Montag, 24. August 2015

JosephsReligion 4 – Hiobtrauer und Allmachtsphantasie

Eine großartige Idee Thomas Manns in seiner Josephssaga war es, den um seinen totgeglaubten Sohn Joseph trauernden Jakob (vgl. Gen 37,33-35) als Hiobsgestalt darzustellen (mehr zu Jakob hier).
Bis in einzelne Formulierungen hinein orientert sich der Autor an der mit Gott hadernden biblischen Klagegestalt des Hiob – während der biblische Text über Jakobs Trauer dürre zwei Verse umfasst.
Es zeigen sich da einerseits die biblischen Kenntnisse des Autors als auch seine Lust am Hinüberziehen dessen, was ihm aus der alttestamentlichen Tradition als für seine Dramaturgie verwendbar erscheint. Und Hinüberziehen kann er mit großem Geschick.

Schon äußerlich wird die Trauersituation parallel zur biblischen Vorlage gebaut, in Hiob 2,8 heißt es über den von Aussatz Geschlagenen: "Ijob setzte sich mitten in die Asche und nahm eine Scherbe, um sich damit zu schaben.

Graffito. Bremen, 2015.
Thomas Mann macht daraus die Szene des mit dem überbrachten Gewand rituell trauernden Jakob: Tagsüber "hatte Jaakob seinen Platz auf einem Scherben- und Aschenhaufen in einem abseitigen, von Schatten ganz entblößten Winkel der Siedelung genommen, und dort saß er nackend, die Schleierstücke in Händen, Haar, Bart und Schultern mit Asche bestreut, indem er sich zeitweise mit einer aufgelesenen Scherbe den Körper schabte, als sei er mit Schwären und Aussatz geschlagen, - eine rein symbolische Handlungsweise, denn es war nicht die Rede von Schwären, und das Schaben gehörte zu den Kundgebungen, die anderswohin gerichtet waren."1

Dieses auf Gott gerichtete Trauern findet nun seinen Ausdruck nicht wie bei Hiob im Gespräch mit seiner Frau oder den anreisenden Freunden, sondern in einer immer hitziger werdenden Debatte mit seinem ersten Knecht Eliezer. Die Klage über den Verlust verwandelt sich in Anklage:

"Was denkt sich Gott, daß er mir auflegt, wovon sich mir die Augen verdrehen und ich von Sinnen komme, weil's nichts für mich ist? Habe ich denn Kraft von Steinen, und ist ehern mein Fleisch? Hätte er mich aus Erz gemacht in seiner Weisheit, so aber ist's nichts für mich ... Mein Kind, mein Damu! Der Herr hat ihn gegeben, der Herr hat ihn wieder genommen, - hätte er ihn doch nicht gegeben erst oder mich selbst nicht aus dem Mutterleib kommen lassen und überhaupt nichts! Was soll man denken, Eliezer, und wohin sich wenden und winden in seiner Not? Wäre ich nicht, so wüßte ich nichts, und es wäre nichts. Da ich aber bin, ist's immer noch besser, daß Joseph dahin ist, als daß er nie gewesen wäre, denn so habe ich doch, was mir bleibt, meinen Jammer um ihn. Ach, Gott hat gesorgt, daß man nicht wider ihn sein kann und muß ja sagen, indem man nein sagt."2

Und so klagt und hadert er hiobsgleich (vgl. z.B. Hiob 3,11; 6,11f. u.ö.), vergleicht sich mit Abraham und dessen Prüfung (vgl. Gen 22) und will sogar in die Unterwelt aufbrechen, um seinen Sohn wieder zu holen.
Das räumliche Aufbrechen ist es ja auch heute, durch das viele Menschen versuchen, ein ungenießbar gewordenes Leben unter großen Qualen hinter sich zu lassen und ins Ungewisse zu gehen in der Hoffnung auf ein neues Leben.

Jakob schlägt immerhin verschiedenste Denkrichtungen ein, die allerdings immer absurder werden, und denen der Knecht wenig entgegenzusetzen vermag. Das neue Leben seines Sohnes will er durch Wiederzeugung oder Wiederschaffung gewinnen, wobei Thomas Mann kreative schöpfungstheologische Volten schlägt, beispielsweise in der Unterscheidung von Schaffen und Zeugen:
"Da wir den Joseph zeugten, die Rechte und ich, zeugten wir nicht ihn, sondern irgend etwas, und daß es Joseph wurde, das tat Gott. Zeugen ist nicht Schaffen, sondern es taucht nur Leben in Leben in blinder Lust, Er aber schafft."3

Die Verzweiflung Jakobs überdreht sich schließlich in Denkspiele hinein, deren Nachhall heute mit den wissenschaftlichen Versuchen von Genmanipulationen etc. einen morbiden Klang gewinnen:

Neues Leben aus der beim Metro-Bau aus der Weichsel gehobenen Erde.
Installation "Materia" von Teresa Murak (Ausschnitt).
Zamek Ujazdowksi, Warschau, 2015.
"Hat denn Gott den Menschen gezeugt in des Weibes Schoß? Nein, denn es war keins, und Schmach ist's, dergleichen auch nur zu denken. Sondern er hat ihn gemacht wie er wollte mit seinen Händen, aus Lehm, und ihm den lebendigen Odem geblasen in seine Nase, auf daß er wandle. Wie, Eliezer, höre doch, laß dich gewinnen! Wenn wir eine Gestalt machten aus Lehm und ein Ding formten von Erde, einer Puppe gleich, drei Ellen lang und mit allen Gliedern, wie Gott sie erdacht und geschaut, da er im Geiste den Menschen empfing und machte ihn nach seinem Bilde. Gott sah und machte den Adam, denn er ist der Schöpfer. Ich aber sehe Joseph, den Einen, wie ich ihn kenne, und will ihn erwecken viel sehnlicher, als da ich ihn zeugte und ihn nicht kannte. Und es läge vor uns, Eliezer, die Puppe und erstreckte sich in Menschenlänge die Kunstfigur auf dem Rücken , das Antlitz zum Himmel gerichtet; wir aber ständen zu ihren Füßen und blickten in sein lehmiges Angesicht. [...]
Wenn wir aber das Bildnis umgingen einmal und siebenmal, rechts herum ich und du links herum, und legten ein Blättchen in seinen toten Mund, ein Blättchen mit Gottes Namen ... Ich aber kniete nieder und schlösse in meine Arme den Lehm und küsste ihn wie ich könnte, aus Herzensgrund ... Da!" schrie er auf. "Eliezer, sieh! Rot färbt sich der Körper, wie Feuer rot, er glüht, er versengt mich, ich aber lasse nicht ab, ich halte ihn fest in meinen Armen und küsse ihn wieder. Da lischt er aus und Wasser strömt in den Lehmleib, er schwillt und quillt von Wasser, und siehe, es sprießt ihm Haar auf dem Kopf, und Nägel sprießen ihm an Fingern und Zehen. Da küsse ich ihn zum drittenmal und blase ihm ein meinen Odem, der Gottes ist, und es machen Feuer, Wasser und Windhauch, diese drei, daß das vierte, die Erde, zum Leben erwacht und schlägt mit Erstaunen die Augen auf gegen mich, den Erwecker, und spricht: 'Abba, lieber Vater' ..."4

Phantasien der Gottgleichheit mögen viele Wissenschaftler aus Glaubensmangel nicht mehr haben, aber die Begeisterung, durch die die Hybris sich zur Schaffung von Menschen versteigt, hat ebendas ja im Sinn. Dabei "versengt" zu werden trifft es vielleicht auf moralischer und seelischer Ebene tiefer als nur auf der körperlichen Ebene – ein "Abba"-Schöpfervater zu sein mag manchen Forschern irgendwann den Schlaf rauben, selbst wenn keine Gebete sie erreichen.

Die Abfolge der Trauerphasen dagegen führt im gegebenen Falle schließlich dazu, dass Jakob sich abfinden kann mit dem Verlust – und wird, wie Hiob auch, schließlich anders als erwartet beschenkt.

Mit einem waghalsigen Gedankenhaken ziehe ich die Flüchtlingsfrage auch hinüber und bete meinerseits, dass ihr Aufbruch und Verlust und Schmerz schließlich von "neuem Leben" gekrönt wird.

(Weiter geht es hier mit Joseph und der Flüchtlingsfrage)

Doppel-Helix-Jakobsleiter in himmlisches Leben. Las Bielanski, Warschau, 2015.
1   Thomas Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt am Main 4. Aufl. 2013, 463.
2   Ebd., 467.
3   Ebd., 475.

4   Ebd., 477.