Dienstag, 15. März 2016

Zumutung Demokratie – "Wechselseitige Anerkennung gleicher Freiheit"

"Demokratie unterstellt allen die Fähigkeit, ihre eigenen Angelegenheiten beurteilen zu können."1 Darum lässt sich am Beginn der Demokratie eine Art "Versprechen wechselseitiger Anerkennung gleicher Freiheit"2 denken, das die Grundlage der Demokratie bildet.
Noch stärker ausgedrückt mündet diese wechselseitige Freiheitsunterstellung dann in der These: "Mit der demokratischen Anerkennung unterstellen wir uns ein gleiches Urteilsvermögen."3
Denn wir sind zwar "nicht alle gleich klug, gebildet oder erfahren. Aber die Demokratie unterstellt allen das gleiche Vermögen, eigene und öffentliche Angelegenheiten zu beurteilen, wenn sie gleiche politische Entscheidungsrechte vergibt. Diese Unterstellung ist nicht als barmherzige Nivellierung bestehender intellektueller Unterschiede zu verstehen. Vielmehr ist politisches Urteilsvermögen keine Fähigkeit, die einfach mit Ausbildung oder Intellektualität zunehmen würde, wie nicht zuletzt die Verführbarkeit von Intellektuellen durch den Totalitarismus des 20. Jahrhunderts zeigt. Politische Urteilskraft betrifft die elementare Fähigkeit, beurteilen zu können, was für das eigene Leben richtig und wichtig ist und was nicht."4

Unter Gleichen. Wald bei Grünheide, 2016.
Das ist harter Tobak. Aber in dieser Woche nach den ersten Landtagswahlen in diesem Jahr eine wesentliche Feststellung.
Denn bei all meiner persönlichen Abneigung gegen viele Themensetzungen, emotionalen Aufladungen und vor allem gegen den Stil der AfD – der schnappende Affekt mancher politischer oder medialer Akteure auf die Wahlergebnisse stört mich sehr. Denn letztlich werden die oben genannten Grundsätze negiert, wenn man in ungestörten demokratischen Verfahren zustande gekommene Wahlergebnisse de facto für falsch ansieht, auch wenn das oft nicht so gesagt wird. Auf diese Weise sehen sich AfDler nur bestätigt.
Durch Wahlen drücken sich zwar keine politischen Wahrheiten oder direkten Handlungsanleitungen aus, wohl aber der Anspruch der Wählenden, ihre Stimme zu Gehör zu bringen. Diese Möglichkeit bietet die Demokratie, auch wenn ich persönlich das Wahlergebnis nicht ansehnlich finde und glaube, dass viel Arbeit nötig wird, die sich darin ausdrückenden Ängste zu zerstreuen.
Immerhin zeigt das Ergebnis zugleich, dass über drei Viertel der gewählt Habenden nicht so denken, und das beruhigt mich sehr.

Der oben zitierte Autor, der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers, ist neben anderem auch Katholik. Vielleicht liegt es daran, vielleicht nicht: theologisch glaube ich, kann man in den zitierten Thesen ein sehr christliches Menschenbild wiederfinden. Aufgrund der Gottebenbildlichkeit aller Menschen haben alle die gleiche Würde bei unterschiedlichen Fähigkeiten und Kenntnissen. Möllers selbst fragt in dem Buch "Demokratie. Zumutungen und Versprechen", warum wir uns denn gegenseitig ein solches Versprechen der wechselseitigen Anerkennung unserer Freiheit geben sollten und antwortet gleich darauf:
"Weil wir in einer Gemeinschaft leben wollen, ohne unsere Individualität aufzugeben. Demokratische Gleichheit ermöglicht Eingliederung ohne Unterwerfung in Ungleichheit. Demokratie ist Vergemeinschaftung ohne Selbstaufgabe."5

Gott hat uns, mit anderen, theologischeren Worten, nicht nur ein individuelles Selbst gegeben, sondern uns zugleich als soziale Wesen geschaffen. Neoliberaler Ego-Kapitalismus entspricht dem Menschen nach christlichem Verständnis darum ebenso wenig wie marxistischer Kommunismus.

Schlussendlich: Christlich ist nicht nur, gegen Hass und Ausgrenzung aufzustehen, sondern zugleich die Freiheit der Anderen in einer Gemeinschaft von prinzipiell Gleichen zu achten. 

Weinberg des Herrn. Dornburger Schlösser, 2015.
1   C. Möllers, Demokratie. Zumutungen und Versprechen. 2. Aufl. Berlin 2009, 11.

2   Ebd., 17.

3   Ebd., 18.

4   Ebd., 18f.


5   Ebd., 17.