Thomas Manns Josephsroman ist ein
religionskundlich-theologischer Leckerbissen. Nach einigen Gedanken
zur Darstellung von Abraham und Isaak möchte ich heute auf eine
Stelle im ersten Teil hinweisen, in der es um den künftigen
Stammvater Jakob geht.
Zusammen mit seinem Schwiegervater
Laban, der die Landsgötter verehrt und ihre Kultstätten in der
Stadt stolz anpreist, geht Jakob nach Vertragsabschluss durch
Charran. Szenen, die um die Ereignisse in Gen 29 kreisen und sie
ausformulieren, bebildern Thomas Manns Darstellung der
verschiedenartigen Religionen beider. Die Stadt wird als Moloch
gezeichnet, die für den Hirten Jakob nichts von Interesse bietet.
Stattdessen erinnert er sich (bemerkenswerterweise gemeinsam) an
seinen Gott – und an die Augen der geliebten Rahel.
Gott und Götter. Neues Museum, Berlin-Mitte, 2015. |
"An sie dachte er, während er
zerstreut die hinfälligen Anmaßungen betrachtete, an sie und an den
Gott, der verheißen hatte, seine Füße zu bewachen in der Fremde
und ihn reich heimzuführen, den Gott Abrams, für den er Eifersucht
empfand beim Anblick von Bel-Charrans Haus und Hof, dieser von
Wildstieren und Schlangengreifen bewachten Festung des
Götzenglaubens, in deren innerster, von Steinen funkelnder Zelle aus
vergoldetem Zederngebälk die bärtige Statue des Abgottes auf
silbernem Sockel stand und sich räuchern und schmeicheln ließ nach
königlich ausgebildetem Ritual, – während Jaakobs Gott, den er
größer glaubte als alle, größer bis zur Einzigkeit, überhaupt
kein Haus auf Erden besaß, sondern unter Bäumen und auf Anhöhen
einfältig verehrt wurde. Zweifellos wollte er es nicht anders, und
Jaakob war stolz darauf, dass er den städtisch-irdischen Staatsprunk
verschmähte und verpönte, weil keiner ihm hätte genug tun können.
Aber in diesen Stolz mischte sich der Verdacht, mit dem zusammen er
eben die Eifersucht ergab: dass nämlich Gott im Grunde doch recht
gern ein Haus aus Emaille, vergoldeten Zedern und Karfunkelstein, das
freilich noch siebenmal schöner hätte sein müssen als des
Mondgötzen Haus, hätte wohnen mögen und es nur darum verpönte,
weil er es noch nicht haben konnte, weil die Seinen noch nicht
zahlreich und stark genug waren, es ihm zu bauen."1
In dem kurzen Abschnitt steckt eine
Fülle von Anspielungen und Gedankenreihen, von denen ich drei kurz
benennen will.
1 Psychologie
Zunächst fasziniert Thomas Manns
differenzierte Darstellung der Gedanken des Jakob – zum einen wähnt
er seinen Gott über all dem Prunk stehend, zum anderen kann ihm der
Menschen materielle Verehrung doch auch nicht gleichgültig sein.
Sich über die Narrheiten der anderen ach so erhaben fühlen und
ihren Reizen zugleich nicht wirklich gelassen gegenüber stehen –
wie nah ist das doch vielen Gläubigen heute beim Blick auf die
ungläubige Umwelt in den Städten Europas. Natürlich fühlen sich
zahlreiche Christinnen und Christen als eine geheime geistige Elite
und zugleich erleben sie den Hedonismus und die moralische Enthemmung
unserer Zeit nicht nur als Ekel und Anstoß. Ein Fünkchen Lust auf
"Wildstier und Schlangengreif" tragen sicher viele
im Herzen.
2 Irdische Pracht
Nähe zur Macht oder einsamer Hain? –
Das scheint die Alternative zu sein. Verehren wir Christen als
mentale Nachkommen dieses Mannes Jakob tatsächlich einen Gott der
Wanderer und Flüchtlinge – also einen Nomadengott? Oder ist es der
fest im Sattel sitzende Gott der Städter, der Betuchten und
Etablierten? Christentümer anderer Kontinente können hier sicher
den Schleier unserer Christlichkeit anheben.
Platz für Viele. Hindutempel Hasenheide. Neukölln, Berlin, 2015. |
Denn aus der biblischen Tradition
heraus ist unser Gott sicher der Gott des Weges, der mitgeht und auf
den Straßen des Lebens erfahrbar wird. Übungen wie die
Straßenexerzitien können uns das heute ein wenig erfahrbar werden
lassen, was die ersten Jünger, die Jesus aussandte, was die
alttestamentlichen Nomaden aus der Genesis und was die Missionare der
frühen Neuzeit bewegte. Und welches Gottesbild damit einhergeht.
Die daraus erwachsenden ethischen
Konsequenzen für den Umgang mit den Nöten der Flüchtlinge liegen
auf der Hand.
3 Gott und die Götter
Thomas Mann leuchtet aus, wie sich
Jakobs Denken langsam von der Monolatrie zum Monotheismus entwickelt.
Nicht mehr soll nur ein Gott verehrt werden, sondern alle anderen
Götter sind darum eben auch nichtig und bedeutungslos. Die
Reichweite der Auslegungen dessen wiederum ist immens. Die
Bedeutungslosigkeit der anderen Götter kann schließlich zur
Zerstörung ihrer Bilder und Kultorte ebenso führen wie zum
Gewährenlassen in der Hoffnung darauf, dass es sich von selbst
erledigt. Komplementär dazu findet sich in der Apostelgeschichte das
Argument Gamaliels: "... wenn dieses Vorhaben oder Werk von
Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott,
so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer
gegen Gott dastehen." (Apg 5,38f.)
Das Zweite Vatikanische Konzil spricht
am Ende einer langen Entwicklung die Überzeugung aus: "Die
katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen
Religionen wahr und heilig ist."2
Diese Aussage kann sich auf eine bis zur Bibel zurückreichenden
Tradition berufen, die gleichwohl oft vergessen wurde – in Ex 22,28
(LXX) / Ex 22,27 heißt es in der Septuaginta, der griechischen
Übersetzung des Alten Testaments: "Über die Götter sollst
du nicht schlecht reden, von den Anführern deines Volkes sollst du
nicht übel reden."3
Natürlich ging es nicht immer so
friedlich und tolerant zu und die Geschichte des Monotheismus ist
voller Zeugnisse, die anderes nahelegen.
Jakobs Gefühle jedenfalls bleiben
zwiespältig, wie er im Falle eines Erstarkens der Anhänger bzw. des
Glaubens an seinen Gott reagieren würde, bleibt vorerst offen.
(Weiter geht es hier mit Jakob als Hiob)
(Weiter geht es hier mit Jakob als Hiob)
1 T.
Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt a.M. 4. Aufl. 2013, 183.
2 Erklärung
Nostra Aetate. In: In: K. Rahner, H. Vorgrimler (Hgg.),
Kleines Konzilskompendium. 28. Aufl. Freiburg i.Br., Basel, Wien
2000.
3 Nach:
M. Theobald, "Über die Götter sollst du nicht schlecht
reden!" Ex 22,27 (28 LXX) im Frühjudentum, im Neuen Testament
und in der alten Kirche. In: J.-H. Tück (Hg.), Monotheismus unter
Gewaltverdacht. Zum Gespräch mit Jan Assmann. Freiburg i.Br. 2015,
55-88, hier. 60.