch dunkle Räume, in denen schlaglichtartig einzelne Bilder oder Skulpturen beleuchtet waren.
Dazwischen Darsteller, die Fragen stellten – "Was denkst du nachts, wenn du in den bestirnten Himmel schaust?"
Vor einem großen Tor stehend der Musik lauschen, die dahinter in einem weit hallenden Raum erklingt.
Einem Slammer zwischen Tänzerin und Engel stehend bei seinen Reflexionen über Rationalität, Glauben, Wissen, Gott, Fragen und Antworten zuhören.
Ins Gespräch kommen angesichts der Kommentare zu einzelnen Kunstwerken, die aus einer gläubigen oder ungläubigen Perspektive heraus vorgestellt werden.
In großer Runde noch einmal Revue passieren lassen, wie Glaube und Nichtglaube das Leben prägen können. 

Performance, Bodemuseum Berlin, Vorhof der Völker, 2013.

In all diesem ambitionierten und schöngeistig Aufbereiteten aber wurde immer wieder gewartet, man stand, fragte sich, wann es nun weitergeht, die Zeit verstrich, stehen, warten ohne Ansagen oder Aussichten. Das zehrte an einem Abend drei Stunden lang doch etwas an den Nerven.

Dahinter die Frage: Kunst als (Vor-)Raum für die Begegnung von fragenden Gläubigen und Ungläubigen? Leider wurde im Gespräch weitgehend ausgespart, inwiefern künstlerischer und religiöser Ausdruck übereinkommen oder differieren. Wie das schwebende und nur andeutende, das in der Kunst zuweilen vorherrscht und neue Räume eröffnet, als ein Ausdrucksmodus vorkommt, den auch religiöser Glaube kennt. Dass das worthaft nicht einfach Hinstellbare in den offenen und vielfache Bezüge ermöglichenden künstlerischen Arbeiten ebenso Gestalt werden annehmen wie in religiöser Praxis. Diese mich umtreibenden Themen blieben gestern nur Beiwerk.

Was bleibt für mich? Ich habe die Vorträge und Podien des gesamten "Vorhof"-Ereignisses in Berlin leider nicht verfolgen können, spreche nur über meine Erfahrung in den großartigen Räumlichkeiten des Bodemuseums. 

Diskussion, Bodemuseum Berlin,
Vorhof der Völker, 2013.
Angesichts der verbreiteten Indifferenz gegenüber religiösen Fragen (von kirchlichen ganz zu schweigen, wenn Skandalthemen ausgenommen sind) bin ich mir nicht sicher, welche Grenzen hier gesprengt werden sollen, welche Räume tatsächlich geöffnet werden. Inwieweit werden Individuen überhaupt (noch) durch die vorgelegten Identitätsmuster geprägt, wie viel ist nur noch Schablone? Welche Fragen prägen das Leben der Einzelnen existenziell? Reicht es überhaupt hin bis zum Bekenntnis für oder gegen bestimmte Überzeugungen oder verlieren auch hier die Grenzen ihre Undurchlässigkeit?

Die Grenze der gestrigen Veranstaltung schien nach meiner Meinung jedenfalls eher zwischen dem künstlerischen Anspruch der Vorbereitenden und den Kapazitäten der jüngeren Anwesenden zu verlaufen.
Nichtsdestotrotz, Fragen zu stellen und sich in kontroverser und selbstkritischer Weise mit den Themen von Glauben und Nichtglauben, was immer das dann für den Einzelnen ist und bedeutet, auseinander zu setzen – das kann nicht schlecht sein. Und dass eine Menge Fragen offen blieben - das eint wohl Kunst und Religion genauso wie Gläubige und Nichtgläubige, egal wie sehr sie sich damit auseinander setzen oder nicht.