Die Frau im Evangelium des Sonntags (Mt
15,21-28) gehört eindeutig einer fremden Religion an. Das hindert
sie aber nicht, sich bittend an Jesus zu wenden. Auf diese Weise
drückt sie die enorme Bedeutung aus, die sie ihm zuspricht.
Das Evangelium macht mit dieser Episode
nicht nur den Lernprozess Jesu deutlich, denn dieser wendet sich der Frau
nach anfänglicher Ablehnung doch noch zu, sondern es zeigt
auch die Attraktivität Jesu für Menschen außerhalb des engen
Kreises derer, die sich explizit zu ihm bekennen.
Auch wenn die Terrorattacken dieser
Tage etwas anderes zu insinuieren scheinen – das gilt besonders für
den Islam: Wahrscheinlich
gibt es "keine andere Religion neben dem Christentum,
die in den normativen Grundlagen ihres eigenen Glaubens eine so tiefe
Wertschätzung von Person und Werk Jesu von Nazaret vorfindet wie der
Islam."1
Aus diesem Grund möchte ich den
Evangelientext zum Anlass nehmen, um, angeleitet von Klaus von
Stoschs Überlegungen, einige Blicke aus koranischer Perspektive auf
Jesus zu werfen. Da ich selbst kein tiefer Kenner der Materie bin,
halte ich mich an seine Ausführungen in "Herausforderung
Islam. Christliche Annäherungen."2
Welcher Retter bitte? Sowjetisches Ehrenmal, Treptower Park, Berlin, 2017. |
Wichtig ist, dass es beim Blick auf den
koranischen Jesus nicht um die Suche nach einer Art interreligiösen
Konsenses in christologischen Fragen gehen kann, sondern um das
Anerkennen der Verschiedenheit der Standpunkte. Denn unstrittig
dürfte sein, dass Koran und Neues Testament erhebliche Unterschiede
im Jesusbild aufweisen. Es geht also "darum zu sondieren, ob
diese bleibend verschiedenen Perspektiven als Bereicherung
füreinander entdeckt werden können, ob also wechselseitige
Lernprozesse eintreten können, ohne die Unterschiede zwischen beiden
Religionen zu nivellieren."3
Genau diese interreligiösen
Lernprozesse sind erklärtes Ziel der Komparativen Theologie, zu
dessen Hauptvertretern in Deutschland von Stosch zählt.
Jesu Bild ist im Koran einigen
Schwankungen unterworfen, weshalb von Stosch eine diachrone Schau
vorschlägt, in der eine spätere kritische Sicht des Korans auf
Jesus nicht von Beginn an als Schatten auf anderen, positiveren
Bemerkungen liegt.
Die mittelmekkanischen Suren (um
615-618), zu denen auch die Sure Maryam (Sure 19) zählt, haben keine
ausgewachsene Theologie von Jesus, benennen ihn aber mit
verschiedenen bemerkenswerten Titeln, die für christliche Ohren zwar
fremd, aber nicht falsch klingen.
Gott / ein Engel sagt in Sure 19 über
Jesus: "Wir machen ihn zu einem Zeichen für die Menschen und
zu Unserer Barmherzigkeit, und dies ist eine beschlossene Sache."
(Q 19,21)
Das hebt Jesus schon einmal deutlich
hervor und stellt ihn in die Nähe des im Koran am meisten
gebrauchten Attributs Gottes – Barmherzigkeit.
Etwas später spricht Jesus dann selbst
und bezeichnet sich dabei als "Diener Allahs" (Q
19,30). Damit wird nach von Stosch auf die Gottesknechtslieder des
Jesaja (Jes 52,13-53,12) angespielt. Zwar wird Dienersein in der
muslimischen Anthropologie von allen Menschen erwartet. Darum zeigt
die Aussage vom Dienersein "Jesus als paradigmatischen
Menschen ... Allerdings wird nur Jesus im Koran so eingeführt,
dass er von sich sagt, er sei der Diener Gottes und damit der
Gottesknecht."4
Dieser christologische Hoheitstitel
wird vom Koran jedoch nicht in der christlichen und biblischen Weise
interpretiert, dass also der hier "naheliegende Gedanke des
stellvertretenden Sühneleidens mit dem Titel verbunden wird."5
Vielmehr bleibt es bei einer
Akzentuierung Jesu als maßgeblicher und Gott nahe stehender Person,
ohne dass die spezifisch christliche Deutung seitens des Koran
eingebracht wird.
Gleich im Anschluss aber gibt es einen
Einschub, in dem klargestellt wird, dass Gott keinen Sohn haben kann:
"Es geziemt Allah nicht, Sich einen Sohn zu nehmen. Gepriesen
sei Er!" (Q 19,35)
Von Stosch weist darauf hin, dass hier
"Missverständnisse paganer Araber"6
im Fokus stehen, die zu jener Zeit noch Maria und Jesus als Götter
in der Kaaba verehrten. Der Unterschied zu diesen liegt im
Wortgebrauch, der zeigt, dass Jesus nach koranischer wie christlicher
Auffassung eben kein von Gott geschlechtlich gezeugter Sohn (walad)
wäre (wie anscheinend die damaligen paganen Gruppen glaubten),
sondern der "Sohn von..." (ibn), ein Wort, das auf intime
Nähe und eine tiefe Beziehung zu jemandem hinweist.7
Auch der in den synoptischen Evangelien
bezeugte Jesus wehrte bestimmte Unterstellungen und religiöse
Vorstellungen konsequent ab. Klar gestellt wird im Koran aber
zugleich, dass Jesus unter Gott steht.
Viel Offenheit nach oben. S-Bahnhof Schöneweide, Berlin, 2016. |
Wer das noch zu schwammig findet, sei
darauf hingewiesen, dass der Koran in den späteren, medinensischen
Suren noch weiter geht – in der Hochachtung vor Jesus wie auch in
der Abgrenzung von bestimmten Vorstellungen.
In der Sure Al Imran (Sure 3) wird
Jesus "als Wort Gottes verkündigt und erstmals wird sein
Name Christus und damit der Messiastitel verwendet."8
Außerdem wird wiederholt, dass Jesus
Gott im Dieseits und im Jenseits nahestehen werde. Nach von Stosch
liegt es nahe, "aus dieser besonderen Vertrautheit und Nähe
Jesu zu Gott auch den Grund abzuleiten, warum er als Wort Gottes
bezeichnet wird. Denn diese Kennzeichnung finden wir ebenfalls im
Koran für keinen anderen Propheten".9
Von Stosch sieht in der Sure, die auch
Jesu Wunder und seine Himmelfahrt berichtet und betont, dass Jesus
"im Blick auf seine Erschaffung dem Adam gleicht"
vor allem "den Wunsch nach Ausbildung eines monotheistischen
Common Sense, der die Hingabe an den einen Gott in den Mittelpunkt
stellt, dabei aber unterschiedliche Wege zu ihm erlaubt und in diesem
Kontext Ambiguitätstoleranz im Rahmen des gemeinsamen
monotheistischen Glaubens einübt."10
Das Augenmerk von Stoschs ist oft auf
die unpolemischen Stellen gerichtet. Gleichzeitig werden im Koran
aber immer wieder Grenzen gesetzt, wenn von Jesus die Rede ist –
höchste Würdigung und Kritik an christlichen Vorstellungen stehen
oft nebeneinander. So auch in der Sure An-Nisaa (Sure 4), wo es an
die Christen gerichtet heißt: "O Leute der Schrift,
übertreibt es nicht in eurem Glauben und sagt von Allah nichts als
die Wahrheit. Wahrlich, der Messias, Jesus, Sohn der Maria, ist nur
der Gesandte Allahs und Sein Wort, das Er Maria entboten hat, und von
Seinem Geist." (Q 4,171)
In solchen auch kritischen Passagen
erkennt von Stosch dementsprechend eher "eine Kritik an
übertriebenen Zuspitzungen"11
oder an sektiererisch-häretischen Auswüchsen, die heutige Christen
oftmals gar nicht mehr treffen. Oder aber es kann eine heilsame
Kritik an Frömmigkeit und Theologie sein, die Jesus und Gott
vorschnell auf eine Stufe stellen und
Diesen Ausführungen muss man im
Einzelnen nicht immer vollständig folgen, aber das Ausloten neuer
Spielräume "durch eine differenzierte Relecture der
islamischen wie der christlichen Tradition und mit Hilfe neuerer
Verstehensansätze"12
ist durchaus spannend und kann, insbesondere bei weiterer und
vertiefender Beschäftigung viele neue Anregungen bieten.
Summierend hält von Stosch darum in
differenzierter Weise fest: "Der Koran macht also deutlich:
Indem ich auf Jesus höre und mich ihm anvertraue, kann ich lernen,
mit ihm von ihm weg zu schauen und Gott in den Mittelpunkt meines
Lebens zu stellen. Christlicherseits wird man an dieser Stelle sicher
bleibend Bedenken anmelden, weil das Blicken auf Jesus für Christen
ja gerade den Weg zum Vater eröffnet. Von daher betont der Koran
Unterschiede, die christlicherseits so nicht zu akzeptieren sind."13
Darum betont der Autor abschließend
auch, dass ihm (wie mir auch) der "lehrende Christus",
wie ihn der Koran vornehmlich darstellt, "alleine zu wenig"
ist, "und ich weiß nicht, wie ich seinem richtenden Wort
standhalten soll, wenn er nicht immer schon solidarisch und helfend
an meiner Seite steht."14
Und das tut er vor allem als leidender und in äußerster
Verlassenheit sterbender Gekreuzigter, als der er "unsere
letzten Abgründe noch einmal zu Gott zu führen vermag."15
Trotz dieser Divergenzen bleibt die
Kunst (und dazu fordert von Stosch immer wieder auf), gerade in
interreligiös und politisch hoch emotional aufgeladenen Zeiten, die
Unterschiede wahr und die koranische Kritik an manchen
Frömmigkeitsauswüchsen von uns Christen ernst zu nehmen, aber die
Verschiedenheit zugleich fruchtbar zu machen, um die menschliche
Seite Jesu oder seine besondere Nähe zu Gott vom Koran inspiriert
neu in den Blick zu nehmen.
Auf diese Weise jedenfalls wird
jedenfalls eher ein Dialog ermöglicht als durch das ewige
Insistieren auf den Unterschieden.
Der heidnischen Frau im Evangelium hat,
so die fromme christliche Folgerung, ihre Zuwendung zu Jesus
jedenfalls nicht geschadet. Und auch sie hatte sicher nicht das
rechtgläubige Ideal heutiger Kirchenlenker im Kopf.
Der Skandal des Kreuzes gehört dazu. Alt-Buchhorst, 2016. |
1 K.
v. Stosch, M. Khorchide (Hg.), Streit um Jesus. Muslimische und
christliche Annäherungen. Paderborn 2016, 7.
2 K.
v. Stosch, Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen.
Paderborn 2016, 154-169.
Dort werden im abschließenden Kapitel
Stoschs Analysen aus seinem Aufsatz im Tagungsband "Streit
um Jesus. Muslimische und christliche Annäherungen."
zusammengefasst (Siehe Fußnote 1).
Die vorausgehende Expertentagung fand vom 20. bis 22.08. 2014 an der Katholischen Akademie Schwerte statt und stand unter dem Thema "Christologie – Die Besonderheit Jesu Christi in Islam und Christentum".
Ehrlicherweise muss hinzugefügt werden, dass laut Vorwort (Leseprobe hier erhältlich: https://www.schoeningh.de/uploads/tx_mbooks/9783506782564_leseprobe_01.pdf) von anderen Teilnehmern der Tagung eine Reihe von Kritikpunkten aus muslimisch-theologischer Sicht an Stoschs Ausführungen vorgebracht werden, die ich in Ermangelung vollständiger Lektüre hier nicht anbieten kann.
Die vorausgehende Expertentagung fand vom 20. bis 22.08. 2014 an der Katholischen Akademie Schwerte statt und stand unter dem Thema "Christologie – Die Besonderheit Jesu Christi in Islam und Christentum".
Ehrlicherweise muss hinzugefügt werden, dass laut Vorwort (Leseprobe hier erhältlich: https://www.schoeningh.de/uploads/tx_mbooks/9783506782564_leseprobe_01.pdf) von anderen Teilnehmern der Tagung eine Reihe von Kritikpunkten aus muslimisch-theologischer Sicht an Stoschs Ausführungen vorgebracht werden, die ich in Ermangelung vollständiger Lektüre hier nicht anbieten kann.
3 K.
v. Stosch, M. Khorchide (Hg.), Streit. a.a.O., 8.
4 K.
v. Stosch, Herausforderung. a.a.O., 156.
5 Ebd.
6 Ebd.,
158.
7 Vgl.
z.B. (auch wenn ich die Quelle nicht näher kenne)
https://scottthong.wordpress.com/2008/02/25/walad-and-ibn-christianity-agrees-with-islam-god-did-not-have-a-son-sexually/.
8 K.
v. Stosch, Herausforderung, a.a.O., 160.
9 Ebd.
10 Ebd.,
162.
11 Ebd..,
165.
12 So
U. Ruh in seiner Rezension zu K. v. Stosch, M. Khorchide (Hg.),
Streit. a.a.O. in der Herder-Korrespondenz, die sich auch hier
findet:
https://www.herder-korrespondenz.de/heftarchiv/70-jahrgang-2016/heft-10-2016/buchbesprechung-klaus-von-stosch-und-mouhanad-khorchide-hg-streit-um-jesus.
13 K.
v. Stosch, Herausforderung, a.a.O., 167.
14 Ebd.,
177.
15 Ebd.,
176.