Montag, 22. Februar 2016

Der Gekreuzigte 2 – "Neues vom Planeten Mars" aus dem Berlinale-Wettbewerb 2016

Die französische Tragikomödie "Neues vom Planeten Mars" begleitet den titelgebenden Philippe Mars für einige Tage durch sein turbulentes Leben am Rande von Paris.
Um es gleich vorab zu sagen: Philippe wird zwar vorgestellt als einer, der sich gegen die vielen Ansprüche seiner Umwelt anscheinend nicht wehren kann – doch nach und nach erscheint er immer mehr als zwar nicht glänzende, dafür aber zutiefst menschliche Rettergestalt.

Teppichrollen.
Haus der Berliner Festspiele, Wilmersdorf, Berlin, 2016.
Der geschiedene Computerfachmann wird eingeführt als hoffnungsloser Idealist: an seinem Geburtstag klingelt seine Ex-Frau ihn nachts aus dem Bett, um entgegen allen Absprachen wieder einmal die gemeinsamen Kinder bei ihm abzuladen. Mit deren Gepäck beladen, fordert er den Besitzer eines vor seine Tür machenden Hundes auf, diese Hinterlassenschaften zu beseitigen, weil man doch viel weiter komme, wenn alle einander respektieren und jeder sich um Rücksicht bemühe. "Das glauben Sie wirklich?" lacht ihn der Andere aus und lässt ihn stehen.

Die Charakterisierung durch diese Begegnung verdeutlicht, worauf viele Szenen des Filmes hinauslaufen – die vordergründige Hilflosigkeit als Alltags-Kreuzigung eines Mannes, der trotz aller Widrigkeiten freundlich bleiben und keinem schaden will, dabei jedoch ständig vorgeführt wird.

Philippe ist einer, der niemandem etwas abschlägt: Sein Chef versetzt ihn mittels schmeichelnd-drohender Argumente ins Büro des Einzelgängers Jérôme. Dieser rastet mit einem Fleischermesser aus, schneidet Philippe versehentlich das halbe Ohr ab und landet in der Psychatrie. Eines Abends steht er dann hilfesuchend vor der Tür und Philippe nimmt den Obdachlosen in sein Haus auf. Dabei hat er genug Sorgen: Sein zwölfjähriger Sohn Grégoire schreibt sich sexuell eindeutige Nachrichten mit einer Klassenkameradin und entführt als seit Neuestem überzeugter Vegetarier und Tierschützer eine Reihe Versuchsfrösche aus der Schule.
Zeitgleich versucht Philippes Schwester, ihm für die Dauer einer Reise auch noch ihren Miniaturhund anzudrehen. Als er das abschlägt, lässt sie den Hund unbemerkt stehen und verschwindet, während Jérôme gleich noch eine Freundin aus der Psychatrie zum Essen und, wie sich herausstellt, auch noch zum Übernachten eingeladen hat.

Als Zuschauer werden wir in dieses Panoptikum aus tragischen und komischen Ereignissen von Beginn an unwiderstehlich hineingezogen, während Philippe Mars selbst in seinen Träumen immer wieder von außen auf sein Leben schaut – als Astronaut nähert er sich der Welt aus der Perpektive Gottes und kommt durch diese Distanzierung seinem Leben im Verlauf des Filmes immer näher.

Berlinale-Bär. Friedrichstadtpalast, Berlin-Mitte, 2016.
Bisweilen wirkt Philippe wie ein bürgerlicher Biedermann, der sich nur deshalb nicht wehrt, weil er einfach keine Probleme haben will – was diese Probleme nur größer macht. Von seiner ewig lernenden Tochter wird er darum als Loser beschimpft, doch auch sie sammelt Philippe im Verlauf des Filmes nachts weinend von der Wohnung ihres (inzwischen Ex-) Freundes auf, womit er nicht nur auf die schönste Weise elterliche Fürsorge zeigt, sondern beweist, dass die Humanität und wohlwollende Zugewandtheit, die er fortwährend an den Tag legt, einem reinen Herzen entspringt.

Das zeigt sich auch an der einzigen Szene, wo die Wut ihm aus den Augen springt: Jérôme und seine Freundin haben Grégoire überzeugt, gemeinsam eine Geflügelzuchtanlage zu sprengen und fragen Philippe nun nicht nur nach seinem Auto, sondern fordern ihn auch noch auf, sie mit den heimlich gekauften Sprengstoffen zum Ort des geplanten Anschlags zu fahren.
Wie Philippe daraufhin das eigene Wohnzimmer zerlegt, erinnert an die Ikonographie des wütenden Jesus bei der Tempelreinigung – heilige Werte müssen manchmal durch symbolische Zerstörungsakte verteidigt werden. Was für Jesus das frevlerische Vergehen am "Haus meines Vaters" (Joh 2,16) ist, ist Philippe das ideologisch motivierte Verbrechen, das sich nicht am Wohl des Menschen ausrichtet.

Das Finale offenbart Philippe schließlich nicht mehr als den auf all seine Zusagen Gekreuzigten, sondern als Retter, der auch sein Leben aufs Spiel setzt.

Insgesamt ein äußerst sehenswerter Film, auch dann, wenn man meine religiösen Ausdeutungen nicht in ihm suchen und finden will.