Mittwoch, 15. Juli 2020

40 Jahre – Und dann das Gelobte Land?

In diesen Tagen bin ich vierzig Jahre alt geworden.

Und genauso wie ich vor sieben Jahren darüber nachgedacht habe, was es bedeutet, so alt zu sein wie Jesus, gehen mir auch in diesem Jahr viele Gedanken zu diesem Thema durch den Kopf. Denn in der biblischen Tradition sind die vierzig Jahre als eine symbolische Größe wichtig:

Der bekannteste Ort, an dem die vierzig Jahre im biblischen Kontext auftauchen, ist in den fünf Büchern Mose der lange Weg des aus der ägyptischen Sklaverei befreiten Volkes durch die Wüste ins Gelobte Land (vgl. z.B. Dtn 8,2).
Die konkrete biblische Kontext dahinter besagt, dass es sich bei den vierzig Jahren um eine Strafe Gottes handelt. Weil nach der ersten Erkundung des Landes aus Angst vor den einheimischen Völkern durch einige Beobachter Lügen verbreitet wurden (z.B. dass das vor ihnen liegende Land seine Bewohner auffressen würde) und deshalb Misstrauen gegenüber Gott wuchs, murrte das Volk gegen Gott (Num 13,31-14,4). Wegen dieser Angst, diesem Misstrauen, diesem Murren, ließ Gott sie zur Strafe vierzig Jahre lang durch die Wüste irren (vgl. Num 14,34).

Weg oder Wüste?
Schäferei Rüdersdorf, 2015.
Aber auch an anderen Stellen sind die vierzig Jahre höchst bedeutsam:
Im Richterbuch wird nach dem Einzug und vor dem Entstehen eines Staatsgebildes mehrfach erzählt, dass durch den Einsatz von gottgesandten Richtern und Richterinnen (Deborah!) "vierzig Jahre lang Ruhe" (3,11; 5,31; 8,28) herrschte, wenn das aufsässige Volk und das von Feinden heimgesuchte Land wieder Frieden fanden.
Auch besonders wichtige Regierungszeiten dauern gern mal so lang: König David regierte 40 Jahre über Israel (vgl. 1Kön 2,11), dasselbe wird von Salomo (vgl. 2Kön 11,42) und von Joasch (vgl. 2Kön 12,2) berichtet.
Bei diesen Beispielen werden die vierzig Jahre als Zeit der Fülle und des Friedens gedeutet.

Zurück zum Anfang: Auf die vierzig Jahre in der Wüste folgt die ersehnte Ankunft im Gelobten Land. Während der Wanderung selbst wird die Vollendung der vierzig Jahre ersehnt, damit endlich etwas Besseres beginnt. Danach ist Ausruhen und Besiedlung dran. Die klassische Deutung: es geht bei dem vierzigjährigen Aufenthalt in der Wüste letztlich um "das Erreichen von Reife" (so wie es analog auch bei den vierzig Tagen Jesu in der Wüste oder im vierzigtägigen Marsch des Elija durch die Wüste angedeutet ist).

Vor allem der Vergleich zwischen dem Richterbuch und dem Wüstenzug ist interessant, denn im ersten wird regelmäßig betont, dass die "Israeliten taten, was dem Herrn missfiel" (vgl. z.B. Ri 6,1), woraufhin zur Strafe ein fremdes Volk über sie herfällt und sie nach der Rettung durch einen Gesandten Gottes vierzig Jahre Ruhe hatten.
Als die Israeliten aber im zweiten Fall auf dem Weg ins Gelobte Land meckerten und Gott nicht mehr vertrauten, verweigert ihnen Gott den Einzug ins Gelobte Land, in das dann – nach vierzig Jahren – nur ihre Kinder einziehen dürfen (vgl. Num 14,26ff).

Vierzig Jahre sind im biblischen Kontext also entweder eine Zeit der Erholung (Richterbuch) – oder eine Zeit voller Stress und Mühe (Exodus).
Danach kommt (etwas schematisch) jeweils das Gegenteil: entweder der Absturz durch Übermut und Angriffe der Feinde – oder der Einzug in das verheißene Land.

Wenn ich diese verschiedenen Deutungen nun im Hinterkopf habe, stellt sich für mich als gerade Vierzigjährigen nun die Aufgabe: Ich muss mir mein bisheriges Leben genau anschauen. War es Erholung oder Wüste? Und was ist demzufolge jetzt dran – Unruhe und Kampf oder Milch und Honig?
Das herauszufinden erfordert eine gute Unterscheidung.

Wenn man jedoch genau hinschaut, dann sind die biblischen Erzählungen gar nicht so schwarz-weiß. Selbst in der Wüste gab es Wasser aus dem Felsen und die Gebote vom Berg. Umgekehrt gab es während der Zeit im eigenen Land immer wieder Unruhe und Ärger.

Das setzt sich auch im Großen fort. Der Clou ist nämlich, sich den weiteren Zusammenhang der biblischen Geschichten anzuschauen und dadurch alles zuvor Gesagte noch einmal auf den Kopf zu stellen:
Nach der vierzigjährigen Wüstenzeit besteht der Einzug ins Gelobte Land nicht in einem gloriosen Triumphmarsch in ein leeres Land ohne Menschen. Der symbolische Schritt besteht aus vielen kleinen Schritten, die oft genug Kampf und Ärger bedeuten. Man denke nur an die Einnahme Jerichos (Jos 6) und anderer Städte (Jos 8-12), die zwar von göttlichen Wundern begleitet gewesen sein sollen, aber eben doch nicht das Gegenteil eines strapaziösen Marsches durch die Wüste waren.

Himmel ohne Schirm.
Wilmersdorf, Berlin, 2018.
Wiederum auf den heute Vierzigjährigen angewendet: Sollte mein Leben bisher ein Marsch durch wüstes Land gewesen sein, bedeutet das Heraustreten aus dieser Wüste nicht automatisch die völlige Glückseligkeit. Oder platter: Dann geht der neue Ärger erst richtig los.

Damit ist die Bibel zwar sehr realistisch. Aber der Erkenntnisgewinn ist auch marginal.

Vielleicht bleibt immerhin dies: Die, die aus Ägypten ausgezogen sind, sind nicht die gleichen wie die, die in die neue Heimat einziehen. Oder individuell: Nach vierzig Jahren steht eine völlig andere Person da als die, die losgegangen ist. Vielleicht durch das "Erreichen von Reife"...

Und religiös bleibt das Vertrauen in Gottes Führung und Gegenwart: "Ich habe euch vierzig Jahre lang durch die Wüste geführt. Eure Kleider sind euch nicht in Lumpen vom Leib gefallen, deine Schuhe sind dir nicht an den Füßen zerrissen, ihr habt kein Brot gegessen und keinen Wein und kein Bier getrunken, denn ihr solltet erkennen: Ich bin der HERR, euer Gott." (Dtn 29,4f)

3 Kommentare:

  1. Vierzig ist der Weg in die neue Freiheit. Nach rabbinischem Verständnis ist Vierzig ist die Zeiteinheit, die erforderlich ist, daß etwas von den Anfängen bis zur Frucht kommt.
    Die mündliche Tradition des Judentums geht davon aus, daß Serach bat Ascher die einzige war, die schon den Auszug aus Ägypten erlebt hat und im Land der Verheißung angekommen ist.

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    1. Genau!
      Aber dass die Bibel über diese Interpretation hinaus auch noch andere Deutungen kennt, fand ich auch interessant...

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  2. Alles Gute und G-ttes Segenskraft für die nächsten vierzig Jahre - bis 120.

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