Der galizische Jude Avraham Ben Yitzhak
scheint ein aufmerksamer Mensch gewesen zu sein; die Stimmung, die
ihn umgab, und die Sprache, die ihn die Stimmung formulieren ließ,
leuchten aus seinem Gedicht, das er 1912 in Przemyśl, an der heutigen
Ostgrenze Polens zur Ukraine gelegen, schrieb.
Blick über den Peetzsee, Brandenburg, 2016. |
Über den Büchern saß ich
ein Einziger, horchend auf ihre
Weise
und es erhoben sich meines Herzens
Kräfte
fern meinem Leben, verstoßen, bin
ich.
Und als die Frühe aufflammte und
blau war
im Wachsen des Lichts am ersten
Frühlingstag
Licht, staunend in Leere und Weite
der Welt
und hatte meine Kerze ausgelöscht.
Es entfernten sich die Dinge des
Hauses um mich
in sanfte Finsternis, als der Tag
kam
meine Hände verblassten
blutverlassen schwer auf dem Tisch
im taghellen Licht im taghellen
Licht.
Und da – ein Vogelschrei
erschreckte mich
Vogelschrei Vogelschrei.
Was ist die Welt was ist die Welt
die Welt ist vergessen und leer
vor der Ankunft des Frühlings
vor der Ankunft des Frühlings.1
Ich selbst sitze nicht nächtelang
studierend und lese weniger als ich will – doch das paradoxe
Erhoben- und zugleich Verlassensein beim Eintauchen in eine Lektüre
ist mir wohlbekannt. Und das innere Zurückkehren in die eigenen
nüchternen vier Wände in neuem Licht – da ist etwas wie das Harren
auf neu aufbrechendes Leben.
Im Winterlichen unserer letzten
Februartage lässt sich ahnen, wie der Frühling schmecken kann. Ohne
ihn bliebe die Welt ewig fraglich, in der Schwebe, harrend.
Es wird Zeit, dass Leben einkehrt in
unsere Blutverlassenheit; Zeit, dass Leben ausbricht aus dem Dämmer.
Zeit, dass das Licht eintritt mit dem
Weckruf, einen neuen Tag zu beginnen.
1 Avraham
Ben Yitzhak, Es entfernten sich die Dinge. Gedichte und Fragmente.
München / Wien 1994, 36.