Eine großartige Idee Thomas Manns in
seiner Josephssaga war es, den um seinen totgeglaubten Sohn Joseph
trauernden Jakob (vgl. Gen 37,33-35) als Hiobsgestalt darzustellen (mehr zu Jakob hier).
Bis in einzelne Formulierungen hinein
orientert sich der Autor an der mit Gott hadernden biblischen
Klagegestalt des Hiob – während der biblische Text über Jakobs
Trauer dürre zwei Verse umfasst.
Es zeigen sich da einerseits die
biblischen Kenntnisse des Autors als auch seine Lust am Hinüberziehen
dessen, was ihm aus der alttestamentlichen Tradition als für seine
Dramaturgie verwendbar erscheint. Und Hinüberziehen kann er mit
großem Geschick.
Schon äußerlich wird die
Trauersituation parallel zur biblischen Vorlage gebaut, in Hiob 2,8
heißt es über den von Aussatz Geschlagenen: "Ijob setzte
sich mitten in die Asche und nahm eine Scherbe, um sich damit zu
schaben."
Graffito. Bremen, 2015. |
Thomas Mann macht daraus die Szene des
mit dem überbrachten Gewand rituell trauernden Jakob: Tagsüber
"hatte Jaakob seinen Platz auf einem Scherben- und
Aschenhaufen in einem abseitigen, von Schatten ganz entblößten
Winkel der Siedelung genommen, und dort saß er nackend, die
Schleierstücke in Händen, Haar, Bart und Schultern mit Asche
bestreut, indem er sich zeitweise mit einer aufgelesenen Scherbe den
Körper schabte, als sei er mit Schwären und Aussatz geschlagen, -
eine rein symbolische Handlungsweise, denn es war nicht die Rede von
Schwären, und das Schaben gehörte zu den Kundgebungen, die
anderswohin gerichtet waren."1
Dieses auf Gott gerichtete Trauern
findet nun seinen Ausdruck nicht wie bei Hiob im Gespräch mit seiner
Frau oder den anreisenden Freunden, sondern in einer immer hitziger
werdenden Debatte mit seinem ersten Knecht Eliezer. Die Klage über
den Verlust verwandelt sich in Anklage:
"Was denkt sich Gott, daß er
mir auflegt, wovon sich mir die Augen verdrehen und ich von Sinnen
komme, weil's nichts für mich ist? Habe ich denn Kraft von Steinen,
und ist ehern mein Fleisch? Hätte er mich aus Erz gemacht in seiner
Weisheit, so aber ist's nichts für mich ... Mein Kind, mein Damu!
Der Herr hat ihn gegeben, der Herr hat ihn wieder genommen, - hätte
er ihn doch nicht gegeben erst oder mich selbst nicht aus dem
Mutterleib kommen lassen und überhaupt nichts! Was soll man denken,
Eliezer, und wohin sich wenden und winden in seiner Not? Wäre ich
nicht, so wüßte ich nichts, und es wäre nichts. Da ich aber bin,
ist's immer noch besser, daß Joseph dahin ist, als daß er nie
gewesen wäre, denn so habe ich doch, was mir bleibt, meinen Jammer
um ihn. Ach, Gott hat gesorgt, daß man nicht wider ihn sein kann und
muß ja sagen, indem man nein sagt."2
Und so klagt und hadert er hiobsgleich
(vgl. z.B. Hiob 3,11; 6,11f. u.ö.), vergleicht sich mit Abraham und
dessen Prüfung (vgl. Gen 22) und will sogar in die Unterwelt
aufbrechen, um seinen Sohn wieder zu holen.
Das räumliche Aufbrechen ist es ja
auch heute, durch das viele Menschen versuchen, ein ungenießbar
gewordenes Leben unter großen Qualen hinter sich zu lassen und ins
Ungewisse zu gehen in der Hoffnung auf ein neues Leben.
Jakob schlägt immerhin verschiedenste
Denkrichtungen ein, die allerdings immer absurder werden, und denen
der Knecht wenig entgegenzusetzen vermag. Das neue Leben seines
Sohnes will er durch Wiederzeugung oder Wiederschaffung gewinnen,
wobei Thomas Mann kreative schöpfungstheologische Volten schlägt,
beispielsweise in der Unterscheidung von Schaffen und Zeugen:
"Da wir den Joseph zeugten, die
Rechte und ich, zeugten wir nicht ihn, sondern irgend etwas, und daß
es Joseph wurde, das tat Gott. Zeugen ist nicht Schaffen, sondern es
taucht nur Leben in Leben in blinder Lust, Er aber schafft."3
Die Verzweiflung Jakobs überdreht sich
schließlich in Denkspiele hinein, deren Nachhall heute mit den
wissenschaftlichen Versuchen von Genmanipulationen etc. einen
morbiden Klang gewinnen:
Neues Leben aus der beim Metro-Bau aus der Weichsel gehobenen Erde. Installation "Materia" von Teresa Murak (Ausschnitt). Zamek Ujazdowksi, Warschau, 2015. |
"Hat denn Gott den Menschen
gezeugt in des Weibes Schoß? Nein, denn es war keins, und Schmach
ist's, dergleichen auch nur zu denken. Sondern er hat ihn gemacht wie
er wollte mit seinen Händen, aus Lehm, und ihm den lebendigen Odem
geblasen in seine Nase, auf daß er wandle. Wie, Eliezer, höre doch,
laß dich gewinnen! Wenn wir eine Gestalt machten aus Lehm und ein
Ding formten von Erde, einer Puppe gleich, drei Ellen lang und mit
allen Gliedern, wie Gott sie erdacht und geschaut, da er im Geiste
den Menschen empfing und machte ihn nach seinem Bilde. Gott sah und
machte den Adam, denn er ist der Schöpfer. Ich aber sehe Joseph, den
Einen, wie ich ihn kenne, und will ihn erwecken viel sehnlicher, als
da ich ihn zeugte und ihn nicht kannte. Und es läge vor uns,
Eliezer, die Puppe und erstreckte sich in Menschenlänge die
Kunstfigur auf dem Rücken , das Antlitz zum Himmel gerichtet; wir
aber ständen zu ihren Füßen und blickten in sein lehmiges
Angesicht. [...]
Wenn wir aber das Bildnis umgingen
einmal und siebenmal, rechts herum ich und du links herum, und legten
ein Blättchen in seinen toten Mund, ein Blättchen mit Gottes Namen
... Ich aber kniete nieder und schlösse in meine Arme den Lehm und
küsste ihn wie ich könnte, aus Herzensgrund ... Da!" schrie er
auf. "Eliezer, sieh! Rot färbt sich der Körper, wie Feuer rot,
er glüht, er versengt mich, ich aber lasse nicht ab, ich halte ihn
fest in meinen Armen und küsse ihn wieder. Da lischt er aus und
Wasser strömt in den Lehmleib, er schwillt und quillt von Wasser,
und siehe, es sprießt ihm Haar auf dem Kopf, und Nägel sprießen
ihm an Fingern und Zehen. Da küsse ich ihn zum drittenmal und blase
ihm ein meinen Odem, der Gottes ist, und es machen Feuer, Wasser und
Windhauch, diese drei, daß das vierte, die Erde, zum Leben erwacht
und schlägt mit Erstaunen die Augen auf gegen mich, den Erwecker,
und spricht: 'Abba, lieber Vater' ..."4
Phantasien der Gottgleichheit mögen
viele Wissenschaftler aus Glaubensmangel nicht mehr haben, aber die
Begeisterung, durch die die Hybris sich zur Schaffung von Menschen
versteigt, hat ebendas ja im Sinn. Dabei "versengt"
zu werden trifft es vielleicht auf moralischer und seelischer Ebene
tiefer als nur auf der körperlichen Ebene – ein
"Abba"-Schöpfervater zu sein mag manchen Forschern
irgendwann den Schlaf rauben, selbst wenn keine Gebete sie erreichen.
Die Abfolge der Trauerphasen dagegen
führt im gegebenen Falle schließlich dazu, dass Jakob sich abfinden
kann mit dem Verlust – und wird, wie Hiob auch, schließlich anders
als erwartet beschenkt.
Mit einem waghalsigen Gedankenhaken
ziehe ich die Flüchtlingsfrage auch hinüber und bete meinerseits,
dass ihr Aufbruch und Verlust und Schmerz schließlich von "neuem
Leben" gekrönt wird.
(Weiter geht es hier mit Joseph und der Flüchtlingsfrage)
(Weiter geht es hier mit Joseph und der Flüchtlingsfrage)
Doppel-Helix-Jakobsleiter in himmlisches Leben. Las Bielanski, Warschau, 2015. |
1 Thomas
Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt am Main 4. Aufl. 2013,
463.
2 Ebd.,
467.
3 Ebd.,
475.