Montag, 11. Mai 2015

JosephsReligion 2 – Isaaks Tod und Jesu Tod

Wie vor ein paar Wochen schon angekündigt, folgt hier nun ein weiteres literarisch-theologisches Gedankenstück zu Thomas Manns Josephs-Roman. Abrahams Monotheismus aus der Sicht des Autors hatte ich damals in den Blick genommen – darum wird es hier folgerichtig um Isaak gehen.

Zwei in einem. Halle, Saale, 2014.
Zur Erläuterung des Folgenden hilft wahrscheinlich eine Anmerkung: Während Thomas Mann die Vorgeschichte Josephs darlegt, ist es ihm wiederholt wichtig, zu betonen, dass die Identitäten der Handelnden verschwimmen, weil sich mythische und rational-neuzeitliche Denkweise nicht unmittelbar in Einklang bringen lassen. Nach einem Gespräch Jakobs mit dem jungen Joseph heißt es da: "Aber die Klarheit der Sonne ist eine und eine andere des Mondes Klarheit, die ja bei jenem übernützlichen Gespräch wunderbar obwaltet hatte. In ihr nehmen die Dinge sich anders aus als in jener, und sie mochte diejenige sein, die damals dort dem Geist als die wahre Klarheit erschien."1
So kann es sein, dass sich auch die Familienverhältnisse ideell dergestalt verschieben, wie wir sie heute in der Bibel vorfinden, weil die zeitlich fernen religiösen Vorbilder auch zu leiblichen Vorfahren werden, auch wenn dann erzählt werden muss "von Leuten [...], die nicht recht wissen, wer sie sind; aber wir zweifeln nicht an der Notwendigkeit, mit einer solchen schwankenden Bewusstseinslage zu rechnen".2

Das also gilt auch für Isaak, der in der Version Thomas Manns seine Identität nicht nur zurück-, sondern auch vorschwingen lässt. Die Todesstunde besteht in der Bibel im Wesentlichen aus einem Satz: "Er starb und wurde mit seinen Vorfahren vereint, betagt und satt an Jahren." (Gen 35,29)
Im Roman hört sich das mit Anklängen an Gen 22 leicht despektierlich so an:
Lichte Dreiheit. Epiphanias-Kirche,
Charlottenburg, Berlin, 2014.
Er "redete in der Weihestunde des Todes vor Jakob und allen, die da waren, in hohen und schauerlichen Tönen, seherisch und verwirrt, von 'sich' als von dem verwehrten Opfer und von dem Blute des Schafbocks, das als sein, des wahrhaften Sohnes, Blut habe angesehen werden sollen, vergossen zur Sühne für alle. Ja, dicht vor seinem Ende versuchte er mit dem sonderbarsten Erfolg wie ein Widder zu blölen, wobei gleichzeitig sein blutloses Gesicht eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Physiognomie dieses Tieres gewann – oder vielmehr war es so, dass man auf einmal dessen gewahr wurde, dass diese Ähnlichkeit immer bestanden hatte –, dergestalt, dass alle sich entsetzten und nicht schnell genug auf ihr Angesicht fallen konnten, um nicht zu sehen, wie der Sohn zum Widder wurde, während er doch, da er wieder zu sprechen anhob, den Widder Vater nannte und Gott. 'Einen Gott soll man schlachten', lallte er mit uralt-poetischem Wort und lallte weiter, den Kopf im Nacken, mit weit offenen, leeren Augen und gespreizten Fingern, dass alle sollten eine Festmahlzeit halten von des geschlachteten Widders Fleisch und Blut, wie Abraham und er es dereinst getan, der Vater und der Sohn, für welchen eingetreten war das gottväterliche Tier. 'Siehe, es ist geschlachtet worden', hörte man ihn röcheln, faseln und künden, ohne dass man gewagt hätte, nach ihm zu schauen, 'der Vater und das Tier an des Menschen Statt und des Sohnes und wir haben gegessen. Aber wahrlich, ich sage euch, es wird geschlachtet werden der Mensch und der Sohn statt des Tieres und an Gottes Statt, und aber werdet ihr essen.' Dann blökte er noch einmal naturgetreu und verschied."3

Auf literarische Weise holt Thomas Mann durch seine Schilderungen auch unseren Widerwillen gegen diese Szene und ihre Vorstellungen hervor, einen Widerwillen, der ebenso antike Menschen erfasst haben dürfte, wenn ihnen durch die Christen von einem Gott erzählt wurde, der als Sohn geopfert starb und statt der Tieropfer für die Götter stehen sollte. Dazu kommt die Vermengung der Zeiten und Intentionen, die auch die bei Isaaks Tod Anwesenden irritierte: "denn in des Sterbenden Wort und Wesen war etwas Ur-Unflätiges, greuelhaft Ältestes und heilig Vorheiliges gewesen ..., ein Spuk und Unflat versunkener Vorzeit vom Tiere, das Gott war ..."4
Denn was später die Kirchenväter taten, legt Thomas Mann hier schon dem Isaak in den Mund – das Urbild Jesu zu sein, der dann tatsächlich für die Menschen starb.

Meiner Meinung ist das nach eine lohnenswerte Irritation, die auch uns neu auf die Spur des biblischen Denkens führen könnte.

(Weiter geht es hier mit Jakob)

Mausetot. Körnerpark, Neukölln, Berlin, 2015.

1   Thomas Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt am Main 4. Aufl. 2013, 88.
2
   Ebd., 93.
3   Ebd., 135f.
4
   Ebd., 136.