Unterscheiden können ist eine Kunst, die eingeübt sein will. Nicht jeder ist dazu bereit und fähig.
Leider gilt das auch für die, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, heute wie damals.
Einer aber, der es konnte, sei hier noch einmal benannt, heute, an dem Tag, an dem ich auf meinem Blog jedes Jahr Gedanken aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus notiere.
Dietrich Bonhoeffer ist der Gemeinte, der zwischen den Nazis und seinen Landsleuten, den Deutschen, unterscheiden konnte.
Haus, Heringsdorf, 2020. |
Als er 1939 nach vielen Anfeindungen von Seiten der nationalsozialistischen Machthaber in den USA weilte und von Freunden eine Stelle in New York angeboten bekam, musste er eine Entscheidung treffen.
Dann schreibt er an einen Freund:
„Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß ich einen Fehler gemacht habe, indem ich nach Amerika kam. Ich muß diese schwierige Periode unserer nationalen Geschichte mit den Christen Deutschlands durchleben. Ich werde kein Recht haben, an der Wiederherstellung des christlichen Lebens nach dem Kriege in Deutschland mitzuwirken, wenn ich nicht die Prüfungen dieser Zeit mit meinem Volke teile. Meine Brüder von der Synode der Bekennenden Kirche bestimmten mich, fortzugehen. Es mag sein, daß sie recht hatten, als sie mich dazu drängten; aber es war falsch von mir, fortzugehen. Eine derartige Entscheidung muß jeder für sich selbst treffen. Die Christen in Deutschland stehen vor der fürchterlichen Alternative, entweder in die Niederlage ihrer Nation einzuwilligen, damit die christliche Zivilisation weiterleben kann, oder für den Sieg zu sprechen, der unsere Zivilisation zerstört. Ich weiß, welche diese Alternativen ich zu wählen habe, aber ich kann diese Wahl nicht treffen, während ich in Sicherheit bin.“1
Bestimmte Entscheidungen lassen sich nur je konkret von der Person treffen, die sie gerade angeht. Kein anderer kann von außen hineinentscheiden.
Bonhoeffer hat sich damals für die Solidarität entschieden.
In seiner Solidarität mit den Deutschen wohnte sein Widerstand besser als in einem Kampf aus der Ferne.
Damit wusste er sich ganz auf Seiten des menschgewordenen Gottes, der sich nicht zu schade war, in Gefahr und Widerstand gegen sündige Menschen anzuleben.
Indem der Theologe fähig war, zwischen den Nazis und den anderen Deutschen (so schuldig sie sich durch ihr Tun und Lassen vielleicht auch gemacht hatten) zu unterscheiden, konnte er sich solidarisch auf die Seite der Opfer stellen und zugleich Widerstand gegen die Übeltäter leisten. Dadurch nahm er seine Verantwortung für sein Christsein und sein Deutschsein wahr.
Zugleich wissen wir heute, dass seine Unterscheidung und die damit verbundene Hoffnung auch etwas naiv war und sich viele der Christen, an deren Seite Bonhoeffer stehen wollte, selbst üble Nazis gewesen sind. Doch auch darin fand er sich (vielleicht unbewusst) an der Seite seines Gottes, der sich in Jesus für die Schuldigen hingegeben hat.
Unterscheiden können und die Fragwürdigkeit der eigenen Entscheidungen annehmen können. Wahrscheinlich ist diese demütige Kunst noch schwerer zu erlernen - und noch nötiger.
Viele Farben aushalten. Zinnowitz, 2020. |
1 D. Bonhoeffer, zit. n. D. Sölle/ F. Steffensky, Nicht nur Ja und Amen. Von Christen im Widerstand. Reinbek bei Hamburg 1983, 78.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen