Dienstag, 8. August 2017

Abgenutzt und heilig – Edith Stein über Gottes- und Menschenliebe

Die anspruchsvollste und zugleich platteste christliche Wahrheit, Edith Stein hat sie in knappen Worten auf den Punkt gebracht.
Das Andere reicht hinein in unser Lebensbild.
Kanal am Lohmühlenplatz, Treptow,
Berlin, 2016.

"Unsere Menschenliebe (ist) das Maß unserer Gottesliebe. Aber es ist eine andere als die natürliche Menschenliebe. Die natürliche Liebe gilt diesem oder jenem, der uns durch Bande des Blutes verbunden oder durch Verwandtschaft des Charakters oder gemeinsamer Interessen nahesteht. Die anderen sind 'Fremde', die einen 'nichts angehen', einem eventuell sogar durch ihr Wesen widerwärtig sind, so daß man sie sich möglichst weit vom Leibe hält.
Für die Christen gibt es keinen 'fremden Menschen'. Der ist jeweils der 'Nächste', den wir vor uns haben und der unser am meisten bedarf, gleichgültig, ob er verwandt ist oder nicht, ob wir ihn 'mögen' oder nicht, ob er der Hilfe 'moralisch würdig' ist oder nicht.
Die Liebe Christi kennt keine Grenzen, sie hört nimmer auf, sie schaudert nicht zurück vor Häßlichkeit und Schmutz. Er ist um der Sünder willen gekommen und nicht um der Gerechten willen. Und wenn die Liebe Christi in uns lebt, dann machen wir es wie er".1

Die Stärke des Christentums wird darum das Leben der Liebe Christi in den Christinnen und Christen sein.
Auch wenn es in manchen Kreisen eine inzwischen stark abgenutzte Floskel ist – es ist der Kern dessen, was die Kirche heilig hält: Christsein ist Liebespraxis. Christsein ist Nachfolge Jesu im Dienst an den Nächsten. Das ersetzt nicht Gottesdienste, Gebete und theologische Wissenschaft. Aber es ist das Fundament all dieser christlichen Praktiken. Ohne die Liebe ist all das nichts, wie Paulus schreibt (vgl. 1Kor 13,1-3).

Ich selbst bin nicht fähig, diesem Anspruch oft standzuhalten.
Um so mehr bin ich dankbar für Heilige wie Edith Stein, die darüber nicht nur philosophierte und theoretisierte, sondern diese Worte lebte und mit ihrem Leben bezeugte. Ihr namenloser Tod in Auschwitz spricht Bände.
So ist diese Heilige für mich eine Treppenstufe zum Himmel.

Zaun am Krugpfuhl. Neukölln, Berlin, 2016.

1   Edith Stein, zit. n. W Herbstrith (Hg), Edith Stein. In der Kraft des Kreuzes. Freiburg i.Br. 1987, 75.