Mittwoch, 22. Juli 2015

JosephsReligion 3 – Jakob und die fremden Götter

Thomas Manns Josephsroman ist ein religionskundlich-theologischer Leckerbissen. Nach einigen Gedanken zur Darstellung von Abraham und Isaak möchte ich heute auf eine Stelle im ersten Teil hinweisen, in der es um den künftigen Stammvater Jakob geht.
Zusammen mit seinem Schwiegervater Laban, der die Landsgötter verehrt und ihre Kultstätten in der Stadt stolz anpreist, geht Jakob nach Vertragsabschluss durch Charran. Szenen, die um die Ereignisse in Gen 29 kreisen und sie ausformulieren, bebildern Thomas Manns Darstellung der verschiedenartigen Religionen beider. Die Stadt wird als Moloch gezeichnet, die für den Hirten Jakob nichts von Interesse bietet. Stattdessen erinnert er sich (bemerkenswerterweise gemeinsam) an seinen Gott – und an die Augen der geliebten Rahel.

Gott und Götter. Neues Museum, Berlin-Mitte, 2015.
"An sie dachte er, während er zerstreut die hinfälligen Anmaßungen betrachtete, an sie und an den Gott, der verheißen hatte, seine Füße zu bewachen in der Fremde und ihn reich heimzuführen, den Gott Abrams, für den er Eifersucht empfand beim Anblick von Bel-Charrans Haus und Hof, dieser von Wildstieren und Schlangengreifen bewachten Festung des Götzenglaubens, in deren innerster, von Steinen funkelnder Zelle aus vergoldetem Zederngebälk die bärtige Statue des Abgottes auf silbernem Sockel stand und sich räuchern und schmeicheln ließ nach königlich ausgebildetem Ritual, – während Jaakobs Gott, den er größer glaubte als alle, größer bis zur Einzigkeit, überhaupt kein Haus auf Erden besaß, sondern unter Bäumen und auf Anhöhen einfältig verehrt wurde. Zweifellos wollte er es nicht anders, und Jaakob war stolz darauf, dass er den städtisch-irdischen Staatsprunk verschmähte und verpönte, weil keiner ihm hätte genug tun können. Aber in diesen Stolz mischte sich der Verdacht, mit dem zusammen er eben die Eifersucht ergab: dass nämlich Gott im Grunde doch recht gern ein Haus aus Emaille, vergoldeten Zedern und Karfunkelstein, das freilich noch siebenmal schöner hätte sein müssen als des Mondgötzen Haus, hätte wohnen mögen und es nur darum verpönte, weil er es noch nicht haben konnte, weil die Seinen noch nicht zahlreich und stark genug waren, es ihm zu bauen."1

In dem kurzen Abschnitt steckt eine Fülle von Anspielungen und Gedankenreihen, von denen ich drei kurz benennen will.

1 Psychologie
Zunächst fasziniert Thomas Manns differenzierte Darstellung der Gedanken des Jakob – zum einen wähnt er seinen Gott über all dem Prunk stehend, zum anderen kann ihm der Menschen materielle Verehrung doch auch nicht gleichgültig sein. Sich über die Narrheiten der anderen ach so erhaben fühlen und ihren Reizen zugleich nicht wirklich gelassen gegenüber stehen – wie nah ist das doch vielen Gläubigen heute beim Blick auf die ungläubige Umwelt in den Städten Europas. Natürlich fühlen sich zahlreiche Christinnen und Christen als eine geheime geistige Elite und zugleich erleben sie den Hedonismus und die moralische Enthemmung unserer Zeit nicht nur als Ekel und Anstoß. Ein Fünkchen Lust auf "Wildstier und Schlangengreif" tragen sicher viele im Herzen.

2 Irdische Pracht
Nähe zur Macht oder einsamer Hain? – Das scheint die Alternative zu sein. Verehren wir Christen als mentale Nachkommen dieses Mannes Jakob tatsächlich einen Gott der Wanderer und Flüchtlinge – also einen Nomadengott? Oder ist es der fest im Sattel sitzende Gott der Städter, der Betuchten und Etablierten? Christentümer anderer Kontinente können hier sicher den Schleier unserer Christlichkeit anheben.
Platz für Viele. Hindutempel Hasenheide.
Neukölln, Berlin, 2015.
Denn aus der biblischen Tradition heraus ist unser Gott sicher der Gott des Weges, der mitgeht und auf den Straßen des Lebens erfahrbar wird. Übungen wie die Straßenexerzitien können uns das heute ein wenig erfahrbar werden lassen, was die ersten Jünger, die Jesus aussandte, was die alttestamentlichen Nomaden aus der Genesis und was die Missionare der frühen Neuzeit bewegte. Und welches Gottesbild damit einhergeht.
Die daraus erwachsenden ethischen Konsequenzen für den Umgang mit den Nöten der Flüchtlinge liegen auf der Hand.

3 Gott und die Götter
Thomas Mann leuchtet aus, wie sich Jakobs Denken langsam von der Monolatrie zum Monotheismus entwickelt. Nicht mehr soll nur ein Gott verehrt werden, sondern alle anderen Götter sind darum eben auch nichtig und bedeutungslos. Die Reichweite der Auslegungen dessen wiederum ist immens. Die Bedeutungslosigkeit der anderen Götter kann schließlich zur Zerstörung ihrer Bilder und Kultorte ebenso führen wie zum Gewährenlassen in der Hoffnung darauf, dass es sich von selbst erledigt. Komplementär dazu findet sich in der Apostelgeschichte das Argument Gamaliels: "... wenn dieses Vorhaben oder Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen." (Apg 5,38f.)
Das Zweite Vatikanische Konzil spricht am Ende einer langen Entwicklung die Überzeugung aus: "Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist."2 Diese Aussage kann sich auf eine bis zur Bibel zurückreichenden Tradition berufen, die gleichwohl oft vergessen wurde – in Ex 22,28 (LXX) / Ex 22,27 heißt es in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments: "Über die Götter sollst du nicht schlecht reden, von den Anführern deines Volkes sollst du nicht übel reden."3
Natürlich ging es nicht immer so friedlich und tolerant zu und die Geschichte des Monotheismus ist voller Zeugnisse, die anderes nahelegen.
Jakobs Gefühle jedenfalls bleiben zwiespältig, wie er im Falle eines Erstarkens der Anhänger bzw. des Glaubens an seinen Gott reagieren würde, bleibt vorerst offen.

(Weiter geht es hier mit Jakob als Hiob)



1   T. Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt a.M. 4. Aufl. 2013, 183.

2   Erklärung Nostra Aetate. In: In: K. Rahner, H. Vorgrimler (Hgg.), Kleines Konzilskompendium. 28. Aufl. Freiburg i.Br., Basel, Wien 2000.


3   Nach: M. Theobald, "Über die Götter sollst du nicht schlecht reden!" Ex 22,27 (28 LXX) im Frühjudentum, im Neuen Testament und in der alten Kirche. In: J.-H. Tück (Hg.), Monotheismus unter Gewaltverdacht. Zum Gespräch mit Jan Assmann. Freiburg i.Br. 2015, 55-88, hier. 60.