Samstag, 23. Oktober 2021

Neue Energie zum neuen Sehen. Predigt zu Bartimäus (Mk 10,46-52)

Es ist ein wunderbares Beispiel, das uns da im Evangelium (Mk 10,46-52) vorgestellt wird – der blinde Bartimäus entwickelt ungeahnte Kräfte, als er merkt, dass Jesus vorbekommt.

Dazu drei Anstöße von mir:


Am Straßenrand, ganz normal.
Oderradweg bei Eisenhüttenstadt, 2021
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1 Alltag

Bartimäus befindet sich an seinem Stammplatz an der Straße. Sicher hat er seinen eigenen Rhythmus gefunden, wann er dorthin kommt und wie lange er bleibt. Vielleicht gibt es jemanden, der ihm täglich etwas zu essen bringt, vielleicht wird er zu seinem Platz begleitet. Wie dem auch sei: Er hat einen Weg gefunden, wie er seinen Tag und das Betteln gestaltet und befindet sich mittendrin in seinem Alltag. Alles hat eine Ordnung. Alles geht irgendwie.

Natürlich, es ist nicht alles perfekt in seinem Leben, er muss sich einschränken und nicht alles gelingt ihm – aber bei wem ist es schon perfekt? Bartimäus kommt zurecht, er hat sich arrangiert mit seinem Handicap und macht das Beste draus.

Wenn ich mir diese Ausgangssituation vorstelle und mich frage, was sie mir sagen könnte, dann bleibe ich hängen an dem Eingerichtetsein in einer nicht perfekten Welt. Denn es ist etwas, das mir sehr bekannt vorkommt: Ich wurschtele mich irgendwie durch in meinem Leben. Es ist nicht alles rosig und es ist nicht alles furchtbar. Ich komme so zurecht.

Ich müsste wahrscheinlich viel Energie aufwenden, um aus dem momentanen Zustand auszusteigen und eine Verbesserung herbeizuführen. Und ob es dann wirklich besser wird ist eher ungewiss, deshalb lasse ich lieber erst einmal alles beim Alten.

Doch jetzt kommt es noch härter: Denn so wie ich Ihnen Bartimäus dargestellt habe, hat er sich mit einer Situation arrangiert, die alles andere als normal ist. Schließlich ist Blindheit nichts, was wir einfach so nebenbei mitbewältigen können. Und doch tun wir ähnliches oft genug: Die ständige Aufmerksamkeit, die eine Diabetes erfordert, die regelmäßige Pflege eines kranken Angehörigen oder auch nervenaufreibend Beziehungen in der Familie. All das ist ganz und gar nicht leicht und nur schwer auszuhalten. Und trotzdem kommen wir irgendwie damit zurecht und schaffen es oft sogar, dies und noch viel mehr quasi nebenbei zu leisten. Die Frage ist nur, wie gesund das eigentlich für uns ist.

Wenn es tatsächlich so ähnlich war, wie ich es Ihnen dargestellt habe, dann hat Bartimäus eine immense Anstrengung in sein Leben integriert. Vielleicht kennen auch Sie das ja: Man richtet sich ein in einem Leben, das viele Härten hat und blendet dabei manchmal aus, was für eine Anstrengung dafür nötig ist.


Sie können ja in einer ruhigen Minute mal dem Gedanken nachgehen, wie es Ihnen in Ihrem Alltag damit geht. Sich die Frage stellen, wie zufrieden Sie sind und wie stark es Sie irgendwo zwickt. Und welche Bürde da vielleicht noch verborgen lagert, die Sie mit sich mitschleppen.


2 Wunsch

In der Geschichte folgt nun die entscheidende Wendung: Bartimäus nimmt wahr, dass da etwas anders ist als sonst. Er hört vielleicht, wie Menschen über diesen Jesus reden, hört die aufgeregten Rufe und den Aufruhr. Und nun kommt etwas in ihm in Bewegung. Es regt sich ein Wunsch, der ihm dreimal Kraft gibt.

Zuerst ruft er von seinem Platz am Rand laut nach Jesus (v47).

Dann ruft er noch lauter, als andere ihn zurückweisen wollen (v48).

Und schließlich, als die Leute ihn auffordern, auf Jesus zuzugehen, springt er auf und wirft seinen Mantel weg, um schnell zu Jesus zu kommen (v50).

Wahrscheinlich hatte sich da unterschwellig etwas in ihm entwickelt, vielleicht schwelte es schon lange untergründig, vielleicht war Bartimäus auch nie so zufrieden, wie ich es eben ausgemalt habe. Wir wissen es nicht.

Jedenfalls hält es ihn nicht mehr an seinem Platz und er sucht die intensive Begegnung mit Jesus.

Auch hier habe ich überlegt, was wir für uns daraus ziehen können.

Für mich ist es die Frage nach der aktivierenden Energie. Bei Bartimäus war es der Wunsch nach Veränderung, nach Heilung, nach einem Neuanfang, der ihn dazu brachte, auf Jesus zuzugehen.

Und diese Frage lässt sich auch an uns stellen:
Welcher Wunsch gibt mir die Energie, aufzuspringen und auf Gott zuzugehen?

Was bringt mich dazu, mich Gott noch einmal mit Kraft zuzuwenden?


Es wird für jeden von uns etwas anderes sein. Aber es wird, davon bin ich überzeugt, eine tiefe Sehnsucht sein, die in uns steckt. Diese Sehnsucht kann es auch sein, die uns Gott wieder näher bringt.

Ich lade Sie ein, dieser Sehnsucht einmal nachzugehen und sich dieser Frage zu stellen: Welche Sehnsucht erfüllt mich mit Energie? Und bringt mich in neuen Kontakt mir Gott?

Daraufhin geht schließlich das ganze Evangelium und all unsere christliche Verkündigung: Auf die persönliche Kontaktaufnahme mit Gott. Wenn wir diese Kontaktaufnahme – so wie Bartimäus – zu unserem Ziel machen, dann haben wir Gott seinen eigenen innigsten Wunsch erfüllt.

 

Klarer sehen!
Sonnenaufgang in Frankfurt (Oder), 2021.

3 Neue Sicht

Aber auch das ist noch nicht genug – die Kontaktaufnahme bringt auch neue Sicht:

Jesus fragt Bartimäus, was er denn eigentlich will. Als ob das nicht auf der Hand liegen würde. Aber der plötzlich so in Fahrt gekommene Blinde bringt es natürlich gleich auf den Punkt, er weiß schließlich, was das Wichtigste für ihn ist: Er möchte sehen können (v51).

Und hier ist es nun ziemlich leicht: Auch uns tut das Sehen Not. Manches können, anderes wollen wir nicht sehen. Bei einigen Dingen sind wir wie blind. Auch das ist etwas sehr persönliches, das nicht pauschal beantwortet werden kann. Manchmal sind es gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, die wir übersehen, manchmal können wir die Krise der Umwelt nicht wahrnehmen, manchmal erkennen wir unsere eigene Verantwortung für unsere Nächsten nicht.

Entscheidend ist aber, dass Gott will, dass wir sehen können, ganz egal, wo unsere blinden Flecken liegen.

Gott liebt uns – und deshalb möchte er uns nicht in einem unheilen Zustand lassen, in dem wir nicht richtig erkennen, was in uns, in der Welt, in unseren Beziehungen vorgeht. Er will uns Sehkraft schenken. Und wir dürfen ihn deshalb immer wieder darum bitten. 

 

Ich lade Sie also ein, von Bartimäus drei Anstöße mitzunehmen:

Wie sieht mein Alltag aus – schleppe ich vielleicht Dinge mit mir herum, die ich lieber ändern würde?

Welche Sehnsucht gibt mir Energie und führt mich zur Kontaktaufnahme mit Gott?

Wo brauche ich mehr Sehkraft?

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