Es gibt einen Song
von Peter Gabriel, "More than this", in dem eine Art
mystischer Begegnung besungen wird. Ein Mann erwacht in der Frühe,
geht aus dem Haus und läuft so lange er kann. Dann sieht er Bewegung
in der Luft. Und da steht er, alles, was er hatte, ist fort und sogar
noch mehr, dann steht er still und spürt, fühlt sich verbunden.
...there is something else
there
when all that you had has all gone
and more than this
i stand
feeling so connected
and i'm all there
right next to you ...
when all that you had has all gone
and more than this
i stand
feeling so connected
and i'm all there
right next to you ...
(Peter Gabriel, More than this)1
Ich kenne die Religiosität von Peter
Gabriel nicht, aber das Gefühl, nicht allein zu sein und sich mit
etwas oder jemandem Größeres verbunden zu fühlen, ist eine
urreligiöse innere Bewegung.
Weinstock, kahl. St. Josef, Rudow, Berlin, 2018. |
Auch das Evangelium, das wir eben
gehört haben (Joh 15,1-8), zeigt das sehr deutlich. Es geht um die
innere Verbindung mit Gott, genauer mit Christus. Das Hauptthema des
Bildes vom Weinstock, als den Jesus sich bezeichnet, ist die
"connectedness", dieses Gefühl der Verbundenheit,
von dem auch Peter Gabriel singt.
1
Das meint in erster Linie, dass wir in
einer Beziehung stehen. Nicht allein oder isoliert unser Leben leben
müssen, sondern gemeinschaftlich. Einerseits mit Christus,
andererseits aber auch mit allen anderen Menschen verbunden.
Das bedeutet einen gewissen Gegensatz
zu starken Idealen unserer heutigen Gesellschaft. Dort geht es
oftmals um die Ausrichtung auf Individualität und Autonomie. Sich
abzusetzen von den als unfrei empfundenen Bedingungen der Herkunft
und den Vorstellungen aller möglichen Gemeinschaften, in die man
hineingestellt ist, wird als erstrebenswert angesehen.
Dementsprechend sind Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und
Unabhängigkeit Wünsche, die viele Menschen (und so auch mich)
oftmals bewegen.
Hier würde natürlich der Song über
Major Tom "Völlig losgelöst" passen: "völlig
losgelöst, von der Erde schwebt das Raumschiff, völlig schwerelos",
allein und ohne weitere Verbindung zu seinem Grund.
So berechtigt die Emanzipation des
Individuums von manchem Gruppendruck oftmals ist, Jesus entwirft hier
ein anderes Ideal: Ihm geht es um den bleibenden Kontakt mit ihm.
Letztlich dreht sich in diesem
Weinstockbild alles um Beziehung.
Unsere Kraft ziehen wir nach diesem
Bild nicht aus uns selbst, sondern aus den Wurzeln des Weinstocks,
wir sind als Christen eingebettet in eine Gemeinschaft mit Christus,
die uns trägt.
Das kann eine ungeheure religiöse Entlastung sein, wenn ich weiß: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18)
Bestimmend ist nicht der Wunsch nach
Unabhängigkeit, sondern die Fähigkeit, in Beziehung zu stehen.
Ob man das nun fühlt, wie Peter
Gabriel singt, ist nicht entscheidend, auch wenn es sicher
hilft. Aber in dem Vertrauen zu leben, das wir unser Leben nicht
leisten müssen, sondern dass Gott es mit uns lebt, ist schon viel.
Das ist die wahre Herausforderung unseres Lebens: die Verbindung zu
Gott nicht abzubrechen und dadurch zu verdorren (vgl. v6).
Nebenbemerkung zum Thema Gefängnis und
Resozialisierung: Wenn ich die Ziele des Vollzugs richtig verstehe,
handelt es sich um eine realistische Mischung dieser beiden
Idealvorstellungen – das eigene Leben mit Arbeit, Wohnung, Geld,
Behörden selbstständig auf die Reihe zu kriegen, ist eine gute
Voraussetzung, um künftig straffrei zu leben. Aber auch soziale
Kontakte und die Einbindung in ein stabiles familiäres oder
freundschaftliches Umfeld sind wichtig, um gut durch die Zeit kurz
nach der Haftentlassung zu gehen. Für ein gutes Leben gehören
gesunde Selbstbestimmung, Autonomie und Unabhängigkeit und
Beziehung, Kontakte, vertrauensvolle Freundschaften zusammen.
Trotzdem, der erste Punkt lautet kurz: Jesus lädt ein, in Beziehung mit ihm zu sein und zu bleiben.
Trotzdem, der erste Punkt lautet kurz: Jesus lädt ein, in Beziehung mit ihm zu sein und zu bleiben.
Verbundenheit, schmutzig. Neukölln, Berlin, 2018. |
2
In seinem letzten Schreiben "Gaudete
et Exsultate"2
über den Ruf zur Heiligkeit heute, das am 08. diesen Monats
herausgegeben wurde, betont auch Papst Franziskus die Wichtigkeit der
Beziehung.
Dem Papst geht es in diesem Schreiben
in erster Linie um eine Ermutigung. Er will, so komisch das klingen
mag, dazu ermutigen, heilig zu leben und das bedeutet auch,
zuzulassen, "dass alles für Gott offen ist" (GE,
15).
Denn eine gefährliche Versuchung sei,
so schreibt er, "zu meinen, dass die Heiligkeit nur denen
vorbehalten sei, die die Möglichkeit haben, sich von den
gewöhnlichen Beschäftigungen fernzuhalten, um viel Zeit dem Gebet
zu widmen. Es ist aber nicht so. Wir sind alle berufen, heilig zu
sein, indem wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser
persönliches Zeugnis ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich
befindet." (GE, 14)
Nein, Heiligkeit fängt klein an und
"wächst durch kleine Gesten" (GE, 16), die sich im
Alltag auch als gut für andere erweisen.
Denn vor allem gilt: Heilige sind keine
Einzelkämpfer.
Wenn jemand als Heiliger lebt, dann
gehört dazu nicht nur die Verbundenheit mit Gott, sondern auch die
Verbundenheit mit den anderen Menschen. "Deshalb
kann sich niemand allein, als isoliertes Individuum, retten, sondern
Gott zieht uns an, wobei er das komplexe Geflecht
zwischenmenschlicher Beziehungen berücksichtigt, das der
menschlichen Gemeinschaft innewohnt: Gott wollte in eine soziale
Dynamik eintreten" (GE, 6)
Auch das ist es, was das Bild vom
Weinstock ausdrücken will. Die Reben sind viele, sie sind nicht alle
gleich, manche müssen gereinigt werden, andere bringen vielleicht
große Trauben.
Und: Einer allein kann selten viel
ereichen. Wein entsteht nicht durch den Saft einer einzigen Rebe,
sondern durch viele reife Früchte an den Reben.
Der zweite Punkt lautet also kurz: Auch in unserer menschlichen Wirklichkeit, die hoffentlich immer heiligmäßiger wird, sind wir aufgefordert und ermutigt, immer mehr miteinander verbunden zu leben.
Der zweite Punkt lautet also kurz: Auch in unserer menschlichen Wirklichkeit, die hoffentlich immer heiligmäßiger wird, sind wir aufgefordert und ermutigt, immer mehr miteinander verbunden zu leben.
3
Und damit sind wir beim Thema der
Frucht.
Worum geht es Jesus, wenn er vom
Fruchtbringen spricht?
Er wählt das Bild des Weinstocks und
damit steht als "Frucht" eben der Wein im Raum. Wein
verbindet sich mit Freude, mit Fest, mit Rausch. Das verspricht Jesus! Um aber Wein trinken
zu können, ist eine Menge Arbeit und viel Geduld nötig.
Das meint die Rede vom "Bleiben",
die sich durch den Text zieht. Es ist "das geduldige
Standhalten in der Gemeinschaft mit dem Herrn durch alle Wirrnisse
des Lebens hindurch",3
das Jesus hier wichtig ist.
Wenn er also sagt, dass wir in ihm
bleiben und Frucht bringen sollen, meint er, dass wir dranbleiben
sollen. Nicht aufgeben. Nicht aufhören. Immer wieder probieren. Auch
wenn wir nicht solche Erfahrungen haben, wenn wir nicht die
"connectedness" spüren, wie im Song am Anfang
beschrieben, dann sollen wir trotzdem dranbleiben.
Und um die Worte des Songs noch einmal
aufzunehmen: "feeling so connected" mit Jesus kann
nur heißen, in Liebe verbunden zu sein. Das ist die Kraft, durch die
der Weinstock Jesu wächst und Früchte bringt: Liebe.
Und jeder, der schon einmal geliebt
hat, weiß: Nur so kann richtige Liebe wachsen, durch treues und
geduldiges Dranbleiben. Dann schenkt sie wahre Freude, Rausch und Seligkeit.
Der dritte Punkt lautet also kurz: Der Wein, den Jesus verspricht, ist
die Freude wahrer Liebe, der in Geduld und Beharrlichkeit reift.
Und genau diese Freude wünsche ich
Ihnen: Dass Sie dranbleiben können und in der Liebe wachsen.
Das ist eine Frucht nicht nur für eine
Person allein, sondern für die ganze Welt.
Liebe, freigesetzt. Rudow, Berlin, 2018. |
1 Text
findet sich unter:
http://www.songtexte.com/songtext/peter-gabriel/more-than-this-7bd4fa24.html.
Den Song kann man u.a. hier hören:
https://www.youtube.com/watch?v=7YnTKhyWRfk
2 Der
deutschsprachige Volltext fndet sich u.a. unter
https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2018-04/gaudete-et-exultate-exhortation-wortlaut-amtliche-uebersetzung.html.
3 J.
Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der
Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg i.Br. 2007, 306.