Sonntag, 17. Mai 2015

Auf Wahrheitssuche: "khroma" - Eine Ausstellung in St. Christophorus Neukölln

"Heilige sie in der Wahrheit" (Joh 17,17), so bittet Jesus im heutigen Evangelium seinen himmlischen Vater für die Jünger. Was auch immer "in der Wahrheit geheiligt zu werden" genau bedeutet, die Frage nach Wahrheit war für das Christentum immer eine Herausforderung, wenn es um andere Meinungen ging.

Die Kirche, in der ich dieses Evangelium heute gehört habe, ist zur Zeit mit einer "khroma" betitelten Installation der Künstlerin Gabi Schillig ausgestattet. Mir ging auf dem Weg nach Hause auf, wie gut dieser Text und dieses Kunstwerk zusammen passen.

khroma von oben. St. Christophorus Neukölln, Berlin, 2015.

Der Kirchenraum wird durch farbige Stoffbahnen zweigeteilt, oben und unten sind durch die dazwischen hängenden Bahnen voneinander abgehoben. Es entsteht dadurch aber nicht in erster Linie eine Abgrenzung nach oben für die unter der Installation Sitzenden, sondern eine Öffnung – wer in der Kirchenbank sitzt, kann problemlos nach oben schauen.
khroma von vorn.
St. Christophorus Neukölln, Berlin, 2015.
Allerdings sind andere Dinge im Raum nicht oder nur teilweise sichtbar. Es zeigt sich je nach Position im Raum, dass es von meinem Standpunkt abhängig ist, was ich sehen kann von den wichtigen Elementen des Kirchenraums. Manches tritt hervor und wird betont, anderes verschwindet aus dem Blickfeld.

Vielleicht verschiebt sich auch manche Wichtigkeit durch das Enthüllen und Verdecken. Sobald ich in Bewegung komme, kann ich andere Dinge sehen, die mir zuvor vielleicht nicht aufgefallen waren. Oder ich muss, um beispielsweise die Liednummer während des Gottesdienstes zu sehen mit meinem Nachbarn sprechen, weil es aus meinem Platz in der Kirchenbank einfach nicht möglich ist zu sehen, was gerade gespielt wird.

Mit den Elementen der "christlichen Wahrheit" ist es oft genauso, dass ich manchmal tastend nach ihnen suchen muss, weil meine derzeitige Lebensposition mir nicht erlaubt, sie wahrzunehmen. Andere werden sich wundern, weil ihnen diese Wahrheit so einsichtig und klar erscheint, aber dafür können sie vielleicht andere Wahrheiten nicht wahrnehmen. Mit der Marienfrömmigkeit oder der Haltung in der Ehe- und Sexualethik ist dies meiner Erfahrung nach jedenfalls ganz gewiss so.

Leider führt dies nur zu oft dazu, nicht die eigene Begrenztheit zu erkennen und die vielen Dinge, die meinem freien Blick auf Gott im Weg stehen (oder hängen) wahrzunehmen, sondern stattdessen anderen ihren Blick auf die Wahrheit abzusprechen. Eins zu sein, wie es Jesus in v11 ebenso erbittet, bedarf da augenscheinlich noch einiges an Weg.

khroma mit Kreuz.
St. Christophorus Neukölln, Berlin, 2015.
Papst Franziskus schreibt in Evangelii Gaudium: "Man darf die Vollständigkeit der Botschaft des Evangeliums nicht verstümmeln. Außerdem versteht man jede Wahrheit besser, wenn man sie in Beziehung zu der harmonischen Ganzheit der christlichen Botschaft setzt, und in diesem Zusammenhang haben alle Wahrheiten ihre Bedeutung und erhellen sich gegenseitig."1

Nun wird es schwer möglich sein, in jeder Predigt auf Vollständigkeit zu beharren, aber das Wesentliche müsste schon erkennbar bleiben. Die Kunst dagegen braucht keine Vollständigkeit und auch keine Harmonie; es ist ihr unbenommen, den Gekreuzigten ohne kommenden Osterglanz darzustellen oder mit. Aber auch sie kann andere Wahrheiten erhellen und zum Verständnis eines Zusammenhangs beitragen. Oder auch den Prozess des Erhellens und Abdunkelns beleuchten.

Ich finde, einen Anstoß dazu gibt die textile Raumkunst in St. Christophorus ganz gut. 

khroma von hinten. St. Christophorus Neukölln, Berlin, 2015.


1   Papst Franziskus, Die Freude des Evangeliums. Das Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium" über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Freiburg i.Br. 2013, No 39.