Die anspruchsvollste und zugleich
platteste christliche Wahrheit, Edith Stein hat sie in knappen Worten
auf den Punkt gebracht.
Das Andere reicht hinein in unser Lebensbild. Kanal am Lohmühlenplatz, Treptow, Berlin, 2016. |
"Unsere Menschenliebe (ist) das
Maß unserer Gottesliebe. Aber es ist eine andere als die natürliche
Menschenliebe. Die natürliche Liebe gilt diesem oder jenem, der uns
durch Bande des Blutes verbunden oder durch Verwandtschaft des
Charakters oder gemeinsamer Interessen nahesteht. Die anderen sind
'Fremde', die einen 'nichts angehen', einem eventuell sogar durch ihr
Wesen widerwärtig sind, so daß man sie sich möglichst weit vom
Leibe hält.
Für die Christen gibt es keinen
'fremden Menschen'. Der ist jeweils der 'Nächste', den wir vor uns
haben und der unser am meisten bedarf, gleichgültig, ob er verwandt
ist oder nicht, ob wir ihn 'mögen' oder nicht, ob er der Hilfe
'moralisch würdig' ist oder nicht.
Die Liebe Christi kennt keine
Grenzen, sie hört nimmer auf, sie schaudert nicht zurück vor
Häßlichkeit und Schmutz. Er ist um der Sünder willen gekommen und
nicht um der Gerechten willen. Und wenn die Liebe Christi in uns
lebt, dann machen wir es wie er".1
Die Stärke des Christentums wird darum
das Leben der Liebe Christi in den Christinnen und Christen sein.
Auch wenn es in manchen Kreisen eine
inzwischen stark abgenutzte Floskel ist – es ist der Kern dessen,
was die Kirche heilig hält: Christsein ist Liebespraxis. Christsein
ist Nachfolge Jesu im Dienst an den Nächsten. Das ersetzt nicht
Gottesdienste, Gebete und theologische Wissenschaft. Aber es ist das
Fundament all dieser christlichen Praktiken. Ohne die Liebe ist all
das nichts, wie Paulus schreibt (vgl. 1Kor 13,1-3).
Ich selbst bin nicht fähig, diesem
Anspruch oft standzuhalten.
Um so mehr bin ich dankbar für Heilige
wie Edith Stein, die darüber nicht nur philosophierte und
theoretisierte, sondern diese Worte lebte und mit ihrem Leben
bezeugte. Ihr namenloser Tod in Auschwitz spricht Bände.
So ist diese Heilige für mich eine
Treppenstufe zum Himmel.
Zaun am Krugpfuhl. Neukölln, Berlin, 2016. |
1 Edith
Stein, zit. n. W Herbstrith (Hg), Edith Stein. In der Kraft des
Kreuzes. Freiburg i.Br. 1987, 75.