In zwei ganz unterschiedlichen
Kontexten sind religiöse Symbole in den letzten Tagen wieder
Gegenstand gesellschaftlicher Debatten geworden. Zum einen die
Attacke auf einen kippatragenden Israeli im Prenzlauer Berg in Berlin
durch einen Palästinenser, zum anderen durch die Anordnung, dass in
bayerischen Behörden demnächst verbindlich Kreuze hängen sollen.
Einmal geht es um die privaten Ausdruck
der persönlichen Religiosität, eine Einzelperson nimmt also ihr
Recht auf freie Religionsausübung in Anspruch1
und wird deshalb angegriffen; einmal geht es um die Geste eines sich
religiös-weltanschaulich neutral definierenden Staates, der sich
augenscheinlich in einer religiösen Tradition verorten will.
Der Lack ist ab im Prenzlauer Berg. Prenzlauer Berg, Berlin, 2017. |
Ein Eindruck und ein Gedanke dazu:
1
Ich habe dem Aufruf "Berlin trägt
Kippa" zwar nicht auf der Demonstration in der Fasanenstraße
nachkommen können, bin aber als Ausgleich heute mit einer Kippa
durch meinen Alltag gelaufen. Von Neukölln über die S-Bahn bis ins
Gefängnis in Charlottenburg. Als kirchlicher Angestellter, der in
einer staatlichen Behörde Dienst tut, bin ich an das Berliner
Verbot2
des Tragens religiöser Symbole für Staatsbedienstete
selbstverständlich nicht gebunden.
Allerdings fühlte ich mich auch etwas
eigenartig, dass ich als der bekanntermaßen christliche Seelsorger
der JVA mit dem religiösen Symbol einer anderen Religion unterwegs
bin. Bezüglich der Kippa habe ich hier zwar keine grundsätzlichen
Bedenken, da sich die Kippa meines Wissens nach auf keinen exklusiv
jüdischen Glaubensinhalt bezieht, der das Judentum vom Christentum
trennen würde. Außerdem trage ich die Kippa ja nicht regulär,
sondern nur an einem Tag, an dem zur Solidarität aufgerufen wurde.
Aber ich möchte auch nicht den falschen Anschein erwecken, einer
Religion anzugehören, zu der ich nun einmal nicht gehöre.
Warum habe ich das also getan?
Als religiöser Mensch halte ich es für
wichtig zu zeigen, dass in Deutschland das Tragen religiöser Symbole
in der Öffentlichkeit normal ist. Und zwar das Tragen aller
religiösen Symbole. Niemand soll sich fürchten müssen,
insbesondere nicht die, die sich in Deutschland zu ihrem jüdischen
Glauben bekennen. Die Religionsfreiheit muss für jede Religion
gleichermaßen gelten.
Gerade als Christ weiß ich um die
Verwurzelung meiner Religion im Alten Testament, auf das sich auch
die heutigen Juden maßgeblich beziehen und fühle mich darum
verpflichtet, diesen meinen "Geschwistern" meine
Solidarität zu zeigen. Außerdem sehe ich die Zuwendung zu allen
Verfolgten und Gepeinigten als einen Grundzug praktischer
christlicher Religiosität an – und sei es durch den symbolischen
Ausdruck von Solidarität.
Es haben sich übrigens einige
spannende Gespräche vornehmlich mit Bediensteten des Justizvollzugs
ergeben, Gespräche, die sich bei der Ausübung meiner normalen
Arbeiten als christlicher Seelsorger nicht ergeben.
2
Dass nun ausgerechnet der bayerische
Staat autoritativ religiöse Symbole anbringen lässt, halte ich in
einem weltanschaulich neutralen Staat nicht für hilfreich.
Symbolfreier öffentlicher Raum. Rathaus Neukölln, Berlin, 2018. |
Es entwertet das Zeichen als Symbol der
Religion, wenn es in den Staatsdienst einbestellt wird. Davon zeugt
auch die Aussage des bayerischen Ministerpräsidenten Söder, dass
das Kreuz nicht Zeichen einer Religion sei. Eine solche Haltung
meint, das Kreuz zu ehren, wenn es auf das gesellschaftliche Parkett
manövriert wird, aber solche Gesten entleeren dieses Symbol nur.
Selbst wenn die Mütter und Väter des
Grundgesetzes bei ihrer Arbeit am Grundgesetz zu großen Teilen
christlich motiviert waren und selbst wenn einzelne Personen, die in
den jeweiligen Behörden arbeiten, sich (und das halte ich persönlich
für sehr wichtig!) mit dem Christentum und seinen Werten
identifizieren, so ist die Institution doch keine religiöse und auch
keine religiös geprägte, sondern eine säkulare. Das sollte auch
deutlich sein, besonders in Zeiten der Migration aus nicht mehrheitlich
christentümlich geprägten Staaten.
Angesichts der zunehmenden Erosion des
christlichen Glaubens in der bundesdeutschen Gesellschaft wirkt eine
solche Anordnung wie ein illusionäres Rückzugsgefecht. Das Kreuz
ist ein leeres Zeichen, das doch eigentlich für etwas Anderes, für
einen Inhalt stehen sollte. Aber weder die mit dem Kreuz
zusammenhängenden Glaubensinhalte noch die damit verbundenen Werte
sind hier von Bedeutung – es geht allein um das Zeichen. Und das
ist leer.
Gerade die christsozialen
Unmenschlichkeiten in der Migrationspolitik machen die jetzige Geste
zu einer Lachnummer. Wenn ich eben die Zuwendung zu den Gepeinigten
und Verfolgten als grundlegenden Teil christlicher Glaubenspraxis
benannt habe, dann gilt das auch und besonders dort, wo Menschen aus
anderen Ländern der Welt nach Deutschland kommen (wollen).
Vielleicht ist es ja meine ostdeutsche
Sozialisation – aber ich halte die strikte Trennung von Staat und
Kirche, bei ausdrücklich wohlwollender Kooperation (!) für eine
wichtige Errungenschaft der Aufklärung. Ich möchte von Seiten des
Staates weder (wie in meiner Kindheit) mit staatssozialistischem
Gedankengut zwangsbeglückt werden noch mit einer bestimmten Religion
(und sei es die meine!).
Dafür aber möchte ich gleichzeitig,
und das steht in striktem Gegensatz zum Weg der Berliner Säkularität,
die Möglichkeit haben, als Privatperson auch im öffentlichen Dienst
meinem Glauben Ausdruck zu geben und will weder in Schule noch
Religion mit Religionslosigkeit als Nonplusultra bevormundet werden.
Kurz: Ich halte weder das Kreuz in
Gerichten für sinnvoll noch die Propagierung von Religion als bloße
Privatsache.
Gut zusammengefasst hat dies Ulrich
Rhode aus staatskirchenrechtlicher Sicht:
"Der Grundsatz der religiösen
Neutralität des Staates verbietet nicht nur eine formelle Verbindung
des Staates mit bestimmten religiösen Anschauungen oder
Gemeinschaften; sondern er verbietet dem Staat zugleich eine
einseitige Einflußnahme auf die religiösen Anschauungen der
Bürger." Diese "einseitige Einflußnahme"
bedeutet, dass der Staat als Staat nicht "zugunsten oder zu
Lasten bestimmter religiöser Auffassungen Einfluß ausüben"
darf.3
Aus genau den gleichen Gründen soll also jeder seine Kippa oder ein sonstiges religiöses Symbol angstfrei tragen dürfen und zugleich vom Staat keine bestimmte Religion als normgebend vorgesetzt bekommen. Darum sollte der Staat den Mut und die Freiheit
aller Bürgerinnen und Bürger fördern, ihre Religion in der
Öffentlichkeit zu bekennen und sich selbst mit solchen Bekundungen eher zurück halten.
Ich will keine bayerischen Kreuze, sondern Berliner Kippas.
Religiöses Symbol im offenen Raum. Kirchmöser, Brandenburg, 2017. |
1 Auch
wenn der konkrete Fall anders gelagert ist und der junge Israeli
kein Jude ist, wurde er doch gerade darum angegriffen, weil seine
Angreifer glaubten, er würde sich mit diesem Zeichen zum Judentum
bekennen wollen.
2 Der
Text der wesentlichen Passagen lautet: Gesetz zu Artikel 29 der
Verfassung von Berlin; Präambel:
Alle
Beschäftigten genießen Glaubens- und Gewissensfreiheit und die
Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Keine
Beschäftigte und kein Beschäftigter darf wegen ihres oder seines
Glaubens oder ihres oder seines weltanschaulichen Bekenntnisses
diskriminiert werden. Gleichzeitig ist das Land Berlin zu
weltanschaulichreligiöser Neutralität verpflichtet. Deshalb müssen
sich Beschäftigte des Landes Berlin in den Bereichen, in denen die
Bürgerin oder der Bürger in besonderer Weise dem staatlichen
Einfluss unterworfen ist, in ihrem religiösen oder
weltanschaulichen Bekenntnis zurückhalten.
§ 1 Beamtinnen
und Beamte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder
der Polizei beschäftigt sind, dürfen innerhalb des Dienstes keine
sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die
Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft
demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich
geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt im Bereich der
Rechtspflege nur für Beamtinnen und Beamte, die hoheitlich tätig
sind. [...]
Zit. nach: https://www.ulrichrhode.de/docs/Religioese_Symbole.pdf Dieser Text bezieht sich vornehmlich auf die Frage des Kopftuchtragens, bietet aber einige grundsätzliche Erwägungen.
Zit. nach: https://www.ulrichrhode.de/docs/Religioese_Symbole.pdf Dieser Text bezieht sich vornehmlich auf die Frage des Kopftuchtragens, bietet aber einige grundsätzliche Erwägungen.
3 U.
Rhode, Religiöse
Symbole in staatlichen Einrichtungen. In:
https://www.ulrichrhode.de/docs/Religioese_Symbole.pdf