Der Berliner Philosoph Holm Tetens hat
sich jüngst einer für zeitgenössische Philosophen ungewöhnlichen
Aufgabe unterworfen – er hat versucht, unter dem Titel "Gott
denken. Ein Versuch über rationale Theologie"1
eine vernunftorientierte Theologie als philosophische Fragestellung
wiederzugewinnen.
In der Reclam-Reihe [Was bedeutet das
alles?] schreibt der (nach eigener Aussage) früher selbst agnostisch
und atheistisch argumentierende und "auf der
zeitgeistsicheren Seite beheimatet"2
gewesene Autor demzufolge über die Plausbilität von Theismus und
Naturalismus, über das Verhältnis von Physischem und Mentalem, über
Leid und Freiheit des Menschen – und macht sich schließlich gegen
einen naturalistisch orientierten philosophischen Mainstream für die
"vernünftige Hoffnung"3
auf Gott in einem "theistischen Idealismus"4
stark.
Kugelskulptur. Herrsching am Ammersee, 2015. |
Alles in einer sehr schön
unaufgeregten Sprache, in der er nicht die Diskurse mit dem "neuen
Atheismus" aufgreift, sondern weitgehend unpolemisch seine
Gedanken zur Sache vorbringt. Es geht ihm nicht um ein Bekenntnis,
sondern um die Prüfung der Argumente von Theismus und Naturalismus.
So kommt er trotz gelegentlicher Verweise auf biblische
Formulierungen ohne explizit christliche Terminologie oder
Offenbarungsaussagen aus, auch wenn sich für Theologen fast alles
auch als theologisch anschlussfähig erweist.
(Augenscheinlich liegt die Frage im
Trend, denn auch Volker Gerhardt hat sich jüngst in "Der Sinn
des Sinns" philosophisch zur Gottesfrage geäußert. Dazu
vielleicht in einem späteren Beitrag.)
Über die einzelnen Argumente kann und
will ich mich hier nicht auslassen, wohl aber möchte ich die von
Tetens skizzierte philosophische Erlösungshoffnung kurz
präsentieren. Denn hier finde ich viele Fragen und Antworten der
äußerst interessanten Debatte um eine Christologie und Eschatologie
nach Auschwitz wieder. Dazu unten.
Zunächst findet Tetens mit seinen
Argumenten keinen Gott, "der einen Heilsautomatismus abspulen
lässt",5
sondern vielmehr einen mit der Welt differenziert interagierenden
Erlösergott, durch den "die Übel und Leiden in der Welt
endgültig überwunden werden"6
können:
"Gott gewährt den Menschen die
unüberbietbare, weil selbst vor dem Tod nicht haltmachende Chance,
die moralischen Übel in der einzigen Weise zu überwinden, in der
sie überwunden werden können, nämlich indem die Menschen sich
miteinander versöhnen."7
Gottes Gabe wäre dann die mögliche
Versöhnung der Menschen untereinander als postmortale Erlösung
dieser so heillosen und erlösungsbedürftigen Welt der Menschen. Dazu gehört auch, dass
Gott die Menschen ernst nimmt als die vernünftigen und innerweltlich
autonomen Geschöpfe, die frei handeln können und sollen.
Was das für die Essenz des eigenen
Lebens bedeutet, fasst Tetens wie folgt zusammen:
"Erlösung wäre pervertiert,
fiele das Leiden, das Menschen einander antun und noch antun werden,
einfach dem großen Vergessen anheim und erlebten die Menschen die
neue, die erlöste Welt so, als ob nie etwas Schreckliches geschehen
wäre. Wir kommen in einem Heilsgeschehen nur dann als vernünftige
und selbstverantwortliche Personen vor, wird jedermann schonungslos
mit seinem bisherigen Leben konfrontiert. Jeder wird insbesondere
konfrontiert mit sich als Täter, der anderen Menschen Leid bereitet
hat, jeder muss seinen Opfern unter die Augen treten, aber auch den
Tätern, die an ihm schuldig geworden sind. Insofern schließt
Erlösung so etwas wie einen Gerichtsprozess ein. Wer freilich auf
Erlösung hofft, erwartet nicht, dass dieser Gerichtsprozess dazu
dient und damit endet, dass die Täter mit Leiden bestraft und sie
von einem besseren gemeinsamen Leben für immer ausgeschlossen
werden. Vielmehr richtet sich die Erlösungshoffnung darauf, dass die
Konfrontation mit der ungeschminkten Wahrheit über sich und ihr
Leben die Menschen dazu befreit, sich miteinander zu versöhnen und
einander zu vergeben."8
Fünf Einzelne am Weg. Salinenmuseum, Halle / Saale, 2014. |
Die befreiende Wahrheit soll
Versöhnungspotential wecken und so erlösend wirken.
(Das christologische Moment wird durch
Tetens' philosophische Perspektive natürlich ausgespart)
Diese Konfrontation wird, so schreibt
Tetens an anderer Stelle in Anlehnung an Walter Benjamin, "niemanden
endgültig verloren geben".9
Die Hoffnung des Autors auf die menschliche Einsichtsbereitschaft
nach dem Tode ist gewaltig!
Der katholische Fundamentaltheologe
Magnus Striet ist da (ebenso wie C.S. Lewis) weitaus skeptischer, wenn er auf die
Unheilsgeschichte der Juden in der Shoah schaut und die tröstende
Versöhnung im Reich Gottes von der Freiheit der Opfer abhängig
macht:
"Niemand weiß deshalb aber
auch zu sagen, ob die
Gedemütigen und Ermordeten sich von Gott versöhnen lassen werden
oder nicht; niemand vermag zu sagen, ob die Toten von Auschwitz und
die vielen anderen so sinnlos um ihre Lebensgschichte Betrogenen sich
doch noch umfangen lassen von der Liebe des Schöpfergottes und damit
zugleich auch von dem Jesus, den jedenfalls die Christen als den
Messias bekennen..." Es bleibt denen, die Gott trauen, also
bloß Hoffnung: "Wenn der Glaube hofft, dann dies: Dass
dieser Gott einen jeden Menschen ausschließlich mit den
Möglichkeiten seiner tröstenden und versöhnenden Liebe für sich
gewinnen kann , auch noch die, die am meisten Gründ hätten, an
diesem Gott zu verweifeln, weil sie diesem Gott vertrauten: die
milionenfach Gedemütigen und Ermordeten des ersterwählten Volkes."10
Dies schließt das Ganze nun sehr in
Richtung der bekenntnisorientierten Frage nach der Shoah und dem
Christengott hin auf, aber eine solche Konkretion der Frage lieg
meiner Meinung nach durchaus auf der Linie der Argumente von Tetens
und öffnet sie zu neuen Fragen.
Denn ob Menschen sich versöhnen wollen
und, hart gesprochen, mit ihren Mördern gemeinsam am himmlischen
Mahl teilnehmen wollen, noch dazu mit einem Gott, der sie im
irdischen Leben augenscheinlich verließ, diese Frage lässt sich
wegen der Verweigerungsmöglichkeit der menschlichen Freiheit nicht
beantworten, nur glaubend erhoffen.
Auch wenn diese fragende Weiterführung
mir zwingend erscheint, imponiert mir doch die Emphase von Tetens und
ich hoffe, dass sein Zutrauen in die menschliche Vernünftigkeit
beständig ist. Näher liegt mir persönlich die Hoffnung, dass,
theologisch gesprochen, die Kraft der "versöhnenden Liebe"
Gottes gewinnend genug ist.
Das Buch des Philosophen Holm Tetens,
der argumentativ Philosoph bleibt, wenn auch ein überaus
hoffnungsvoller, kann ich jedenfalls nur wärmstens empfehlen.
Verschlossene Pforten, Galerie im Körnerpark. Rixdorf, Berlin, 2015. |
1 H.
Tetens, Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie.
Stuttgart 2015.
2 Ebd.,
94.
3 Ebd.
10.
4 Ebd.,
73, vgl. 37.
5 Ebd.,
51.
6 Ebd.,
59.
7 Ebd.,
65.
8 Ebd.,
69f.
9 Ebd.,
58.
10 M.
Striet, Christologie nach der Shoah? Horizontverschiebungen. In: H.
Hoping / J.-H. Tück (Hg.), Streitfall Christologie.
Vergewisserungen nach der Shoah (QD 214), Freiburg i. Br. u.a. 2005,
182-215, hier 211.