Wie vor ein paar Wochen schon
angekündigt, folgt hier nun ein weiteres literarisch-theologisches
Gedankenstück zu Thomas Manns Josephs-Roman. Abrahams Monotheismus
aus der Sicht des Autors hatte ich damals in den Blick genommen –
darum wird es hier folgerichtig um Isaak gehen.
Zwei in einem. Halle, Saale, 2014. |
Zur Erläuterung des Folgenden hilft
wahrscheinlich eine Anmerkung: Während Thomas Mann die Vorgeschichte
Josephs darlegt, ist es ihm wiederholt wichtig, zu betonen, dass die
Identitäten der Handelnden verschwimmen, weil sich mythische und
rational-neuzeitliche Denkweise nicht unmittelbar in Einklang bringen
lassen. Nach einem Gespräch Jakobs mit dem jungen Joseph heißt es
da: "Aber die Klarheit der Sonne ist eine und eine andere des
Mondes Klarheit, die ja bei jenem übernützlichen Gespräch
wunderbar obwaltet hatte. In ihr nehmen die Dinge sich anders aus als
in jener, und sie mochte diejenige sein, die damals dort dem Geist
als die wahre Klarheit erschien."1
So kann es sein, dass sich auch die
Familienverhältnisse ideell dergestalt verschieben, wie wir sie
heute in der Bibel vorfinden, weil die zeitlich fernen religiösen
Vorbilder auch zu leiblichen Vorfahren werden, auch wenn dann erzählt
werden muss "von Leuten [...], die nicht recht wissen, wer
sie sind; aber wir zweifeln nicht an der Notwendigkeit, mit einer
solchen schwankenden Bewusstseinslage zu rechnen".2
Das also gilt auch für Isaak, der in
der Version Thomas Manns seine Identität nicht nur zurück-, sondern
auch vorschwingen lässt. Die Todesstunde besteht in der Bibel im
Wesentlichen aus einem Satz: "Er starb und wurde mit seinen
Vorfahren vereint, betagt und satt an Jahren." (Gen 35,29)
Im Roman hört sich das mit Anklängen
an Gen 22 leicht despektierlich so an:
Lichte Dreiheit. Epiphanias-Kirche, Charlottenburg, Berlin, 2014. |
Er "redete in der Weihestunde
des Todes vor Jakob und allen, die da waren, in hohen und
schauerlichen Tönen, seherisch und verwirrt, von 'sich' als von dem
verwehrten Opfer und von dem Blute des Schafbocks, das als sein, des
wahrhaften Sohnes, Blut habe angesehen werden sollen, vergossen zur
Sühne für alle. Ja, dicht vor seinem Ende versuchte er mit dem
sonderbarsten Erfolg wie ein Widder zu blölen, wobei gleichzeitig
sein blutloses Gesicht eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der
Physiognomie dieses Tieres gewann – oder vielmehr war es so, dass
man auf einmal dessen gewahr wurde, dass diese Ähnlichkeit immer
bestanden hatte –, dergestalt, dass alle sich entsetzten und nicht
schnell genug auf ihr Angesicht fallen konnten, um nicht zu sehen,
wie der Sohn zum Widder wurde, während er doch, da er wieder zu
sprechen anhob, den Widder Vater nannte und Gott. 'Einen Gott soll
man schlachten', lallte er mit uralt-poetischem Wort und lallte
weiter, den Kopf im Nacken, mit weit offenen, leeren Augen und
gespreizten Fingern, dass alle sollten eine Festmahlzeit halten von
des geschlachteten Widders Fleisch und Blut, wie Abraham und er es
dereinst getan, der Vater und der Sohn, für welchen eingetreten war
das gottväterliche Tier. 'Siehe, es ist geschlachtet worden', hörte
man ihn röcheln, faseln und künden, ohne dass man gewagt hätte,
nach ihm zu schauen, 'der Vater und das Tier an des Menschen Statt
und des Sohnes und wir haben gegessen. Aber wahrlich, ich sage euch,
es wird geschlachtet werden der Mensch und der Sohn statt des Tieres
und an Gottes Statt, und aber werdet ihr essen.' Dann blökte er noch
einmal naturgetreu und verschied."3
Auf literarische Weise holt Thomas Mann
durch seine Schilderungen auch unseren Widerwillen gegen diese Szene
und ihre Vorstellungen hervor, einen Widerwillen, der ebenso antike Menschen erfasst haben
dürfte, wenn ihnen durch die Christen von einem Gott erzählt wurde,
der als Sohn geopfert starb und statt der Tieropfer für die Götter
stehen sollte. Dazu kommt die Vermengung der Zeiten und Intentionen,
die auch die bei Isaaks Tod Anwesenden irritierte: "denn in
des Sterbenden Wort und Wesen war etwas Ur-Unflätiges, greuelhaft
Ältestes und heilig Vorheiliges gewesen ..., ein Spuk und Unflat
versunkener Vorzeit vom Tiere, das Gott war ..."4
Denn was später die Kirchenväter taten, legt Thomas Mann hier schon dem Isaak in den Mund – das Urbild Jesu zu sein, der dann tatsächlich für die Menschen starb.
Denn was später die Kirchenväter taten, legt Thomas Mann hier schon dem Isaak in den Mund – das Urbild Jesu zu sein, der dann tatsächlich für die Menschen starb.
Meiner Meinung ist das nach eine
lohnenswerte Irritation, die auch uns neu auf die Spur des biblischen
Denkens führen könnte.
(Weiter geht es hier mit Jakob)
(Weiter geht es hier mit Jakob)
Mausetot. Körnerpark, Neukölln, Berlin, 2015. |