Anfang Februar vor vier Jahren habe ich
den Jesuitenorden verlassen. Ich bin in Frankfurt am Main in ein Auto
gestiegen und mit kurzen Abstechern nach Berlin gefahren.
Das klingt zunächst einfach.
Aber diesem Tag ging selbstverständlich
ein längerer Prozess voraus – und ihm folgte ebenso ein längerer
Prozess.
Wenn ich jetzt, inzwischen als Ehemann
und Vater (und ironischerweise am Ende des von Papst Franziskus
ausgerufenen Jahr der Orden), darauf schaue, dann sehe ich einen
langen inneren und äußeren Weg. Den werde ich hier nicht
ausbreiten, wohl aber ein paar Gedanken – und Fragen. Gefühle und Zustände also anstelle von expliziten Gründen.
Einfach den Gleisen folgen? Most Gdanski, Warschau, 2015. |
Den Wunsch, Gott und den Menschen mit
dem ganzen Leben in einem einheitlichen Lebensentwurf zu dienen, ist
ein hohes Ideal, das in der ganzen Lebenswirklichkeit Raum greifen
muss, um zur Erfüllung, zu einem Leben in Fülle, zu führen. Dafür
braucht es einen Ruf, die innere Gewissheit, dass Gott genau dies
will, mit all den Höhen und Tiefen, die dazu gehören. Bei den
Jesuiten ist hier ein zentraler Begriff der Begriff der Sendung, die
für eine konkrete Person aus der Unterscheidung der Geister, dem
Gespür für die innere Sehnsucht und für das Ziehen Gottes folgt.
Wozu ist ein Mensch, wozu bin ich nach
Gottes Willen gesandt? In welcher Weise soll ich mit Jesus auf meinem
Lebensweg sein?
Viele Menschen entscheiden das implizit
durch ihre konkrete Lebensführung. Wem sich die Fragen in
existenzieller Schwere stellen, der kaut wahrscheinlich lange darauf
herum, bis er eine Entscheidung treffen kann, hoffentlich möglichst
reflektiert und dezidiert.
Das ist oftmals ein sehr spannender
Prozess.
Für mich hieß das die Entscheidung
über Dinge wie diese: Die Bereitschaft, ehelos zu leben, sich
gehorsam in verschiedene Aufgabenfelder schicken zu lassen, relativ
bescheiden und ohne privaten Besitz zu leben; in einer Gemeinschaft
mit anderen Männern zu leben, die man sich nur bedingt aussuchen
kann; nicht frei über eigene Lebensperspektiven entscheiden zu
können; und einiges mehr.
Der Gewinn allerdings war, jedenfalls
aus meiner Sicht, ganz beträchtlich: Das eigene Leben in einen
umfassenden Sinnhorizont zu stellen; eine weltweite Gemeinschaft von
potenziell Gleichgesinnten zu haben; stets herausgefordert zu sein in
einer anspruchsvollen Umgebung; relative Sicherheit über die
sozialen Kontakte und die Ruhe, sich um Rente, Versicherungen etc.
wenig sorgen zu müssen; eine gelassene Gewissheit, an Gottes Seite
zu stehen; und auch hier einiges mehr.
Wenn aber die Gewissheit über die
entschiedene Art und Weise des Lebens bröckelt und ungewiss wird,
dann beginnt der spannende Prozess, wie damit umzugehen sei.
Meine
konkreten inhaltlichen Entscheidungsgründe für die wachsenden
Austrittsgedanken möchte ich hier nicht anführen, wohl aber die
prinzipiellen Fragen, die sich stellen (können).
Für mich war es vor allem eine Frage
nach der eigenen Treuefähigkeit, dem Stehen zu einmal getroffenen
Entscheidungen. Den offenen Bruch mit diesen Entscheidungen zu wagen,
auch wenn die eindeutige und letzte Gewissheit fehlt. Aber auch das
Gefühl, Gott untreu zu werden, wenn ich glaube, mein Leben nun nicht
mehr ganz auf diese Weise in seinen Dienst stellen zu können, spielt
da zum Beispiel eine Rolle.
Ausgang in Richtung Himmel? Pinakothek der Moderne, München, 2015. |
Dahinter: Wieviel Ganzheit und
Geschlossenheit erwarte ich von mir und meinen Lebensentscheidungen?
Was macht es mit meinem Selbstbild, wenn ich nicht nach Plan
weitergehen kann? Bin ich fähig, gänzlich loszulassen und neu zu
beginnen?
Ich persönlich habe den Austritt nicht
als so etwas wie Versagen empfunden, aber ich weiß, dass Andere das
durchaus so sehen. Die mögliche Brüchigkeit eigener Lebensplanungen
akzeptiere ich inzwischen. Und bin trotzdem bereit zur Übernahme von
Verantwortung, sonst würde Leben sich doch gar nicht lohnen.
Und dann der Austritt selbst – der
tatsächliche, wirkliche Bruch, und in seinem Gefolge die bohrende
Frage nach den geistigen Fundamenten, nach der inneren Heimat, nach
der Kraftquelle des eigenen Lebens. Vieles muss ja auch innerlich auf
völlig neue Beine gestellt werden.
Dann ist da Trauer - über den Verlust, die verlorenen Möglichkeiten, die Beziehungen, die nicht mehr sein werden und vieles mehr.
Dann ist da Trauer - über den Verlust, die verlorenen Möglichkeiten, die Beziehungen, die nicht mehr sein werden und vieles mehr.
Und daneben: die völlige Unklarheit
über das Kommende, sowohl im geistigen als auch im materiellen Sinn.
Ein neues Leben zu ordnen, ihm eine Richtung zu geben, neu auf Gott
zu hören und vor allem: darauf zu vertrauen, dass er diesen Schritt
gerade nicht als Untreue ansieht, sondern als Hören auf seinen
Willen.
Nach welchen Kriterien kann ich auf
Gott hören, wenn ich mein Leben neu ausrichte entgegen einmal
getroffenen Entscheidungen?
Mich persönlich haben dabei
vornehmlich drei Fragen geleitet:
1. Was sättigt meine Seele mehr? -
Oder: Wo finde ich geistige Nahrung, Freude, Frieden, Heimat...?
2. Wie kann ich mehr ein liebender
Mensch werden? - Oder: Kann ich entfalten, was an grundlegenden
Talenten in mir steckt, kann ich meiner Sehnsucht folgen?
3. Wo ist es möglich, mehr zu Gottes
größerer Ehre zu leben? - Oder: Welche Aufgabe ist angemessener,
welche Sendung passt eher zu mir?
Für heute kann ich sagen: ich bin Gott dankbar für seine Begleitung und bereue
diesen Schritt nicht, auch wenn im Rückblick manche Einzelheit im
Orden leichter scheint. Ich sage nur Gebetszeit!
Aber wo herrschte nicht Verklärung des Vorigen nach dem Einbruch der Wirklichkeit?
Aber wo herrschte nicht Verklärung des Vorigen nach dem Einbruch der Wirklichkeit?
Ich bin überzeugt, dass die bleibende
Gemeinschaft mit Christus ganz langsam und bruchstückhaft in der
Suche nach lebbarer Gemeinschaft in größtmöglicher Liebe wachsen
kann.
Welche Fahne weht über mir? Na Rozdroze, Warschau, 2015. |