Das Buch der Stunde stammt von dem
Islamwissenschaftler Thomas Bauer.
Jedenfalls liefert es
entscheidende Hinweise für das Verstehen der Vorgänge um die
Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz zum Kommunionempfang für
nichtkatholische Ehepartner in einer gemischtkonfessionellen Ehe.
Kurz zur Vorgeschichte: Im Februar
hatten die Deutschen Bischöfe ein Dokument erarbeitet, in dem die
Möglichkeit zur Spendung der Kommunion in diesem Kontext eröffnet
wurde. Einige Bischöfe (unter ihnen Rainer Maria Woelki, Rudolf
Voderholzer, Stefan Oster) wandten sich, unzufrieden mit der
Entscheidung der Mehrheit der DBK und in Angst um "Glaube und Einheit der Kirche", an den Vatikan und baten um Klärung,
ob eine solche Entscheidung überhaupt in der Kompetenz einer
Bischofskonferenz liege.
Geschlossene Fenster, offene Fenster? St. Johannes Baptist, Jena, 2015. |
Darum wurde nun gestern in Rom ein Gespräch zwischen Vertretern der DBK und des Heiligen Stuhls
geführt.
Am Ende dieses Gesprächs steht nach
dem Präfekten der Glaubenskogregation die Bitte des Papstes, „im
Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung zu
finden“.
In anderen Worten: Die Bischöfe sind
unzufrieden mit der Einigung, wenden sich mit der Bitte um Führung
und Klarheit nach Rom und alles, was sie bekommen ist eine
Gesprächseinladung und die Aufforderung, sich doch selbst zu
einigen.
Was hat das mit Thomas Bauer zu tun?
Nach seinem vielbeachteten Buch "Die Kultur der Ambiguität" von 2011, hat der Autor nun mit "Die
Vereindeutigung der Welt" eine allgemeinere und kürzere
Fassung seines Leitgedankens vorgelegt.
Dieser Leitgedanke lautet, dass der
Umgang mit Ambiguität, also mit Unbestimmtheit, Uneindeutigkeit und
Vagheit, in unserer Welt unumgänglich und Ambiguitätstoleranz darum
eine höchst erstrebenswerte Haltung ist.
Besonders religiöse Fragestellungen
zieht Bauer immer wieder als Beispiel heran und zitiert hier auch
eine Antwort der römischen Kurie, als sich Missionare in einem
Dilemma mit Bitte um Klärung an den Vatikan wandten. Eine mächtige
Familie, politische Schutzmacht der mit Rom unierten Armenier,
handelt gegen die kirchliche Sexualmoral. Zugleich aber sind die
Armenier ohne diese Familie aufgeschmissen. Die Missionare fragen:
Soll man nun aus Gründen der moralischen Sicherheit mit ihnen
brechen und so eventuell die Armenier schutzlos lassen oder soll man
die Verfehlungen tolerieren. Auch hier (wenngleich inhaltlich ganz
anders gelagert als die heutige Frage) wurde keine Entscheidung
gegeben. Gleichwohl gab es ein Machtwort: "Nihil esse
respondendum" – "Es soll keine Antwort gegeben
werden". Bauer kommentiert: "Anstatt die Anfrage
einfach zu verschleppen, fasste man also einen formellen Beschluss –
der darin bestand, zu beschließen, nichts zu beschließen -, ein
virtuoses Ambiguitätskunststück".1
Die Fragenden waren also aufgefordert,
die Unklarheit auszuhalten. Wenn man, was immer man macht, nur falsch
sein kann, dann ist es besser, kein moralisches Urteil zu treffen.
Mich erinnert gerade diese Anekdote
sehr stark an die jetzige Situation. Die Sehnsucht nach Gewissheit
und Eindeutigkeit liegt tief in der DNA deutscher Befindlichkeit und
wahrscheinlich besonders im Blut von katholischen Hierarchen, die auf
dogmatische Sätze fixiert sind.
Das Offenhalten von religiösen
Aussagen angesichts der je größeren Größe Gottes, angesichts der
Natur des Glaubens, der keine letzte Gewissheit geben kann,
angesichts der lebensweltlichen Praxis, die doch immerzu Festlegungen
fordert, angesichts all dessen ist das Offenhalten einer Situation
ohne letzte Antwort und das Tolerieren der Ambiguität eine
ungeheure, oftmals schwer leistbare Anstrengung.
Auch ein Gewissen ist nie schwarz oder weiß, sondern dazwischen.
Auch ein Gewissen ist nie schwarz oder weiß, sondern dazwischen.
Ein Kreuz mit dem Allerheiligsten. Stella Maris, Binz, 2016. |
Bauers leitende These, "dass
unsere Zeit eine Zeit geringer Ambiguitätstoleranz ist",
weil besonders jene "Angebote als attraktiv [erscheinen], die
Erlösung von der unhintergehbaren Ambiguität der Welt
versprechen",2
scheint mir aufs i-Tüpfelchen bestätigt, wenn ich sehe, dass diese
Bischöfe nicht aushalten, dass Nichtkatholiken regulär die
Eucharistie empfangen könnten (noch nicht einmal müssten!).
Man denke nur zurück an den Aufschrei,
als Kardinal Joseph Ratzinger dem reformierten Leiter der
Gemeinschaft von Taizé, Roger Schutz, 2005 beim Begräbnis von
Johannes Paul II. die Kommunion reichte!
Katholische Sakramente nur für
Katholiken! In dieser (mir doch zugleich so nachvollziehbaren)
Denkweise bleiben wir gefangen, wenn wir uns den Zumutungen der
Ökumene nicht öffnen.
Umso mehr freue ich mich, dass die
Kirchenleitung in Rom anscheinend die Fähigkeit besitzt, die
Ungleichzeitigkeit, die Ungereimtheit, die Unklarheit solcher
Situationen auszuhalten. Als Menschen sind wir nach Bauer "nur
beschränkt ambiguitätstolerant" und eher bestrebt "einen
Zustand der Eindeutigkeit herzustellen, als Vieldeutigkeit auf Dauer
zu ertragen."3
Trotzdem gilt es auszuhalten, dass
nicht alle Christen katholisch werden (wollen) und dass das auch
nachvollziehbar und wahrscheinlich sogar ganz gut ist – und dass
man mit ihnen trotzdem große Gemeinschaft erleben und feiern kann, im Einzelfall sogar im
Sakrament der Einheit, der Eucharistie.
1 T.
Bauer, Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an
Mehrdeutigkeit und Vielfalt. 2., durchgesehene Aufl. Ditzingen 2018,
22.
2 Ebd.,
30.
3 Ebd.,
16.