Dietrich Bonhoeffer hat nicht erst in
der Zeit seiner größten Krisen im Gefängnis, sondern auch vorher
schon alles auf Gott gestellt. Denn ihm war klar, dass Gott nicht an
den Rändern voller Not und Ängste, sondern in der Mitte und Stärke
des menschlichen Lebens gefunden werden will.
Das zeigt sich auch in Bonhoeffers Bild
von kirchlicher Vergemeinschaftung, wie er es in der 1939 zum ersten
Mal veröffentlichten Schrift "Gemeinsames Leben"
zeichnet.
Konsequent denkt er von Gott her und
sieht im Lichte dessen auch die inneren Grenzen christlicher
Gemeinschaft sehr wohl – wie es wohl zu jeder Zeit und auch heute
Menschen gibt, die sich an eine Pfarrgemeinde, eine geistliche
Gemeinschaft oder einen Orden binden wollen und deren Grenzen
trotzdem wahrnehmen.
Hier bietet Bonhoeffer einige Sehhilfen
an, wie die Schwächen einer kirchlichen Nahgemeinschaft anzusehen
sein könnten:
„Unzählige Male ist
eine ganze christliche Gemeinschaft daran zerbrochen, dass sie aus
einem Wunschbild heraus lebte. Gerade der ernsthafte Christ, der zum
ersten Male in eine christliche Lebensgemeinschaft gestellt ist, wird
oft ein sehr bestimmtes Bild von der Art des christlichen
Zusammenlebens mitbringen und zu verwirklichen bestrebt sein.
Trümmer und Neubauten, Norblin, Warschau, 2015. |
Es ist
aber Gottes Gnade, die alle derartigen Träume rasch zum Scheitern
bringt.
Die große Enttäuschung
über die andern, über die Christen im allgemeinen und, wenn es gut
geht, auch über uns selbst, muss uns überwältigen, so gewiss Gott
uns zur Erkenntnis echter christlicher Gemeinschaft führen will.
Gott lässt aus lauter
Gnade nicht zu, dass wir auch nur wenige Wochen in einem Traumbild
leben, uns jenen beseligenden Erfahrungen und jener beglückenden
Hochgestimmtheit hingeben, die wie ein Rausch über uns kommt. Denn
Gott ist nicht ein Gott der Gemütserregungen, sondern der Wahrheit.
Erst die Gemeinschaft, die in die große Enttäuschung hineingerät
mit all ihren unerfreulichen und bösen Erscheinungen, fängt an zu
sein, was sie vor Gott sein soll, fängt an, die ihr gegebene
Verheißung im Glauben zu ergreifen. Je bälder die Stunde der
Enttäuschung über die Gemeinschaft kommt, desto besser für
beide.“1
Auch wenn manche Menschen
möglicherweise länger Gemeinschaften angehören, ohne dass in ihnen
Enttäuschung sich regt, bleibt doch der Wunsch Bonhoeffers richtig:
nicht auf ein möglichst schreckliches, wohl aber auf ein möglichst
baldiges Ende der Illusionen, die nicht gottgemäß sind ist zu
hoffen. Denn nur dann kann Gott selbst Grund dieser dann gottgemäßen
Gemeinschaft sein.
Doch was ist gottgemäß?
Bonhoeffer lässt seine auf
christliche Fundamente zurückgehende Antwort erahnen, wenn er
schreibt, "das Ziel aller Gemeinschaft der Christen"
sei: "sie begegnen einander als Bringer der Heilsbotschaft"
indem jeder seinem Gegenüber "Träger und Verkünder
des göttlichen Heilswortes" werde.2
Tatsächlich, wenn wir
einander zu Verkündigern göttlichen Trostes und Heiles werden, wenn
das die Basis gemeindlichen Lebens sein könnte, würden sich viele
Strukturdebatten und so manches Kompetenzerangel als nichtig
erweisen.
Tränke des Trostes. Alte Schäferei, Rüdersdorf, Brandenburg, 2015. |
Denn im Paar von Gottes- und
Nächstenliebe laufen göttliche Gegenwart und Mitmenschlichkeit
zusammen: "So lehrte uns Gott selbst, einander so zu
begegnen, wie Gott uns in Christus begegnet ist."3
Auf diese Weise kann
gemeindliches Handeln auch nicht eine beliebige Form wie die eines
Karnevalsvereins annehmen, sondern muss sich immer an besagtem Kern
messen lassen. Bonhoeffer warnt: "Wer mehr haben will, als
das, was Christus zwischen uns gestiftet hat, der will nicht
christliche Bruderschaft, der sucht irgend welche außerordentlichen
Gemeinschaftserlebnisse, die ihm anderswo versagt blieben, der trägt
in die christliche Bruderschaft unklare und unreine Wünsche
hinein."4
Trotz dieser hohen Ansprüche
geht es ihm bei all dem, das ist spätestens jetzt klar, nie darum,
dass wir eine menschliche Leistung erbringen müssten, um konkrete
christliche Gemeinschaft zu bauen, sondern die beruhigende (nicht
einschläfernde!) Gewissheit:
„Christliche
Bruderschaft ist nicht ein Ideal, das wir zu verwirklichen hätten,
sondern es ist eine von Gott in Christus geschaffene Wirklichkeit, an
der wir teilhaben dürfen.“5
Womit wieder der zu Beginn
eingeführte Primat Gottes vor allem menschlichen Tun klargestellt
ist.
Die katholischen Christinnen
und Christen wird es freuen, dass Bonhoeffer seine Gedanken (nach
ausführlichen Betrachtungen zur Beichte!) beschließt mit dem
Hinweis auf den Höhepunkt christlicher Gemeinschaft, die
Eucharistie: „Im Herzen versöhnt mit Gott und den Brüdern
empfängt die Gemeinde die Gabe des Leibes und Blutes Jesu Christi
und in ihr Vergebung, neues Leben und Seligkeit. Neue Gemeinschaft
mit Gott und den Menschen ist ihr geschenkt.
Die Gemeinschaft des
heiligen Abendmahls ist die Erfüllung der christlichen Gemeinschaft
überhaupt. So wie die Glieder der Gemeinde vereinigt sind in Leib
und Blut am Tisch des Herrn, so werden sie in Ewigkeit beieinander
sein. Hier ist die Gemeinschaft am Ziel. Hier ist die Freude an
Christus und seiner Gemeinde vollkommen. Das gemeinsame Leben der
Christen unter dem Wort ist im Sakrament zu seiner Erfüllung
gekommen."6
1 D.
Bonhoeffer, Gemeinsames Leben. 15. Aufl. München 1976, 18.
2 Ebd.,
14.
3 Ebd.,
16.
4 Ebd.,
17.
5 Ebd.,
22.