Aus gegebenem Anlass habe
ich dieser Tage noch einmal George Orwells Klassiker "1984" gelesen - mit großem Gewinn. Psychologisch hellsichtig und
politologisch scharfzüngig analysiert er die Voraussetzungen von
Macht und Unterdrückung, die Kriegsführung mit äußeren Gegnern um
des Machterhalts nach innen willen und zeigt die
Unterwerfung und ihre Folgen anhand des dissidentisch weil individuell fühlenden Winston Smith
unter die Ansprüche der Partei.
Durch die angestrebte Kontrolle über Vergangenheit, Sprache, Alltag soll im Roman das gesamte Denken unter den Zugriff der Machthaber kommen.
Durch die angestrebte Kontrolle über Vergangenheit, Sprache, Alltag soll im Roman das gesamte Denken unter den Zugriff der Machthaber kommen.
Die politisch initiierte
Überwachung Orwells ist in unserer Realität einstweilen zweigeteilt: in mehr
oder weniger legal datensammelnde Unternehmen, kamera- und
internetgestützte Spielkonsolenhersteller und Soziale Netzwerke
einerseits und in die allerlei Daten illegal zum "Schutz vor
Terror" abgreifende bzw. das anderweitig Gesammelte nochmals
bündelnde NSA usw. andererseits.
Beide zusammen erfüllen
die Aufgabe der Orwellschen "Gedankenpolizei", die im Roman
das bestehende System des „Großen Bruders“ und seiner Partei
durch Überwachung zu erhalten hat.
Ob als Bürger,
Konsumenten oder Spaziergänger im öffentlichen (städtischen) Raum
– sehr passend für uns Heutige schien mir der folgende
Textausschnitt über die "Parteimitglieder" Ozeaniens:
Botschaftsschule, Berlin |
Diese ständige
Überwachung führt im Roman schließlich zur Einkerkerung und Folter
des Protagonisten Smith. Nach seinem Zerbrechen durch den endgültigen
Verrat an der geliebten Frau kommt die Neuformung der Partei zum
Zuge.
Deren Höhepunkt bilden
die letzten Sätze des Romans ab:
„Er blickte zu dem
gewaltigen Gesicht [des Großen Bruders] empor. Vierzig Jahre hatte er gebraucht, um
herauszufinden, was für ein Lächeln sich unter dem dunklen
Schnurrbart verbarg. O grausames, unnötiges
Missverständnis! O störrische, eigensinnige Verbannung von der
liebenden Brust! Zwei gingeschwängerte Tränen rollten ihm über die
Nasenflügel. Aber jetzt war es gut, es war alles in Ordnung, der
Kampf war zu Ende. Er hatte sich selbst überwunden. Er liebte den
Großen Bruder.“2
Den Schritt von der
Opposition zur Unterwerfung haben wir partiell bereits vollzogen –
wir nutzen weiterhin Soziale Netzwerke, kaufen bequem im Internet ein, gehen nicht auf
die Straße gegen die Überwachungspraxis der Geheimdienste. Was könnten wir auch ausrichten als kleinerer Bruder...?
Bleibt zu hoffen, dass
unsere "Liebe" zu Größeren Brüdern nicht größer wird als das Streben nach Autonomie und Widerständigkeit.
1 G.
Orwell, 1984. 8. Aufl. Frankfurt a.M. 1991, 211.
2 Ebd.,
299.