Grenzen und Distanzen schillern,
verschwimmen und verschwinden in unseren Tagen der späten Moderne.
Durch Webkommunikation, globale Märkte und das Schwinden von
Standes- und Klassenschranken scheinen viele Unterschiede, vor allem
in den Ländern des Westens, nicht mehr zu existieren oder jedenfalls
nicht mehr sonderlich relevant zu sein.
Es finden ganz alltäglich und
unkompliziert Begegnungen statt, die noch vor ein oder zwei
Generationen nicht denkbar schienen. Gleichzeitig treten auch
bestimmte Unterschiede krass und besonders deutlich hervor,
Eindeutigkeitsgeister drängen Vermischungen zurück und Konfessionen
profilieren sich auf Kosten der jeweils anderen.
Installation, Bodemuseum Berlin, Vorhof der Völker, 2013. |
Ich konnte während der Berliner
Station bei einem Kunstprojekt im Bodemuseum teilnehmen, das
vorrangig für Schüler und Studenten angeboten war und unter dem
Titel "Glaubst du, was du weißt, oder weißt du, was du
glaubst?" stand.
In zwei Prozessionen ging es durch dunkle Räume, in denen schlaglichtartig einzelne Bilder oder Skulpturen beleuchtet waren.
In zwei Prozessionen ging es durch dunkle Räume, in denen schlaglichtartig einzelne Bilder oder Skulpturen beleuchtet waren.
Dazwischen Darsteller, die Fragen
stellten – "Was denkst du nachts, wenn du in den bestirnten
Himmel schaust?"
Vor einem großen Tor stehend der Musik
lauschen, die dahinter in einem weit hallenden Raum erklingt.
Einem Slammer zwischen Tänzerin und
Engel stehend bei seinen Reflexionen über Rationalität, Glauben,
Wissen, Gott, Fragen und Antworten zuhören.
Ins Gespräch kommen angesichts der
Kommentare zu einzelnen Kunstwerken, die aus einer gläubigen oder
ungläubigen Perspektive heraus vorgestellt werden.
In großer Runde noch einmal Revue
passieren lassen, wie Glaube und Nichtglaube das Leben prägen können.
Performance, Bodemuseum Berlin, Vorhof der Völker, 2013. |
In all diesem ambitionierten und schöngeistig Aufbereiteten aber wurde immer wieder gewartet, man stand, fragte sich, wann es nun weitergeht, die Zeit verstrich, stehen, warten ohne Ansagen oder Aussichten. Das zehrte an einem Abend drei Stunden lang doch etwas an den Nerven.
Dahinter die Frage: Kunst als
(Vor-)Raum für die Begegnung von fragenden Gläubigen und
Ungläubigen? Leider wurde im Gespräch weitgehend ausgespart,
inwiefern künstlerischer und religiöser Ausdruck übereinkommen
oder differieren. Wie das schwebende und nur andeutende, das in der Kunst
zuweilen vorherrscht und neue Räume eröffnet, als ein
Ausdrucksmodus vorkommt, den auch religiöser Glaube kennt. Dass das worthaft
nicht einfach Hinstellbare in den offenen und vielfache Bezüge
ermöglichenden künstlerischen Arbeiten ebenso Gestalt werden annehmen wie in
religiöser Praxis. Diese mich umtreibenden Themen blieben gestern nur Beiwerk.
Was bleibt für mich? Ich habe die Vorträge und Podien des gesamten "Vorhof"-Ereignisses in Berlin leider nicht verfolgen können, spreche nur über meine Erfahrung in den großartigen Räumlichkeiten des Bodemuseums.
Diskussion, Bodemuseum Berlin, Vorhof der Völker, 2013. |
Angesichts der verbreiteten Indifferenz
gegenüber religiösen Fragen (von kirchlichen ganz zu schweigen,
wenn Skandalthemen ausgenommen sind) bin ich mir nicht sicher, welche
Grenzen hier gesprengt werden sollen, welche Räume tatsächlich
geöffnet werden. Inwieweit werden Individuen überhaupt (noch) durch
die vorgelegten Identitätsmuster geprägt, wie viel ist nur noch
Schablone? Welche Fragen prägen das Leben der Einzelnen
existenziell? Reicht es überhaupt hin bis zum Bekenntnis für oder
gegen bestimmte Überzeugungen oder verlieren auch hier die Grenzen
ihre Undurchlässigkeit?
Die Grenze der gestrigen
Veranstaltung schien nach meiner Meinung jedenfalls eher zwischen dem
künstlerischen Anspruch der Vorbereitenden und den Kapazitäten der
jüngeren Anwesenden zu verlaufen.
Nichtsdestotrotz, Fragen zu stellen und
sich in kontroverser und selbstkritischer Weise mit den Themen von
Glauben und Nichtglauben, was immer das dann für den Einzelnen ist
und bedeutet, auseinander zu setzen – das kann nicht schlecht sein. Und dass eine Menge Fragen offen blieben - das eint wohl Kunst und Religion genauso wie Gläubige und Nichtgläubige, egal wie sehr sie sich damit auseinander setzen oder nicht.