Freitag, 4. Mai 2018

"Nihil esse respondendum". Kommunionempfang und Ambiguitätstoleranz

Das Buch der Stunde stammt von dem Islamwissenschaftler Thomas Bauer. 
Jedenfalls liefert es entscheidende Hinweise für das Verstehen der Vorgänge um die Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz zum Kommunionempfang für nichtkatholische Ehepartner in einer gemischtkonfessionellen Ehe.

Kurz zur Vorgeschichte: Im Februar hatten die Deutschen Bischöfe ein Dokument erarbeitet, in dem die Möglichkeit zur Spendung der Kommunion in diesem Kontext eröffnet wurde. Einige Bischöfe (unter ihnen Rainer Maria Woelki, Rudolf Voderholzer, Stefan Oster) wandten sich, unzufrieden mit der Entscheidung der Mehrheit der DBK und in Angst um "Glaube und Einheit der Kirche", an den Vatikan und baten um Klärung, ob eine solche Entscheidung überhaupt in der Kompetenz einer Bischofskonferenz liege.

Geschlossene Fenster, offene Fenster?
St. Johannes Baptist, Jena, 2015.
Darum wurde nun gestern in Rom ein Gespräch zwischen Vertretern der DBK und des Heiligen Stuhls geführt.
Am Ende dieses Gesprächs steht nach dem Präfekten der Glaubenskogregation die Bitte des Papstes, „im Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung zu finden“.

In anderen Worten: Die Bischöfe sind unzufrieden mit der Einigung, wenden sich mit der Bitte um Führung und Klarheit nach Rom und alles, was sie bekommen ist eine Gesprächseinladung und die Aufforderung, sich doch selbst zu einigen.

Was hat das mit Thomas Bauer zu tun?
Nach seinem vielbeachteten Buch "Die Kultur der Ambiguität" von 2011, hat der Autor nun mit "Die Vereindeutigung der Welt" eine allgemeinere und kürzere Fassung seines Leitgedankens vorgelegt.
Dieser Leitgedanke lautet, dass der Umgang mit Ambiguität, also mit Unbestimmtheit, Uneindeutigkeit und Vagheit, in unserer Welt unumgänglich und Ambiguitätstoleranz darum eine höchst erstrebenswerte Haltung ist.
Besonders religiöse Fragestellungen zieht Bauer immer wieder als Beispiel heran und zitiert hier auch eine Antwort der römischen Kurie, als sich Missionare in einem Dilemma mit Bitte um Klärung an den Vatikan wandten. Eine mächtige Familie, politische Schutzmacht der mit Rom unierten Armenier, handelt gegen die kirchliche Sexualmoral. Zugleich aber sind die Armenier ohne diese Familie aufgeschmissen. Die Missionare fragen: Soll man nun aus Gründen der moralischen Sicherheit mit ihnen brechen und so eventuell die Armenier schutzlos lassen oder soll man die Verfehlungen tolerieren. Auch hier (wenngleich inhaltlich ganz anders gelagert als die heutige Frage) wurde keine Entscheidung gegeben. Gleichwohl gab es ein Machtwort: "Nihil esse respondendum" – "Es soll keine Antwort gegeben werden". Bauer kommentiert: "Anstatt die Anfrage einfach zu verschleppen, fasste man also einen formellen Beschluss – der darin bestand, zu beschließen, nichts zu beschließen -, ein virtuoses Ambiguitätskunststück".1

Die Fragenden waren also aufgefordert, die Unklarheit auszuhalten. Wenn man, was immer man macht, nur falsch sein kann, dann ist es besser, kein moralisches Urteil zu treffen.

Mich erinnert gerade diese Anekdote sehr stark an die jetzige Situation. Die Sehnsucht nach Gewissheit und Eindeutigkeit liegt tief in der DNA deutscher Befindlichkeit und wahrscheinlich besonders im Blut von katholischen Hierarchen, die auf dogmatische Sätze fixiert sind.
Das Offenhalten von religiösen Aussagen angesichts der je größeren Größe Gottes, angesichts der Natur des Glaubens, der keine letzte Gewissheit geben kann, angesichts der lebensweltlichen Praxis, die doch immerzu Festlegungen fordert, angesichts all dessen ist das Offenhalten einer Situation ohne letzte Antwort und das Tolerieren der Ambiguität eine ungeheure, oftmals schwer leistbare Anstrengung.
Auch ein Gewissen ist nie schwarz oder weiß, sondern dazwischen. 

Ein Kreuz mit dem Allerheiligsten.
Stella Maris, Binz, 2016.
Bauers leitende These, "dass unsere Zeit eine Zeit geringer Ambiguitätstoleranz ist", weil besonders jene "Angebote als attraktiv [erscheinen], die Erlösung von der unhintergehbaren Ambiguität der Welt versprechen",2 scheint mir aufs i-Tüpfelchen bestätigt, wenn ich sehe, dass diese Bischöfe nicht aushalten, dass Nichtkatholiken regulär die Eucharistie empfangen könnten (noch nicht einmal müssten!).
Man denke nur zurück an den Aufschrei, als Kardinal Joseph Ratzinger dem reformierten Leiter der Gemeinschaft von Taizé, Roger Schutz, 2005 beim Begräbnis von Johannes Paul II. die Kommunion reichte!
Katholische Sakramente nur für Katholiken! In dieser (mir doch zugleich so nachvollziehbaren) Denkweise bleiben wir gefangen, wenn wir uns den Zumutungen der Ökumene nicht öffnen.

Umso mehr freue ich mich, dass die Kirchenleitung in Rom anscheinend die Fähigkeit besitzt, die Ungleichzeitigkeit, die Ungereimtheit, die Unklarheit solcher Situationen auszuhalten. Als Menschen sind wir nach Bauer "nur beschränkt ambiguitätstolerant" und eher bestrebt "einen Zustand der Eindeutigkeit herzustellen, als Vieldeutigkeit auf Dauer zu ertragen."3
Trotzdem gilt es auszuhalten, dass nicht alle Christen katholisch werden (wollen) und dass das auch nachvollziehbar und wahrscheinlich sogar ganz gut ist – und dass man mit ihnen trotzdem große Gemeinschaft erleben und feiern kann, im Einzelfall sogar im Sakrament der Einheit, der Eucharistie.


1   T. Bauer, Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. 2., durchgesehene Aufl. Ditzingen 2018, 22.
2   Ebd., 30.
3   Ebd., 16.