Sonntag, 9. August 2020

Edith Stein, fromme Feministin

Wäre das heute denkbar: Eine kritisch denkende Atheistin, die für Frauenrechte streitet und sich als Vernunftmensch versteht, wird katholisch?

1891 in Breslau in eine jüdische Familie geboren, erklärt Edith sich als 15jährige, sie habe sich "auch das Beten ganz bewusst und aus freiem Entschluss abgewöhnt."1 Das Judentum sagt ihr nichts mehr. Ab 1911 studiert sie Philosophie und promoviert 1917 bei Edmund Husserl in Freiburg.
Dabei beginnt ihre intensive existenzielle Suche, die sie 1922 zur Entscheidung für die Taufe und damit in die katholische Kirche führt. 1933 schließlich tritt sie in den Kölner Karmel ein.

Natürlich war sie auch damals eine Ausnahmegestalt.

Treppenhaus.
St. Ursula, Kirchmöser, 2017.
Auch die Kirche, der sie sich anschloss, hatte 1922 noch eine ganz andere Gestalt als heute. Unter Papst Benedikt XV. war der Antimodernismus zwar gerade etwas abgeflaut, doch die Kirche ragte immer noch wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit in das 20. Jahrhundert.
Die theologische Enge ihrer Zeit teilt Edith Stein jedenfalls nicht, als sie 1938 schreibt: "Es hat mir immer sehr fern gelegen, zu denken, dass Gottes Barmherzigkeit sich an die Grenzen der sichtbaren Kirche binde. Gott ist die Wahrheit. Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht."2

Edith Steins Wahrheitssuche in Richtung Christentum wurde durch eine der größten weiblichen Heiligen des 16. Jahrhunderts angestachelt, durch die Heilige Teresa von Avila, deren Schriften zum Auslöser für ihre Bekehrung wurden.
An der Universität aber wurde Edith Stein die Wahrheitssuche durch gesellschaftliche Widerstände erschwert. Weil sie eine Frau war, konnte sie keine Professur erlangen, die Arbeit als Assistentin von Edmund Husserl war der letzte für sie mögliche Schritt in der universitären Welt.
Nach ihrer Taufe wurde sie darum zunächst Lehrerin und Dozentin.

In dieser Zeit hielt sie auch viele Vorträge und Reden zur Frauenfrage. Ihr ging es dabei um einen ganzheitlichen Blick – als Pädagogin und Philosophin war ihr Thema das Wesen und die Natur der Frau. Heute würden ihre Gedanken zu weiblicher Mutterschaft wahrscheinlich sehr stark angegriffen werden. Doch Edith Stein ist von einer spezifisch weiblichen Eigenart überzeugt, in den Worten von K. Westerhorstmann: "die ureigenste Aufgabe der Frauen lässt sich an jedem Ort verwirklichen: Sie sollen überall, wo sie durch private, berufliche oder andere Gründe hingestellt sind, ihren weiblichen Geist einbringen, der den Menschen und seine Belange sieht. ... Zugleich ... sollen die Frauen sich selbst entfalten, ihre Fähigkeiten ausbilden und diese in Familie und Beruf einsetzen, wodurch sie unmittelbar entscheidend an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligt sind."3

Leider hat Edith Stein das (nach meiner Kenntnis) nicht für die Frauen in der Kirche ausformuliert...


Mehr zu Edith Stein in in diesem Blog zum Beispiel hier und hier.

1   Zit n.: U. Dobhan, Edith Stein: Vom „radikalen Unglauben“ zum „wahren Glauben.“ In: https://www.karmelocd.de/download.html?f=vortraege%2Fvom-unglauben-zum-glauben-edith-stein.pdf
2   Zit. n. W. Herbstrith (Hg.), Edith Stein – Aus der Tiefe leben. Ein Textbrevier, Kevelaer 2006, 195.
3
   Mehr dazu und zu ihrem zeitgebundenen Frauenbild: K. Westerhorstmann, Bestimmung und Berufung der Frau nach Edith Stein. In: https://www.imabe.org/index.php?id=510

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