Ich gebe zu, dass ich Taizé
wahrscheinlich lange unterschätzt habe. Die Wahrnehmung eines alles
überflutenden emotionalen Tsunamis, bestehend aus Hitze, netten
Menschen und ewig wiederholten Gebetsgesängen, hatte sich in meiner
Wahrnehmung sehr nach
vorn gedrängt.
Nun war ich wieder in Taizé, habe
manches neu sehen und – neben dem Besuch von Adolfo Nicolás SJ,
dem Generaloberen der Jesuiten, und einigen schönen Gesprächen –
vieles sehr schätzen gelernt. Vor allem zwei Dinge wurden mir klarer
als bei den ersten Besuchen: Einfachheit und Gemeinschaft.
Kleingruppenarbeit im Gras. Taizé 2015. |
1 Einfachheit
Von den ständig wiederholten Liedern
und Liedrufen mit ihren einfachen und klaren Botschaften geht eine
große Faszination aus. Natürlich darf man das Christentum nicht
simplifizieren (und die Rede von einem dreieinen Gott lässt dies
auch gar nicht zu), aber die Urerfahrung Frère Rogers ist eine
radikal einfache gewesen, die Erfahrung des liebenden Gottes. Damit
lehnt er das überkommene Bild eines strafenden Gottes ab und wollte
fortan auch anderen Menschen "ermöglichen, zum Wesentlichen
des Evangeliums, zur unendlichen Liebe Gottes zu gelangen".1
Auch wer nicht viel vom Evangelium
verstünde, sollte doch immerhin das leben, was er oder sie davon
verstanden habe. Dieser berühmt gewordene Gedanke ist letztlich
entscheidend – denn Evangeliumspraxis ist es, was Gott von uns
will, gleichviel wie viel Glaubenswissen dahinter steht.
[Analog dazu, wenn auch mit etwas
anderer Blickrichtung, Ignatius von Loyola: "Nicht das viele
Wissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das das
Innerlich-die-Dinge-Verspüren-und-Schmecken"2
und "Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt
werden."3]
Durch die Auswahl der Lesungstexte, die
Gebete und eben die Lieder wird dieser einfache Weg den vielen
Jugendlichen aufgezeigt, die mit den unterschiedlichsten
Vorerfahrungen nach Taizé kommen. In der Begegnung in Kleingruppen,
beim gemeinsamen Putzen und Essen kann das dann mindestens eine kurze
Zeit lang zur Praxis werden.
In dieser Einfachheit liegt mit
Sicherheit eine der größten Stärken von Taizé,die auch ich
positiv spüren konnte.
Stille im Garten. Taizé 2015. |
2 Gemeinschaft
"Das europäische Projekt lebt
von seiner Idee des Zusammenwachsens der Völker."4
So grenzte Joschka Fischer vor Kurzem die Idee Europas von einer
ökonomischen Rationalität ab, die nach Belieben Mitglieder
eingliedert und wieder ausscheidet.
Was er damit meint und was durchaus auf
Taizé anwendbar ist: Gemeinschaft braucht Pathos. Nicht Kalkül oder
Strategie, nicht Inklusion oder Ausschlusskriterien sind am Ende
wichtig, sondern die Idee hinter den technischen Fragen (so wichtig
diese dann in Konfliktfällen werden können).
In der Kirche scheint die Idee der
umfassenden und wachsenden Gemeinschaft vielfach in den Hintergrund
zu geraten. Jedenfalls entsteht nach außen oft genug der Eindruck,
dass da einige Menschen um sich kreisen und ihr persönliches Heil
suchen. Doch es geht in der Kirche immer um mehr – nämlich darum,
dass "alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale,
technische und kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind,
auch die volle Einheit in Christus erlangen." (LG 1)
Nicht nur Globalisierung, sondern
Exorbitalisierung: Gott selbst will Gemeinschaft mit allen Menschen.
Um diese Botschaft in die Welt zu bringen und im Ansatz auch zu
verwirklichen, ist die Kirche gesandt. Wenn ideologische Scheuklappen
und kirchenrechtliche Enge diesen Kern verdunkelt haben, wird es Zeit
ihn neu zu fokussieren.
Grab des Gründers Frère Roger. Taizé 2015. |
Innerhalb der diversen christlichen
Gemeinschaften will die Communauté de Taizé darum eine "Dynamik
der Versöhnung"5
anregen, die nach und nach auf alle Menchen übergreift. Immerhin vor
Ort in Taizé sollen all die Trennungen und Spaltungen keine Rolle
spielen, vielmehr soll ein Zeichen gesetzt werden. Darin bestand für
Frère Roger "die eigentliche Berufung von Taizé: Ein
'Gleichnis der Gemeinschaft' zu sein."6
Damit soll im Kleinen vorweggenommen und vor Augen gestellt werden,
was Kirche, was Gott eigentlich will – die Gemeinschaft aller.
Ob das auch nur die Hälfte der nach
Taizé reisenden Jugendlichen reflektiert, sei dahingestellt. Gelebt
wird es von der überwältigenden Mehrheit, das zählt.
Sicher gilt das auch für die Formen
von Gemeinschaft, die auf den ersten Blick nur eine Sommer-Liebelei
sind und bei der Rückkehr ins eigene Land eine Menge Wehmut
hinterlassen. Auch dort wird die Liebe gewiss mehr in die Werke als
in die Worte gelegt...
Gemeinschaft entsteht dabei allemal,
und vielleicht kann auch der Flirt schon den Widerschein der
göttlichen Liebe nach außen zu den Menschen tragen.
Frère Roger fasst es kurz, indem er
einfach und ohne dogmatisch-kirchenrechtliche Verrenkungen auf der
von ihm gefundenen christlichen Gemeinschaft beharrt:
"Ich habe meine Identität als
Christ darin gefunden, in mir den Glauben meiner Herkunft mit dem
Geheimnis des katholischen Glaubens zu versöhnen, ohne mit
irgendjemandem die Gemeinschaft zu brechen."7
Vorbereitung auf mehr Gemeinschaft. Taizé 2015. |
1 Frère
Alois, Güte des Menschen, Widerschein der Güte Gottes. In: Walter
Kardinal Kasper, Frère Alois, Frère Roger, Gründer von Taizé.
Zwei Betrachtungen zu seinem Leben. Hefte aus Taizé 10. Taizé
2009, 14.
2 Ignatius
von Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig
1978, No 2.
3 Ebd.,
No 230.
4 J.
Fischer, Interview in: DIE ZEIT No 28, 09.07.2015.
5 Frère
Alois, Die Leidenschaft für die Einheit des Leibes Christi. Der Weg
der Einheit, wie er in Taizé gelebt wird. Hefte aus Taizé 17.
Taizé 2012, 20.
6 Ebd.,
14.
7 Zit.n.
ebd., 13. W. Kasper bemerkt dazu treffend: "Man könnte
lange über die Bedeutung mancher theologischer oder kanonischer
Begriffe diskutieren. Aus Achtung vor dem Glaubensweg Frère Rogers
wäre es gleichwohl angebrachter, nicht Kategorien auf ihn
anzuwenden, die er selbst als seiner Erfahrung unangemessen ansah".
(W. Kasper, Frère Roger, Symbol geistlicher Ökumene, in: s. Anm.
1, 6.)