Die geplante Verleihung des Hessischen
Kulturpreises an Vertreter der drei abahamitischen Religionen wurde
2009 zum Eklat, weil die christlichen Vertreter, darunter Karl
Kardinal Lehmann, sich an einem Essay von Navid Kermani über eine
Kreuzigungsdarstellung von Guido Reni störten.
Auf der Suche nach dem Text kann man im
Internet auf den Seiten der Neuen Zürcher Zeitung
fündig werden oder auch in der hochgelobten Essaysammlung
"Ungläubiges Staunen. Über das Christentum".1
Kermani sucht sich darin – ganz im Sinne des Titels – auf den
Spuren christlicher Kunstwerke, Riten und Zeugen seine Zugänge zu
christlichen Glaubenswahrheiten.
Für verschiedene Deutungen offen. Neues Museum, Berlin-Mitte, 2015. |
Bevor ich drei Punkten dieser
Darstellungen kurz nachgehe, will ich klarstellen, dass ich
weder die ursprüngliche Fassung des Textes in der NZZ noch seine
Auffächerung im Essayband respektlos oder gar blasphemisch finde –
insofern man sich nicht an Reizworten stört. Denn dass einem Muslim
der Gottessohn als Gekreuzigter wie eine "Gotteslästerung
und Idolatrie"2
anmutet, ist aus seiner Sicht nur nachvollziehbar. Aber wenn man den
Kontext und das Staunen, das Einfühlen und die Bewunderung
wahrnimmt, mit denen Kermani auf die unterschiedlichen Ausdrücke des
christlichen Glaubens schaut, zeigt sich jedermann, dass hier kein
arroganter Verächter des Christentums schreibt, sondern eben ein
ungläubig Staunender, der den interreligiösen Dialog ehrlich und
ohne Vortäuschung falscher Toleranz sucht.
1
Der gekreuzigte Jesus, wie ihn Guido
Reni gemalt hat und wie man ihn beispielsweise hier
ansehen kann, ist kein Leidender, sondern ein Schwebender; einer,
dessen Wunden man nur ahnen kann und der sich betend gen Himmel
streckt. Kermani kommentiert seinerseits:
"Reni verklärt nicht den
Schmerz, den er nicht zeigt. Ihm gelingt, was andere
Kreuzigungsbilder behaupten: Er überführt das Leiden aus dem
Körperlichen ins Metaphysische. Sein Jesus hat keine Wunden, keine
Abzeichen der Striemen und Hiebe, ist schlank, jedoch nicht
abgemagert. Selbst wo seine Hände und Füße ans Kreuz genagelt
sind, fließt kaum Blut. Wären die Nägel nicht, es sähe aus, als
breite er die Hände wie zu einer Demonstration aus. Er blickt in den
Himmel, die Iris aus dem Weiß der Pupille beinah verschwunden: Schau
her, scheint er zu rufen. Nicht nur: Schau auf mich, sondern: Schau
auf die Erde, schau auf uns. Jesus leidet nicht, damit Gott, wie es
die christliche Erlösungslehre nahelegt, zum Mitleidenden, damit
selbst zum Opfer wird, Jesus klagt an: Nicht, warum hast du mich,
nein, warum hast du uns verlassen?"3
Nur nebenbei sei die stilistische
Änderung bemerkt, dass es in der Erstfassung noch die "christliche
Ideologie" hieß, wo im Essayband nun die "christliche
Erlösungslehre" steht. Doch das ist meiner Meinung nach
eher eine Kleinigkeit, selbst wenn sie für eine neuere, positivere
Sicht stehen mag.
Meine Frage ist dagegen, ob wir hier
wirklich einen klagend Anklagenden sehen, eher habe ich den Eindruck
einer Gebetshaltung, also nicht, dass Jesu Hände hier zu einer
"Demonstration" erhoben sind, wie Kermani meint,
sondern eher schon, dass Jesus, wie der Zeitungsartikel noch sagte,
seine Hände "wie zum Gebet" erhebt. Aus der Sicht
eines gläubigen Muslims kann Kermani den Gedanken eienr sühnend
leidenden Gottessohnschaft Jesu auch nur ablehnen, das ist für mich
legitim und nachvollziehbar. Allerdings wird diese Deutung für einen
Christen nicht zwingend sein, gerade dann, wenn auch die Anklage
Gottes eine verständliche Haltung angesichts des eigenen oder
fremden Leides bleibt.
2
Menschliches Leiden und speziell das
Leiden Jesu aber kann Kermani durchaus als offen für andere
Deutungen würdigen. In einem Beitrag zu Caravaggios "Dornenkrönung Christi" von 1602/03 beschäftigt er sich mit der
Erniedrigung Jesu durch die Henkersknechte und in den Vorstellungen
hinter diesem Bild scheint auch der Muslim Kermani eine gewisse
Tiefendimension erkennen zu können.
Die Verurteilung durch Pontius Pilatus
vollzieht sich noch im Rahmen von Nützlichkeitserwägungen dieses
pragmatischen Zynikers, die Kermani zu Recht nicht als tiefere
Bosheit und direkte Demütigung Jesu deutet.
Alt-Buchhorster Dornenkrönung. Grünheide, 2016. |
"Dann aber wird Jesus den
anonymen Kriegsknechten überantwortet, einfachen Handlangern, die
seinem Volk nicht angehören, ihn nur dem Hörensagen nach kennen und
keinerlei Gefühle, geschweige denn Ressentiments gegen ihn hegen.
Sie nehmen ihn mit ins Richthaus, entziehen ihn somit den
teilnehmenden Blicken, rufen noch ihre Genossen herbei, die ganze
Schar, und machen sich einen Spaß, den womöglich nicht einmal das
göttliche Urteil vorsah. Die Dornenkone etwa, die sie ihm auf den
Kopf setzten, hat weder die Anklage gefordert noch Pilatus
angeordnet, sondern ist genauso wie das Rohr, das sie Jesus in die
rechte Hand geben, und der Purpurmantel, den sie ihm anziehen, ihr
eigener Einfall, ein bloßer Zeitvertreib, beigen die Knie vor ihm
wie in einem Schmierenstück, verspotten ihn und sprechen ihn an als
einen König.
Und das dauert ... das geht nicht in
ein paar Minuten, das ist ein ausgedehntes ... Spektakel, dem die
Schar der Kriegsknechte grölend, applaudierend, anfeuernd zuschaut,
eine Stunde vielleicht oder länger. Und Jesus hat mit ihnen nichts
zu tun, das ist das Schlimmste, ist ihnen so fremd, so gleichgültig,
wie ein Gegenstand, den sie auf der Straße aufgelesen, ein zufällig
gefundenes oder vielmehr zugeworfenes Spielzeug."4
Alle anderen, vornehmlich das jüdische
Establishment, die seinen Tod wirklich aus tiefster Seele wollten,
machten sich schuldig, da sie nicht glauben konnten, wer Jesus
eigentlich ist. Die Soldaten aber können es als bloß ausführende
Organe, die allein vom brutalen Spaß am Schmerz des ihnen
Ausgelieferten getrieben sind, gar nicht begreifen, was sie da wem
antun. Kermani schreibt, gerade dadurch nehmen sie Jesus auch noch
"den Trost des Auserwähltseins, indem sie seine Passion zu
einem bloßen Zeitvertreib herabwürdigen."5
Auch christliche Frömmigkeit vollzieht
diese totale Erniedrigung, die sogar das ureigene Sendungsbewusstsein
des Gottessohnes Jesus Christus umgreift, nach, wenn sie in der Spur
der Verse aus dem Philipperbrief geht: "Ausgeleert hat er
sich selbst, Knechtsgestalt hat er genommen; in Menschengleichheit
trat er auf und ard in der Art als Mensch erfunden. So hat er sich
niedrig gemacht, ward gehorsam bis zum Tod – dem Tod am Kreuz"
(Phil 2,7.8 in der Übersetzung von Fridolin Stier).
Vor der Kreuzigungsdarstellung. Grünheide, 2016. |
Leiden und erniedrigt werden um eines
höheren Sinnes willen mag schon schlimm sein, bestenfalls innerliche
Genugtuung geben, aber Leiden ohne jeglichen Sinn, als Spielball den
Bösen ausgeliefert zu sein ohne einen inneren Halt zu haben – das
kann in die totale Entfernung und Entfremdung von einem Sinn
schenkenden Gott führen.
Hat Jesus so gelitten, wie Kermani es
hier beschreibt, dann trat er wirklich in allem ganz "in
Menschengleichheit" auf.
3
Trotz dieses
intuitiven Einfühlens in Wesensbestandteile der christlichen
Botschaft bleibt das Kreuz selbst dem Autor Anstoß und Ärgernis,
ganz wie Paulus es schon für die Nichtchristen seiner Zeit
vorausgesetzt hatte: "Wir ... verkünden Jesus als den
Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine
Torheit" (1Kor 1,23).
Kermanis stärkste Kritik an diesem
Leidenssymbol ist interessanterweise aus dem ursprünglichen Kontext
des inkriminierten Aufsatzes heraus- und in eine Kreuzesbetrachtung
eingewandert. In eine Kreuzesbetrachtung aber, die bei aller
Ablehnung auch offen ist für weitergehende Deutungen der
Kreuzesgestalt – nur eben ohne den Gekreuzigten. Da heißt es
zunächst:
"Nicht, daß ich die Menschen,
die zum Kreuz beten, weniger respektiere als andere betende Menschen.
Es ist kein Vorwurf. Es ist eine Absage. Gerade weil ich ernst nehme,
was es darstellt, lehne ich das Kreuz rundweg ab. Nebenbei finde ich
die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, en
Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir
genießen sollen, auf daß wir den Schöpfer erkennen".6
In diesem Zusammenhang fallen auch die
oben zitierten drastischen Worte, die im Kreuz eine Lästerung Gottes
sehen.
Doch dann bekommt Kermani ein
stählernes Kreuz des Bildhauers Karl Schlamminger, eine Abbildung
findet sich auf dessen Internetpräsenz.
Kermani findet es "so
berückend, so voller Segen, daß ich es am liebsten selbst ankaufen
und für immer behalten würde, koste es, was es wolle. Erstmals
denke ich: Ich – nicht nur: man – ich könnte an ein Kreuz
glauben."7
Wie geht nun das zusammen? Die völlige
theologische Ablehnung und dann eine Offenheit und gar Begeisterung,
die nun wirklich verwundern muss.
Kermani beschreibt und deutet das Kreuz
wie folgt:
"Die gesamte Form entsteht aus
der Bewegung, in die das Material versetzt worden ist. Zuerst
schneidet Karl den Stahlblock in unzählige hauchdünne Scheiben,
durch die er eine Längsachse zieht, und zwar außerhalb der Mitte.
Dann dreht er die Scheiben, allerdings nicht gleichförmig, vielmehr
in Form einer Doppelhelix, eine Scheibe links, eine Scheibe rechts,
eine links, eine rechts und so weiter. Gemäß der orientalischen
muqarnas-Form, die auch dem Bau islamischer Kuppeln zugrunde liegt,
mutiert das Quadrat durch die Öffnung von innen allmählich zur
Rundung. Während byzantinische oder römische Kuppeln – oder
Kuppeln, die mit moderner Technik heute weltweit für Moscheen gebaut
werden – mehr oder weniger elegant auf dem Zwickel der Grundmauern
aufliegen, ermöglicht es das Muqarnas, das Rechteck selbst
vollkommen zu runden. Nichts wird hinzugefügt, nichts wird genommen.
Es gibt keinen Abfall. ...
Indem es [das Kreuz] sich aus den
versetzt aufeinanderliegenden, quadratischen Scheiben herausbildet,
ja: herausdreht, hat es trotz der Wölbungen an jeder Stelle exakt so
viel Volumen wie an jeder anderen. Ein Quader, der sich zu Kurven, zu
Kreisen aufschwingt, damit die vier Arme zu dem werden, was göttlich
ist: zu eins. Endlich verstehe ich ein Kreuz, ja, begreife es, fasse
es mit den Händen an und fühle das Quadrat, wie es sich rundet,
unter den Fingern. Das Muqarnas-Kreuz, das kein Abbild mehr ist,
vielmehr eine Idee wie die ersten, ganz schemenhaften Kruzifixe und
noch das griechische Tau (Τ),
sieht in der Dreifaltigkeit den Monotheismus. Darin ist es dezidiert
christlich und zugleich mehr als nur christlich, in seiner Ästhetik
frühchristlich, damit orientalisch und zugleich von heute."8
Halbierte Kreuzigung. Cmentarz Powazkowski, Warschau, 2015. |
Das stellt eine für mich erstaunliche
und ungewöhnliche Annäherung an ein Kreuz dar, die ich durchaus
sympathisch und, wie vieles in dem Band, aufrichtig und wertschätzend
finde. Eine solche Offenheit gegenüber einem friedlichen Islam ist
gerade in Zeiten politischer Unruhen und abscheulicher Gewalt im
Namen dieser Religion auch Christen nur zu wünschen.
Entscheidend aber bleibt für Christen:
die Absage an die Abbildung der entscheidenden Person am Kreuz, die
Tatsache, dass der Gekreuzigte Jesus nicht das Zentrum einer
Kreuzesbetrachtung darstellt, entkernt sie vom Wesentlichen. Der
christliche Monotheismus umfasst als ureigenen Bestandteil den
christlichen Dreifaltigkeitsglauben und in diesem den Glauben an die
Menschwerdung Gottes in Jesus Christus.
Ich habe großen Respekt vor der Stärke
des Monotheimus im Islam und wünsche mir von Zeit zu Zeit selbst
diese Eindeutigkeit im Glauben. Zugleich aber bin ich überzeugt:
alle Gedanken, die vom stellvertretenden Liebesleiden des
Gottmenschen Jesus Christus fortführen, sind eventuell für andere
Religionen anschlussfähig und eingängig, stellen aber kein
christliches Proprium dar.
Dieses Proprium jedoch steht im Zentrum
der heiligen Tage von Leiden, Tod und Auferstehung.
4 Ebd.,
39ff.
5 Ebd.,
42.
6 Ebd.,
50.
7 Ebd.,
51.
8 Ebd.,
51f.