Ein Satz im heutigen Sonntagsevangelium
(Joh 10,11-18) macht mir regelmäßig zu schaffen. Nachdem Jesus sich
als guter Hirte eingeführt hat, sagt er:
"Ich habe noch andere Schafe,
die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen, und sie
werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und
einen Hirten." (v16)
Wenn alle Christen Jesus als ihren
Hirten ansehen und als seine Herde von ihm zu Gott geführt werden
wollen, dann kann es sich bei denen, die als "andere Schafe,
die nicht aus diesem Stall sind" bezeichnet werden, nicht um
Christen handeln.
Es scheint mir also die Frage nach
Jesus und seinem Verhältnis zu den Anhängern anderen Religionen zu
sein, die in oben genanntem Satz auftaucht (jedenfalls möchte ich
ihn hier einmal so lesen). Unzählige Schriften sind zu dieser
Problematik verfasst worden, das Problem wurde von den
verschiedensten Seiten gewälzt.1
Hier nur ein paar Gedanken dazu:
Fast unsichtbarer Hirte ohne Schafe. Friedhof Bergstraße, Steglitz, Berlin, 2018. |
Wenn Jesus sagt, dass er auch der Hirte
dieser Schafe ist, dann "erweitert"
diese Aussage "ganz entscheidend den Radius der
Verheißung" Gottes über seinen Bundesschluss mit Israel
hinaus. So jedenfalls deutet es Joseph Ratzinger und er fügt hinzu:
"Der Logos, der in Jesus Mensch wurde, ist der Hirte aller
Menschen, denn sie alle sind durch das eine Wort erschaffen; sie sind
in all ihren Zerstreuungen eins von ihm her und auf ihn hin."2
Und
unter Hinweis auf die Vätertheologie fasst er das Hirtenbild
zusammen:
"In
seiner Menschwerdung und in seinem Kreuz trägt er [Jesus] das
verirrte Schaf – die Menschheit – heim ... Der menschgewordene
Logos ist der wahre 'Schafträger' – der Hirte, der uns nachgeht
durch die Dornen und Wüsten unseres Lebens. Von ihm getragen, kommen
wir nach Hause."3
Auf Jesu Schultern nach Hause kommen zu
Gott – ein wunderbares Bild für das Heilswirken Jesu Christi.
Jedenfalls für Christen.
Nun glauben aber bekanntermaßen nicht
alle Menschen an Jesus Christus als den Retter der Menschheit –
doch auch für sie soll diese Aussage gelten, dass Jesus ihr Hirte
ist.
Ein kleiner Teil der Nichtchristen ist
keiner Religion zugeneigt, diese Menschen bezeichnen sich als
Atheisten oder Agnostiker. Der Terminus "nach Hause"
zu kommen hat für sie keinen Sinn, der über die Zusammenhäge
dieser Welt hinausginge. Auf sie möchte ich an dieser Stelle nicht
eingehen.
Der Großteil der Menschen nämlich
hängt anderen Religionen an. Besonders für diese Gläubigen anderer
Religionen stellt sich die Frage, ob für sie gesagt werden kann,
dass sie "nach Hause" kommen, genauer: ob auch sie
von Jesus dorthin getragen werden – und ob sie dies auch wollen.
Mir scheint Jesus hier sehr
inklusivistisch zu sprechen – also in der Weise, dass seine Rolle
als universaler Heilsmittler irgendwie auch für die Angehörigen
anderer Religionen relevant ist, weil er es eben ist, der auch durch
die anderen religiösen Traditionen hindurch zu Gottes Heil und
Einheit führt. Schließlich sind alle seine Schafe, die seine
Stimme hören und die er mit all den seinen zusammenführt.
Wenn Jesus nun sagt "auch sie
muss ich führen", so scheint es nach diesem Satz seine
genuine Aufgabe zu sein, sein Heilswirken in den anderen Religionen
durchzusetzen, auch wenn dort (bei vielfacher Wertschätzung von
Gestalt und Ethos Jesu) seine Stimme eben kein Gehör findet wie sie
das bei Christen (theoretisch) tut.
Christlich oder nicht? Französischer Dom, Berlin-Mitte, 2015. |
Ob sie dann direkt "auf meine
Stimme hören" müssen, ob dies implizit in den
christförmigen Anteilen in ihrer eigenen Tradition möglich ist oder
ob sie sich dafür von ihrer eigenen Religion wegbekehren müssten,
ist eine sehr viel weitergehende Frage.4
Wie nicht anders zu erwarten, bricht
der Jesus des Evangelisten Johannes keine Lanze für Stärke und
Würde von Werten außerhalb der Christengemeinde. Immerhin gesteht
er den "Anderen" zu, wahre Schafe zu sein und nicht Wölfe,
Diebe oder Tagelöhner, die als Negativrollen reichlich im
Johannesevangelium verteilt sind.
Wie steht es nun um Jesu Bedeutung für
die Angehörigen anderer Religionen aus christlicher Sicht?
Wir kennen die Wege Gottes nicht und
werden es, wenn überhaupt wohl auch erst am Jüngsten Tag erfahren.
Und ausgerechnet von Joseph Ratzinger
kommt ein Aufruf zur Mäßigung, was die theologischen
Gedankenspielereien zur Frage der Theologie der Religionen angeht:
"Müssen wir unbedingt eine
Theorie erfinden, wie Gott retten kann, ohne der Einzigkeit Christi
Abbruch zu tun? Ist es nicht vielleicht wichtiger, diese Einzigkeit
von innen her zu verstehen und damit zugleich auch die Weite ihrer
Ausstrahlung zu erahnen, ohne daß wir sie im einzelnen definieren
können?"5
Ich belasse es einfach bei diesem
Aufruf, sich auf die Spur der Weite des Hirten zu begeben...
1 Einführen
in die Haltung der Katholischen Kirche kann zuerst die Erklärung
"Nostra Aetate":
http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decl_19651028_nostra-aetate_ge.html
und als eine Art Fortschreibung ein Text der Internationalen
Theologenkommission:
https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/arbeitshilfen/ah_136.pdf.
Hilfreich zum Einstieg beispielsweise: J. Ratzinger, Glaube –
Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen.
Freiburg i.Br. u.a. 3. Aufl 2004. Vertiefende Lektüre und eine
Unmenge an Literatur bietet: J. Dupuis, Unterwegs zu einer
christlichen Theologie des religiösen Pluralismus. Innsbruck
2010 (ital. Originalausgabe von 1997); oder: K. v. Stosch,
Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen. 1.
Aufl., Paderborn 2012.
2 J.
Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der
Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg i.Br. 2007, 329.
3 Ebd.,
331.
4 Bei
J. Dupuis, a.a.O., 422 heißt es dazu: "Es geht um die
Frage, ob die christliche Vorstellung der Heilsökonomie zu dem
Schluss führt, dass die Mitglieder anderer religiöser Traditionen
durch Christus neben oder sogar trotz der religiösen Tradition, der
sie angehören und die sie aufrichtig ausüben, gerettet werden.
Oder werden sie, im Gegenteil, in und durch diese Traditionen
gerettet?"
5 J.
Ratzinger, Glaube – Wahrheit – Toleranz. a.a.O., 44.