Donnerstag, 4. Februar 2016

Heilsame Enttäuschung über die Kirche – Dietrich Bonhoeffer am 110. Geburtstag

Dietrich Bonhoeffer hat nicht erst in der Zeit seiner größten Krisen im Gefängnis, sondern auch vorher schon alles auf Gott gestellt. Denn ihm war klar, dass Gott nicht an den Rändern voller Not und Ängste, sondern in der Mitte und Stärke des menschlichen Lebens gefunden werden will.
Das zeigt sich auch in Bonhoeffers Bild von kirchlicher Vergemeinschaftung, wie er es in der 1939 zum ersten Mal veröffentlichten Schrift "Gemeinsames Leben" zeichnet.
Konsequent denkt er von Gott her und sieht im Lichte dessen auch die inneren Grenzen christlicher Gemeinschaft sehr wohl – wie es wohl zu jeder Zeit und auch heute Menschen gibt, die sich an eine Pfarrgemeinde, eine geistliche Gemeinschaft oder einen Orden binden wollen und deren Grenzen trotzdem wahrnehmen.
Hier bietet Bonhoeffer einige Sehhilfen an, wie die Schwächen einer kirchlichen Nahgemeinschaft anzusehen sein könnten:

Unzählige Male ist eine ganze christliche Gemeinschaft daran zerbrochen, dass sie aus einem Wunschbild heraus lebte. Gerade der ernsthafte Christ, der zum ersten Male in eine christliche Lebensgemeinschaft gestellt ist, wird oft ein sehr bestimmtes Bild von der Art des christlichen Zusammenlebens mitbringen und zu verwirklichen bestrebt sein. 

Trümmer und Neubauten, Norblin, Warschau, 2015.
Es ist aber Gottes Gnade, die alle derartigen Träume rasch zum Scheitern bringt.
Die große Enttäuschung über die andern, über die Christen im allgemeinen und, wenn es gut geht, auch über uns selbst, muss uns überwältigen, so gewiss Gott uns zur Erkenntnis echter christlicher Gemeinschaft führen will.
Gott lässt aus lauter Gnade nicht zu, dass wir auch nur wenige Wochen in einem Traumbild leben, uns jenen beseligenden Erfahrungen und jener beglückenden Hochgestimmtheit hingeben, die wie ein Rausch über uns kommt. Denn Gott ist nicht ein Gott der Gemütserregungen, sondern der Wahrheit. Erst die Gemeinschaft, die in die große Enttäuschung hineingerät mit all ihren unerfreulichen und bösen Erscheinungen, fängt an zu sein, was sie vor Gott sein soll, fängt an, die ihr gegebene Verheißung im Glauben zu ergreifen. Je bälder die Stunde der Enttäuschung über die Gemeinschaft kommt, desto besser für beide.“1

Auch wenn manche Menschen möglicherweise länger Gemeinschaften angehören, ohne dass in ihnen Enttäuschung sich regt, bleibt doch der Wunsch Bonhoeffers richtig: nicht auf ein möglichst schreckliches, wohl aber auf ein möglichst baldiges Ende der Illusionen, die nicht gottgemäß sind ist zu hoffen. Denn nur dann kann Gott selbst Grund dieser dann gottgemäßen Gemeinschaft sein.
Doch was ist gottgemäß?

Bonhoeffer lässt seine auf christliche Fundamente zurückgehende Antwort erahnen, wenn er schreibt, "das Ziel aller Gemeinschaft der Christen" sei: "sie begegnen einander als Bringer der Heilsbotschaft" indem jeder seinem Gegenüber "Träger und Verkünder des göttlichen Heilswortes" werde.2

Tatsächlich, wenn wir einander zu Verkündigern göttlichen Trostes und Heiles werden, wenn das die Basis gemeindlichen Lebens sein könnte, würden sich viele Strukturdebatten und so manches Kompetenzerangel als nichtig erweisen.
Tränke des Trostes.
Alte Schäferei, Rüdersdorf, Brandenburg, 2015.
Denn im Paar von Gottes- und Nächstenliebe laufen göttliche Gegenwart und Mitmenschlichkeit zusammen: "So lehrte uns Gott selbst, einander so zu begegnen, wie Gott uns in Christus begegnet ist."3

Auf diese Weise kann gemeindliches Handeln auch nicht eine beliebige Form wie die eines Karnevalsvereins annehmen, sondern muss sich immer an besagtem Kern messen lassen. Bonhoeffer warnt: "Wer mehr haben will, als das, was Christus zwischen uns gestiftet hat, der will nicht christliche Bruderschaft, der sucht irgend welche außerordentlichen Gemeinschaftserlebnisse, die ihm anderswo versagt blieben, der trägt in die christliche Bruderschaft unklare und unreine Wünsche hinein."4

Trotz dieser hohen Ansprüche geht es ihm bei all dem, das ist spätestens jetzt klar, nie darum, dass wir eine menschliche Leistung erbringen müssten, um konkrete christliche Gemeinschaft zu bauen, sondern die beruhigende (nicht einschläfernde!) Gewissheit:
Christliche Bruderschaft ist nicht ein Ideal, das wir zu verwirklichen hätten, sondern es ist eine von Gott in Christus geschaffene Wirklichkeit, an der wir teilhaben dürfen.5
Womit wieder der zu Beginn eingeführte Primat Gottes vor allem menschlichen Tun klargestellt ist.

Die katholischen Christinnen und Christen wird es freuen, dass Bonhoeffer seine Gedanken (nach ausführlichen Betrachtungen zur Beichte!) beschließt mit dem Hinweis auf den Höhepunkt christlicher Gemeinschaft, die Eucharistie: „Im Herzen versöhnt mit Gott und den Brüdern empfängt die Gemeinde die Gabe des Leibes und Blutes Jesu Christi und in ihr Vergebung, neues Leben und Seligkeit. Neue Gemeinschaft mit Gott und den Menschen ist ihr geschenkt.
Die Gemeinschaft des heiligen Abendmahls ist die Erfüllung der christlichen Gemeinschaft überhaupt. So wie die Glieder der Gemeinde vereinigt sind in Leib und Blut am Tisch des Herrn, so werden sie in Ewigkeit beieinander sein. Hier ist die Gemeinschaft am Ziel. Hier ist die Freude an Christus und seiner Gemeinde vollkommen. Das gemeinsame Leben der Christen unter dem Wort ist im Sakrament zu seiner Erfüllung gekommen."6

 
Erfüllung am Wannsee, Berlin, 2015.

1   D. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben. 15. Aufl. München 1976, 18.

2   Ebd., 14.

3   Ebd., 16.

4   Ebd., 17.

5   Ebd., 22.


6   Ebd., 105.