In diesen Tagen bin ich vierzig Jahre
alt geworden.
Und genauso wie ich vor sieben Jahren
darüber nachgedacht habe, was es bedeutet, so
alt zu sein wie Jesus, gehen mir auch in diesem Jahr viele
Gedanken zu diesem Thema durch den Kopf. Denn in der biblischen
Tradition sind die vierzig Jahre als eine symbolische Größe
wichtig:
Der bekannteste Ort, an dem die vierzig
Jahre im biblischen Kontext auftauchen, ist in den fünf Büchern
Mose der lange Weg des aus der ägyptischen Sklaverei befreiten
Volkes durch die Wüste ins Gelobte Land (vgl. z.B. Dtn
8,2).
Die konkrete biblische Kontext dahinter
besagt, dass es sich bei den vierzig Jahren um eine Strafe Gottes
handelt. Weil nach der ersten Erkundung des Landes aus Angst vor den
einheimischen Völkern durch einige Beobachter Lügen verbreitet
wurden (z.B. dass das vor ihnen liegende Land seine Bewohner
auffressen würde) und deshalb Misstrauen gegenüber Gott wuchs,
murrte das Volk gegen Gott (Num 13,31-14,4).
Wegen dieser Angst, diesem Misstrauen, diesem Murren, ließ Gott sie
zur Strafe vierzig Jahre lang durch die Wüste irren (vgl. Num
14,34).
Weg oder Wüste? Schäferei Rüdersdorf, 2015. |
Aber auch an anderen Stellen sind die
vierzig Jahre höchst bedeutsam:
Im Richterbuch wird nach dem Einzug und
vor dem Entstehen eines Staatsgebildes mehrfach erzählt, dass durch
den Einsatz von gottgesandten Richtern und Richterinnen (Deborah!)
"vierzig Jahre lang Ruhe" (3,11;
5,31; 8,28)
herrschte, wenn das aufsässige Volk und das von Feinden heimgesuchte
Land wieder Frieden fanden.
Auch besonders wichtige
Regierungszeiten dauern gern mal so lang: König David regierte 40
Jahre über Israel (vgl. 1Kön
2,11), dasselbe wird von Salomo (vgl. 2Kön
11,42) und von Joasch (vgl. 2Kön
12,2) berichtet.
Bei diesen Beispielen werden die
vierzig Jahre als Zeit der Fülle und des Friedens gedeutet.
Zurück zum Anfang: Auf die vierzig
Jahre in der Wüste folgt die ersehnte Ankunft im Gelobten Land.
Während der Wanderung selbst wird die Vollendung der vierzig Jahre
ersehnt, damit endlich etwas Besseres beginnt. Danach ist Ausruhen
und Besiedlung dran. Die klassische Deutung:
es geht bei dem vierzigjährigen Aufenthalt in der Wüste letztlich
um "das Erreichen von Reife" (so wie es analog auch
bei den vierzig Tagen Jesu in der Wüste oder im vierzigtägigen
Marsch des Elija durch die Wüste angedeutet ist).
Vor allem der Vergleich zwischen dem
Richterbuch und dem Wüstenzug ist interessant, denn im ersten wird
regelmäßig betont, dass die "Israeliten taten, was dem
Herrn missfiel" (vgl. z.B. Ri 6,1), woraufhin zur Strafe ein
fremdes Volk über sie herfällt und sie nach der Rettung durch einen
Gesandten Gottes vierzig Jahre Ruhe hatten.
Als die Israeliten aber im zweiten Fall
auf dem Weg ins Gelobte Land meckerten und Gott nicht mehr
vertrauten, verweigert ihnen Gott den Einzug ins Gelobte Land, in das
dann – nach vierzig Jahren – nur ihre Kinder einziehen dürfen
(vgl. Num
14,26ff).
Vierzig Jahre sind im biblischen
Kontext also entweder eine Zeit der Erholung (Richterbuch) – oder
eine Zeit voller Stress und Mühe (Exodus).
Danach kommt (etwas schematisch)
jeweils das Gegenteil: entweder der Absturz durch Übermut und
Angriffe der Feinde – oder der Einzug in das verheißene Land.
Wenn ich diese verschiedenen Deutungen
nun im Hinterkopf habe, stellt sich für mich als gerade
Vierzigjährigen nun die Aufgabe: Ich muss mir mein bisheriges Leben
genau anschauen. War es Erholung oder Wüste? Und was ist demzufolge
jetzt dran – Unruhe und Kampf oder Milch und Honig?
Das herauszufinden erfordert eine gute
Unterscheidung.
Wenn man jedoch genau hinschaut, dann
sind die biblischen Erzählungen gar nicht so schwarz-weiß. Selbst
in der Wüste gab es Wasser aus dem Felsen und die Gebote vom Berg.
Umgekehrt gab es während der Zeit im eigenen Land immer wieder
Unruhe und Ärger.
Das setzt sich auch im Großen fort.
Der Clou ist nämlich, sich den weiteren Zusammenhang der biblischen
Geschichten anzuschauen und dadurch alles zuvor Gesagte noch einmal
auf den Kopf zu stellen:
Nach der vierzigjährigen Wüstenzeit
besteht der Einzug ins Gelobte Land nicht in einem gloriosen
Triumphmarsch in ein leeres Land ohne Menschen. Der symbolische
Schritt besteht aus vielen kleinen Schritten, die oft genug Kampf und
Ärger bedeuten. Man denke nur an die Einnahme Jerichos (Jos
6) und anderer Städte (Jos 8-12), die zwar von göttlichen
Wundern begleitet gewesen sein sollen, aber eben doch nicht das
Gegenteil eines strapaziösen Marsches durch die Wüste waren.
Himmel ohne Schirm. Wilmersdorf, Berlin, 2018. |
Wiederum auf den heute Vierzigjährigen
angewendet: Sollte mein Leben bisher ein Marsch durch wüstes Land
gewesen sein, bedeutet das Heraustreten aus dieser Wüste nicht
automatisch die völlige Glückseligkeit. Oder platter: Dann geht der
neue Ärger erst richtig los.
Damit ist die Bibel zwar sehr
realistisch. Aber der Erkenntnisgewinn ist auch marginal.
Vielleicht bleibt immerhin dies: Die,
die aus Ägypten ausgezogen sind, sind nicht die gleichen wie die,
die in die neue Heimat einziehen. Oder individuell: Nach vierzig
Jahren steht eine völlig andere Person da als die, die losgegangen
ist. Vielleicht durch das "Erreichen von Reife"...
Und religiös bleibt das Vertrauen in
Gottes Führung und Gegenwart: "Ich habe euch vierzig Jahre
lang durch die Wüste geführt. Eure Kleider sind euch nicht in
Lumpen vom Leib gefallen, deine Schuhe sind dir nicht an den Füßen
zerrissen, ihr habt kein Brot gegessen und keinen Wein und kein Bier
getrunken, denn ihr solltet erkennen: Ich bin der HERR, euer Gott."
(Dtn 29,4f)
Vierzig ist der Weg in die neue Freiheit. Nach rabbinischem Verständnis ist Vierzig ist die Zeiteinheit, die erforderlich ist, daß etwas von den Anfängen bis zur Frucht kommt.
AntwortenLöschenDie mündliche Tradition des Judentums geht davon aus, daß Serach bat Ascher die einzige war, die schon den Auszug aus Ägypten erlebt hat und im Land der Verheißung angekommen ist.
Genau!
LöschenAber dass die Bibel über diese Interpretation hinaus auch noch andere Deutungen kennt, fand ich auch interessant...
Alles Gute und G-ttes Segenskraft für die nächsten vierzig Jahre - bis 120.
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