Mittwoch, 3. Februar 2016

Einen Orden verlassen – in Gesellschaft Jesu bleiben

Anfang Februar vor vier Jahren habe ich den Jesuitenorden verlassen. Ich bin in Frankfurt am Main in ein Auto gestiegen und mit kurzen Abstechern nach Berlin gefahren.
Das klingt zunächst einfach.
Aber diesem Tag ging selbstverständlich ein längerer Prozess voraus – und ihm folgte ebenso ein längerer Prozess.

Wenn ich jetzt, inzwischen als Ehemann und Vater (und ironischerweise am Ende des von Papst Franziskus ausgerufenen Jahr der Orden), darauf schaue, dann sehe ich einen langen inneren und äußeren Weg. Den werde ich hier nicht ausbreiten, wohl aber ein paar Gedanken – und Fragen. Gefühle und Zustände also anstelle von expliziten Gründen.

Einfach den Gleisen folgen?
Most Gdanski, Warschau, 2015.
Den Wunsch, Gott und den Menschen mit dem ganzen Leben in einem einheitlichen Lebensentwurf zu dienen, ist ein hohes Ideal, das in der ganzen Lebenswirklichkeit Raum greifen muss, um zur Erfüllung, zu einem Leben in Fülle, zu führen. Dafür braucht es einen Ruf, die innere Gewissheit, dass Gott genau dies will, mit all den Höhen und Tiefen, die dazu gehören. Bei den Jesuiten ist hier ein zentraler Begriff der Begriff der Sendung, die für eine konkrete Person aus der Unterscheidung der Geister, dem Gespür für die innere Sehnsucht und für das Ziehen Gottes folgt.
Wozu ist ein Mensch, wozu bin ich nach Gottes Willen gesandt? In welcher Weise soll ich mit Jesus auf meinem Lebensweg sein?

Viele Menschen entscheiden das implizit durch ihre konkrete Lebensführung. Wem sich die Fragen in existenzieller Schwere stellen, der kaut wahrscheinlich lange darauf herum, bis er eine Entscheidung treffen kann, hoffentlich möglichst reflektiert und dezidiert.
Das ist oftmals ein sehr spannender Prozess.

Für mich hieß das die Entscheidung über Dinge wie diese: Die Bereitschaft, ehelos zu leben, sich gehorsam in verschiedene Aufgabenfelder schicken zu lassen, relativ bescheiden und ohne privaten Besitz zu leben; in einer Gemeinschaft mit anderen Männern zu leben, die man sich nur bedingt aussuchen kann; nicht frei über eigene Lebensperspektiven entscheiden zu können; und einiges mehr.

Der Gewinn allerdings war, jedenfalls aus meiner Sicht, ganz beträchtlich: Das eigene Leben in einen umfassenden Sinnhorizont zu stellen; eine weltweite Gemeinschaft von potenziell Gleichgesinnten zu haben; stets herausgefordert zu sein in einer anspruchsvollen Umgebung; relative Sicherheit über die sozialen Kontakte und die Ruhe, sich um Rente, Versicherungen etc. wenig sorgen zu müssen; eine gelassene Gewissheit, an Gottes Seite zu stehen; und auch hier einiges mehr.

Wenn aber die Gewissheit über die entschiedene Art und Weise des Lebens bröckelt und ungewiss wird, dann beginnt der spannende Prozess, wie damit umzugehen sei. 
Meine konkreten inhaltlichen Entscheidungsgründe für die wachsenden Austrittsgedanken möchte ich hier nicht anführen, wohl aber die prinzipiellen Fragen, die sich stellen (können).

Neben der Tatsache, dass ein ganzes Lebensumfeld wegbricht und eine Menge sympathischer Gesprächspartner plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen:
Für mich war es vor allem eine Frage nach der eigenen Treuefähigkeit, dem Stehen zu einmal getroffenen Entscheidungen. Den offenen Bruch mit diesen Entscheidungen zu wagen, auch wenn die eindeutige und letzte Gewissheit fehlt. Aber auch das Gefühl, Gott untreu zu werden, wenn ich glaube, mein Leben nun nicht mehr ganz auf diese Weise in seinen Dienst stellen zu können, spielt da zum Beispiel eine Rolle. 

Ausgang in Richtung Himmel?
Pinakothek der Moderne, München, 2015.
Dahinter: Wieviel Ganzheit und Geschlossenheit erwarte ich von mir und meinen Lebensentscheidungen? Was macht es mit meinem Selbstbild, wenn ich nicht nach Plan weitergehen kann? Bin ich fähig, gänzlich loszulassen und neu zu beginnen?

Ich persönlich habe den Austritt nicht als so etwas wie Versagen empfunden, aber ich weiß, dass Andere das durchaus so sehen. Die mögliche Brüchigkeit eigener Lebensplanungen akzeptiere ich inzwischen. Und bin trotzdem bereit zur Übernahme von Verantwortung, sonst würde Leben sich doch gar nicht lohnen.

Und dann der Austritt selbst – der tatsächliche, wirkliche Bruch, und in seinem Gefolge die bohrende Frage nach den geistigen Fundamenten, nach der inneren Heimat, nach der Kraftquelle des eigenen Lebens. Vieles muss ja auch innerlich auf völlig neue Beine gestellt werden.
Dann ist da Trauer - über den Verlust, die verlorenen Möglichkeiten, die Beziehungen, die nicht mehr sein werden und vieles mehr.

Und daneben: die völlige Unklarheit über das Kommende, sowohl im geistigen als auch im materiellen Sinn. Ein neues Leben zu ordnen, ihm eine Richtung zu geben, neu auf Gott zu hören und vor allem: darauf zu vertrauen, dass er diesen Schritt gerade nicht als Untreue ansieht, sondern als Hören auf seinen Willen.

Nach welchen Kriterien kann ich auf Gott hören, wenn ich mein Leben neu ausrichte entgegen einmal getroffenen Entscheidungen?
Mich persönlich haben dabei vornehmlich drei Fragen geleitet:

1. Was sättigt meine Seele mehr? - Oder: Wo finde ich geistige Nahrung, Freude, Frieden, Heimat...?
2. Wie kann ich mehr ein liebender Mensch werden? - Oder: Kann ich entfalten, was an grundlegenden Talenten in mir steckt, kann ich meiner Sehnsucht folgen?
3. Wo ist es möglich, mehr zu Gottes größerer Ehre zu leben? - Oder: Welche Aufgabe ist angemessener, welche Sendung passt eher zu mir?

Für heute kann ich sagen: ich bin Gott dankbar für seine Begleitung und bereue diesen Schritt nicht, auch wenn im Rückblick manche Einzelheit im Orden leichter scheint. Ich sage nur Gebetszeit!
Aber wo herrschte nicht Verklärung des Vorigen nach dem Einbruch der Wirklichkeit?

Ich bin überzeugt, dass die bleibende Gemeinschaft mit Christus ganz langsam und bruchstückhaft in der Suche nach lebbarer Gemeinschaft in größtmöglicher Liebe wachsen kann.

Welche Fahne weht über mir? Na Rozdroze, Warschau, 2015.