Freitag, 17. Juli 2020

Umarme das Unkraut! Ein Gleichnis Jesu gegen den Strich gelesen

Es gibt durchaus andere Möglichkeiten, mit Unkraut umzugehen als Jesus es tut. Da wuchert es zum Ärger der Bauern fröhlich zwischen dem guten Weizen und Jesus verbietet den Jüngern, die störenden Gewächse auszureißen. 

Der Fokus Jesu ist bei diesem Beispiel darauf gerichtet, dass nicht Menschen zu entscheiden haben, wer oder was bei Gott Ansehen findet, sondern dass es Gottes ureigene Sache ist. Außerdem neigen wir Menschen (siehe chemische Schädlingsbekämpfung) dazu, mit dem Unkraut auch noch alles andere auszurotten (vgl. Mt 13,24-30).

Doch man hätte den Fokus auch anders legen können, wie mit dem „Schlechten“ umzugehen ist, das sich da heimlich unters „Gute“ mischt.

Kraut oder Baum? Wald bei Zinnowitz, 2020.
Ein lustiges Beispiel dafür liefert John Burnside in „Über Liebe und Magie - I Put a Spell on You“.1
Dort reflektiert er über das alte englische Wort „thrawn“, das so viel bedeutet wie „widerspenstig, trotzig, widerborstig, störrisch, unfügsam“ und erzählt eine Anekdote über einen esoterischen Guru:

Zum Beispiel sah es Georges Gurdjieff gern, wenn manch einer unter seinen Anhängern anderer Auffassung war. Einer, der sich seiner Gruppe angeschlossen hatte, beschwerte sich immerzu und brachte die übrigen Studenten dermaßen auf, dass die meisten erleichtert reagierten, als der Mann seine Gartengeräte zu Boden schleuderte, dem Meister Beleidigungen an den Kopf warf und nach Paris aufbrach. Doch Gurdjieff machte sich die Mühe, dem Abtrünnigen nachzureisen und solange mit Engelszungen auf ihn einzureden, bis er mit ihm zurückkehrte. Die Erklärung, die er für diese scheinbar unsinnige Tat vorbrachte, lautete: Die Widerborstigkeit dieses Mannes, sein streitsüchtiges Temperament - seine thrawnness -, hält alle um ihn herum davon ab, einer faulen mentalen Routine oder einem leichten Mystizismus zu verfallen, der sie daran hindern könnte, eben jenen erleuchteten Zustand zu finden, um dessentwillen sie zu Gurdjieff gekommen waren.

Der von allen anderen Jüngern verachtete und als „Unkraut“ am liebsten ausgemerzte Störenfried soll bleiben, denn er hat eine wichtige Funktion: 
Die Reibung an ihm hält alle wach. 

Das finde ich eine gut nachvollziehbare Deutung gegen den Strich des Gleichnisses. Jesus hat schließlich auch nicht lauter Gleiche um sich geschart, sondern neben einen Kollaborateur wie den Zöllner Matthäus auch einen Widerständler wie Simon den Zeloten berufen, neben den Zweifler Thomas hat er den gläubigen Petrus gestellt, neben den lauten Donnersöhnen liefen die stillen und nur nebenbei genannten Apostel in der Gruppe mit - und zwischen allen hielt sich der Verräter Judas auf. Auch mit ihm hat Jesus beim letzten Mahl das Brot geteilt. 

Auch wenn die Deutung des Gleichnisses im Evangelium eine andere, eher moralische Schlagseite hat, weist das Tun Jesu in eine andere Richtung: 
Es braucht auch sie, die Widerborstigen, die Trotzigen und Unfügsamen. Auch mit ihnen hat Gott einen Plan für die Kirche. Deshalb sollten wir Christen vorsichtig sein, jemanden einfach auszuschließen oder innerlich von uns fortzuschieben. 
Denn vielleicht hat Gott ihn oder sie genau dazu gerufen, unter uns wie störrisches „Unkraut“ zu sein und uns wach zu halten. 
Umarmen wir also das Unkraut!


1   J. Burnside, Über Liebe und Magie - I Put a Spell on You. 3. Aufl. München 2019, Zitate: 46.50.

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