Donnerstag, 16. Juli 2015

Taizé - Einfachheit und Gemeinschaft

Ich gebe zu, dass ich Taizé wahrscheinlich lange unterschätzt habe. Die Wahrnehmung eines alles überflutenden emotionalen Tsunamis, bestehend aus Hitze, netten Menschen und ewig wiederholten Gebetsgesängen, hatte sich in meiner Wahrnehmung sehr nach vorn gedrängt.
Nun war ich wieder in Taizé, habe manches neu sehen und – neben dem Besuch von Adolfo Nicolás SJ, dem Generaloberen der Jesuiten, und einigen schönen Gesprächen – vieles sehr schätzen gelernt. Vor allem zwei Dinge wurden mir klarer als bei den ersten Besuchen: Einfachheit und Gemeinschaft.

Kleingruppenarbeit im Gras. Taizé 2015.
1 Einfachheit
Von den ständig wiederholten Liedern und Liedrufen mit ihren einfachen und klaren Botschaften geht eine große Faszination aus. Natürlich darf man das Christentum nicht simplifizieren (und die Rede von einem dreieinen Gott lässt dies auch gar nicht zu), aber die Urerfahrung Frère Rogers ist eine radikal einfache gewesen, die Erfahrung des liebenden Gottes. Damit lehnt er das überkommene Bild eines strafenden Gottes ab und wollte fortan auch anderen Menschen "ermöglichen, zum Wesentlichen des Evangeliums, zur unendlichen Liebe Gottes zu gelangen".1

Auch wer nicht viel vom Evangelium verstünde, sollte doch immerhin das leben, was er oder sie davon verstanden habe. Dieser berühmt gewordene Gedanke ist letztlich entscheidend – denn Evangeliumspraxis ist es, was Gott von uns will, gleichviel wie viel Glaubenswissen dahinter steht.

[Analog dazu, wenn auch mit etwas anderer Blickrichtung, Ignatius von Loyola: "Nicht das viele Wissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das das Innerlich-die-Dinge-Verspüren-und-Schmecken"2 und "Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden."3]

Durch die Auswahl der Lesungstexte, die Gebete und eben die Lieder wird dieser einfache Weg den vielen Jugendlichen aufgezeigt, die mit den unterschiedlichsten Vorerfahrungen nach Taizé kommen. In der Begegnung in Kleingruppen, beim gemeinsamen Putzen und Essen kann das dann mindestens eine kurze Zeit lang zur Praxis werden.
In dieser Einfachheit liegt mit Sicherheit eine der größten Stärken von Taizé,die auch ich positiv spüren konnte.
Stille im Garten. Taizé 2015.

2 Gemeinschaft
"Das europäische Projekt lebt von seiner Idee des Zusammenwachsens der Völker."4 So grenzte Joschka Fischer vor Kurzem die Idee Europas von einer ökonomischen Rationalität ab, die nach Belieben Mitglieder eingliedert und wieder ausscheidet.
Was er damit meint und was durchaus auf Taizé anwendbar ist: Gemeinschaft braucht Pathos. Nicht Kalkül oder Strategie, nicht Inklusion oder Ausschlusskriterien sind am Ende wichtig, sondern die Idee hinter den technischen Fragen (so wichtig diese dann in Konfliktfällen werden können).

In der Kirche scheint die Idee der umfassenden und wachsenden Gemeinschaft vielfach in den Hintergrund zu geraten. Jedenfalls entsteht nach außen oft genug der Eindruck, dass da einige Menschen um sich kreisen und ihr persönliches Heil suchen. Doch es geht in der Kirche immer um mehr – nämlich darum, dass "alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangen." (LG 1)
Nicht nur Globalisierung, sondern Exorbitalisierung: Gott selbst will Gemeinschaft mit allen Menschen. Um diese Botschaft in die Welt zu bringen und im Ansatz auch zu verwirklichen, ist die Kirche gesandt. Wenn ideologische Scheuklappen und kirchenrechtliche Enge diesen Kern verdunkelt haben, wird es Zeit ihn neu zu fokussieren. 

Grab des Gründers Frère Roger. Taizé 2015.
Innerhalb der diversen christlichen Gemeinschaften will die Communauté de Taizé darum eine "Dynamik der Versöhnung"5 anregen, die nach und nach auf alle Menchen übergreift. Immerhin vor Ort in Taizé sollen all die Trennungen und Spaltungen keine Rolle spielen, vielmehr soll ein Zeichen gesetzt werden. Darin bestand für Frère Roger "die eigentliche Berufung von Taizé: Ein 'Gleichnis der Gemeinschaft' zu sein."6 Damit soll im Kleinen vorweggenommen und vor Augen gestellt werden, was Kirche, was Gott eigentlich will – die Gemeinschaft aller.

Ob das auch nur die Hälfte der nach Taizé reisenden Jugendlichen reflektiert, sei dahingestellt. Gelebt wird es von der überwältigenden Mehrheit, das zählt.
Sicher gilt das auch für die Formen von Gemeinschaft, die auf den ersten Blick nur eine Sommer-Liebelei sind und bei der Rückkehr ins eigene Land eine Menge Wehmut hinterlassen. Auch dort wird die Liebe gewiss mehr in die Werke als in die Worte gelegt...
Gemeinschaft entsteht dabei allemal, und vielleicht kann auch der Flirt schon den Widerschein der göttlichen Liebe nach außen zu den Menschen tragen.

Frère Roger fasst es kurz, indem er einfach und ohne dogmatisch-kirchenrechtliche Verrenkungen auf der von ihm gefundenen christlichen Gemeinschaft beharrt:
"Ich habe meine Identität als Christ darin gefunden, in mir den Glauben meiner Herkunft mit dem Geheimnis des katholischen Glaubens zu versöhnen, ohne mit irgendjemandem die Gemeinschaft zu brechen."7

Vorbereitung auf mehr Gemeinschaft. Taizé 2015.
 
1   Frère Alois, Güte des Menschen, Widerschein der Güte Gottes. In: Walter Kardinal Kasper, Frère Alois, Frère Roger, Gründer von Taizé. Zwei Betrachtungen zu seinem Leben. Hefte aus Taizé 10. Taizé 2009, 14.

2   Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, No 2.

3   Ebd., No 230.

4   J. Fischer, Interview in: DIE ZEIT No 28, 09.07.2015.

5   Frère Alois, Die Leidenschaft für die Einheit des Leibes Christi. Der Weg der Einheit, wie er in Taizé gelebt wird. Hefte aus Taizé 17. Taizé 2012, 20.

6   Ebd., 14.


7   Zit.n. ebd., 13. W. Kasper bemerkt dazu treffend: "Man könnte lange über die Bedeutung mancher theologischer oder kanonischer Begriffe diskutieren. Aus Achtung vor dem Glaubensweg Frère Rogers wäre es gleichwohl angebrachter, nicht Kategorien auf ihn anzuwenden, die er selbst als seiner Erfahrung unangemessen ansah". (W. Kasper, Frère Roger, Symbol geistlicher Ökumene, in: s. Anm. 1, 6.)