Ein Mann sitzt auf einem Baum und
schaut den Geschehnissen um diesen Jesus zunächst mit Abstand zu.
Die mir eingängigsten Gedanken zur Zachäusgeschichte fand ich im besten religiösen Buch, das ich in den letzten Jahren las – Tomáš Halík, "Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute."
Die mir eingängigsten Gedanken zur Zachäusgeschichte fand ich im besten religiösen Buch, das ich in den letzten Jahren las – Tomáš Halík, "Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute."
"Beim Nachdenken über die
Begegnung Jesu mit Zachäus und über viele andere Begegnungen seines
"vorrangigen Interesses an den Menschen am Rande" kam mir
der Gedanke, ob zu einer vollen Nachfolge Christi heute nicht noch
etwas anderes gehörte: das Interesse, ja sogar das vorrangige
Interesse an den Menschen am Rande der Gemeinschaft des Glaubens;
an jenen, die im Vorraum der Kirche verharren, sofern sie den Weg in
deren Nähe überhaupt gefunden haben. Das Interesse an Menschen in
der "grauen Zone" zwischen der religiösen Sicherheit und
dem Atheismus, an den Zweifelnden und Suchenden.
Gewiss, unter diesen Suchenden gehen
heutzutage Missionare fast aller Religionen, Kirchen und Sekten auf
Fischfang. Lob für dieses Interesse würde ich bestimmt auch von
manchen Priestern, Schriftgelehrten und Pharisäern ernten.
Ich verstehe das Interesse an diesen Menschen am Rande jedoch nicht
im eng missionarischen Sinn. Es geht mir nicht vorrangig darum, sie
zu "bekehren" – und Unsicheren "Sichere" zu
machen. [...] Jesus machte aus der Armut eine Metapher des
Offenseins für Gottes Gaben. Es geht darum, sich den Geist
der Armut zu bewahren, sich nicht einzuordnen unter die Satten,
Sicheren und Selbstsicheren, die zufrieden und in sich selbst
verschlossen sind.
Ähnlich fühle ich es auch im
geistlichen Sinne: man soll den Geist der Suchenden wahren.
(Die geistlichen Meister des Orients bezeichnen ihn als Geist der
Anfänger.) Ich habe nichts gegen Missionen und Predigten, soe sind
genauso notwendig und wichtig wie die kirchlichen
Caritaseinrichtungen. Man muss lehren und man muss Hungernde speisen.
Hier geht es jedoch um etwas anderes. Wir müssen Suchende
bleiben, so wie wir auch den Geist der Armut haben müssen –
man muss offen bleiben, denn nur zu Menschen, die offen sind,
kann das Reich Gottes kommen."1
Ehem. Flakturm, Humboldthain, Berlin |
"Die Befreiungstheologie kam mit
einem sehr wichtigen Appell: das Evangelium sei mit den Augen der
Armen zu lesen. Ihre Vertreter verlangten, die Schrift sowie das
Zeugnis der Überlieferung müsse aus der Perspektive der Armen
gelesen werden, was nur jener imstande sei zu verstehen, der selbst
arm ist oder sich mit den Armen tatkräftig solidarisiert. Sie
schlugen vor, in diesem Geiste alle Theologie neu zu überdenken und
zu reinterpretieren.
Heute könnten wir jedoch noch eine
andere hermeneutische Regel anbieten, noch einen Schlüssel zu einem
neuen Verstehen der Schrift und der christlichen Botschaft [...]: Die
Schrift soll gelesen und der Glaube soll gelebt werden auch aus der
Perspektive unserer tiefen Solidarität mit den im Bereich der
Religion suchenden Menschen oder auch mit jenen, die die
Verborgenheit Gottes und die Transzendenz "von der anderen Seite
her" erfahren. Wir sollen mit den Ohren des Zachäus hören,
wozu Jesus uns aufruft. Wir sollen mit den Augen des Zachäus auf
Jesus blicken, aus dem Versteck im Baum, das zugleich ein Ort des
Ausschauhaltens und der Erwartung ist."2
1 T.
Halík, Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute. Freiburg
i.Br. 5. Aufl. 2012, 36-38.
2 Ebd.,
39.