Der Fokus Jesu ist bei diesem Beispiel
darauf gerichtet, dass nicht Menschen zu entscheiden haben, wer oder
was bei Gott Ansehen findet, sondern dass es Gottes ureigene Sache
ist. Außerdem neigen wir Menschen (siehe chemische
Schädlingsbekämpfung) dazu, mit dem Unkraut auch noch alles andere
auszurotten (vgl. Mt 13,24-30).
Doch man hätte den Fokus auch anders
legen können, wie mit dem „Schlechten“ umzugehen ist, das sich
da heimlich unters „Gute“ mischt.
Kraut oder Baum? Wald bei Zinnowitz, 2020. |
Ein lustiges Beispiel dafür liefert
John Burnside in „Über Liebe und Magie - I Put a Spell on
You“.1
Dort reflektiert er über das alte
englische Wort „thrawn“, das so viel bedeutet wie
„widerspenstig, trotzig, widerborstig, störrisch, unfügsam“
und erzählt eine Anekdote über einen esoterischen Guru:
„Zum Beispiel sah es Georges
Gurdjieff gern, wenn manch einer unter seinen Anhängern anderer
Auffassung war. Einer, der sich seiner Gruppe angeschlossen hatte,
beschwerte sich immerzu und brachte die übrigen Studenten dermaßen
auf, dass die meisten erleichtert reagierten, als der Mann seine
Gartengeräte zu Boden schleuderte, dem Meister Beleidigungen an den
Kopf warf und nach Paris aufbrach. Doch Gurdjieff machte sich die
Mühe, dem Abtrünnigen nachzureisen und solange mit Engelszungen auf
ihn einzureden, bis er mit ihm zurückkehrte. Die Erklärung, die er
für diese scheinbar unsinnige Tat vorbrachte, lautete: Die
Widerborstigkeit dieses Mannes, sein streitsüchtiges Temperament -
seine thrawnness -, hält alle um ihn herum davon ab, einer
faulen mentalen Routine oder einem leichten Mystizismus zu verfallen,
der sie daran hindern könnte, eben jenen erleuchteten Zustand zu
finden, um dessentwillen sie zu Gurdjieff gekommen waren.“
Der von allen anderen Jüngern
verachtete und als „Unkraut“ am liebsten ausgemerzte
Störenfried soll bleiben, denn er hat eine wichtige Funktion:
Die Reibung an ihm hält alle wach.
Das finde ich eine gut nachvollziehbare
Deutung gegen den Strich des Gleichnisses. Jesus hat schließlich
auch nicht lauter Gleiche um sich geschart, sondern neben einen
Kollaborateur wie den Zöllner Matthäus auch einen Widerständler
wie Simon den Zeloten berufen, neben den Zweifler Thomas hat er den
gläubigen Petrus gestellt, neben den lauten Donnersöhnen liefen die
stillen und nur nebenbei genannten Apostel in der Gruppe mit - und
zwischen allen hielt sich der Verräter Judas auf. Auch mit ihm hat
Jesus beim letzten Mahl das Brot geteilt.
Auch wenn die Deutung des Gleichnisses
im Evangelium eine andere, eher moralische Schlagseite hat, weist das
Tun Jesu in eine andere Richtung:
Es braucht auch sie, die
Widerborstigen, die Trotzigen und Unfügsamen. Auch mit ihnen hat
Gott einen Plan für die Kirche. Deshalb sollten wir Christen
vorsichtig sein, jemanden einfach auszuschließen oder innerlich von
uns fortzuschieben.
Denn vielleicht hat Gott ihn oder sie
genau dazu gerufen, unter uns wie störrisches „Unkraut“ zu sein
und uns wach zu halten.
Umarmen wir also das Unkraut!
1 J.
Burnside, Über Liebe und Magie - I Put a Spell on You. 3. Aufl.
München 2019, Zitate: 46.50.
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