Es gab Zeiten in der Kirchengeschichte,
da wurde der Heilige Petrus Canisius, Tagesheiliger und Apostel
Deutschlands, stärker verehrt.
Bei einem Blick, den ich auf der Suche
nach Anregungen gestern in seinen Katechismus und seine Briefe warf,
verstand ich auch, warum das so ist. Denn da ist viel von Abtötung
und Gehorsam, Selbstverleugnung und den Demut zu lesen. So viel, dass
selbst ich nichts so ansprechend fand, dass ich es gern hier
präsentiert hätte.
Nur an einer Formulierung blieb ich
hängen: In seinem Katechismus erklärt Canisius auch die Zehn Gebote
und beim Ersten Gebot widmet er sich neben dem Gebot der
Alleinverehrung Gottes auch der Frage, ob es sich gehöre, die
Heiligen zu ehren. In klassischer Unterscheidung antwortet er: "Ja,
aber nicht auf die Weise, wie es uns befohlen ist, Gott zu ehren,
anzubeten und anzurufen", vielmehr würden die Heiligen als
"auserwählte Freunde und Nachbarn Gottes"
angerufen.1
Enge Nachbarn. Friedrichstadtkirche, Berlin-Mitte, 2018. |
Diese vielleicht etwas naiv anmutende
Formulierung, wonach die Heiligen in sich lokal vorzustellender Weise
"Nachbarn Gottes" seien, fand ich reizvoll. Auch der
Epheserbrief hatte ja schon von den Christen als "Gottes
Hausgenossen" gesprochen (Eph 2,19), aber hier kam es
mir das erste Mal ganz interessant vor.
Beim Suchen nach passenden Begleitern
dieses Gedankens kam ich auch auf den letzten Text von Papst
Franziskus, das Apostolische Schreiben "Gaudete et Exsultate"
vom 09. April diesen Jahres.2
Darin möchte der Oberhirte seine Herde
zur Heiligkeit ermuntern und beschreibt dafür keine heroischen
Großgestalten des Christentums, sondern führt die Leser in den
Alltag der Jedermänner und -frauen unserer Lebenswelt. Er preist die
Geduld, das Aushalten, die Liebe in der Erziehung und so fort.
"In dieser Beständigkeit eines
tagtäglichen Voranschreitens sehe ich die Heiligkeit der streitenden
Kirche. Oft ist das die Heiligkeit 'von nebenan', derer, die in
unserer Nähe wohnen und die ein Widerschein der Gegenwart Gottes
sind" (GE, 7)
Die polnische Version, die ich für
meine pastorale Arbeit näher konsultiert habe, übersetzt
"Heiligkeit von nebenan" mit "świętość z
sąsiedztwa", was wohl mit "Heiligkeit aus der
Nachbarschaft" ganz gut wiedergegeben ist.
Da sind sie also wieder, die Heiligen
als Nachbarn.
Nun aber als unsere Nachbarn.
Heiligkeit, davon spricht auch das Schreiben des Papstes, "wächst
durch kleine Gesten." (GE, 16)
"Bist du verheiratet? Sei
heilig, indem du deinen Mann oder deine Frau liebst und umsorgst, wie
Christus es mit der Kirche getan hat. Bist du ein Arbeiter? Sei
heilig, indem du deine Arbeit im Dienst an den Brüdern und
Schwestern mit Redlichkeit und Sachverstand verrichtest. Bist du
Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter? Sei heilig, indem du
den Kindern geduldig beibringst, Jesus zu folgen. Hast du eine
Verantwortungsposition inne? Sei heilig, indem du für das Gemeinwohl
kämpfst und auf deine persönlichen Interessen verzichtest."
(GE, 14)
Auch hier stehen die Gedanken
von Selbstverleugnung und -überwindung im Hintergrund, wie sie
Petrus Canisius bewegt haben – aber sie stehen eben im Hintergrund
und werden durch die direkte und einfache Sprache des Papstes
ansprechend.
Und es geht Papst Franziskus um das
alltägliche Wachsen als Nachbar aller anderen Menschen, nicht um das
ehrfürchtige Sich-Distanzieren von den ach so weit entfernten großen
Heiligen, die doch nie zu erreichen sind. "Oft sind wir
versucht zu meinen, dass die Heiligkeit nur denen vorbehalten sei,
die die Möglichkeit haben, sich von den gewöhnlichen
Beschäftigungen fernzuhalten, um viel Zeit dem Gebet zu widmen. Es
ist aber nicht so. Wir sind alle berufen, heilig zu sein, indem wir
in der Liebe leben und im täglichen Tun unser persönliches Zeugnis
ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich befindet." (GE,
14)
Und er fügt hinzu: "Lass zu,
dass alles für Gott offen ist, und dazu entscheide dich für ihn"
(GE, 15).
Mich motivieren solche Worte mehr als
die Demut-und-Gehorsam-Sprachspiele des ausgehenden Mittelalters, in
denen Petrus Canisius lebte. Selbst wenn das Denken des Papstes und
die christliche Spiritualität dieses "alte" Denken immer
in sich haben und bis zu einem gewissen Grad in sich haben müssen,
so macht doch der Ton gleich eine völlig andere Musik.
Doch auch wenn der Papst die Heiligen
als unsere Nachbarn begreift, wenn die reifende Heiligkeit schon
nebenan zu finden ist, dann handelt es sich doch gleichzeitig um die
nachbarliche Nähe zu Gott. Beides gehört zusammen!
Denn dann bedeutet, Nachbar Gottes zu
sein in unserer Welt zugleich, Nachbar der vielen Menschen zu sein,
die Gott als Fremden ansehen. Und Zeugnis abzulegen von dieser
Nachbarschaft.
Lassen wir uns vom Papst also ruhig
auffordern, nachbarschaftliche Menschen zu sein, nah bei Gott und nah
bei den Menschen.
Nah beieinander. Nikolassee, Berlin, 2016. |
1 Kurzer
Unterricht vom Katholischen Glauben. Der Kleine Katechismus des
Petrus Canisius. Dillingen 1560. Frankfurt a.M. 1998 (Geistliche
Texte SJ Nr. 20), 43.
2 Der
deutschsprachige Volltext fndet sich u.a. unter
https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2018-04/gaudete-et-exultate-exhortation-wortlaut-amtliche-uebersetzung.html