Ich habe den Eindruck, dass die Zeit
vorbei ist, in der man sich im westlich geprägten Teil der Welt den
naiven Wunsch nach Wiedergeburt im angeblich buddhistischen Sinne
hegen konnte, weil man glaubte, dann könne man in einem weiteren
Leben Dinge nachholen oder verbessern oder sonst etwas darausziehen.
Außer in esoterischen Kreisen, wo man sich an frühere Leben
erinnert, hat sich augenscheinlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass
das karmische Prinzip der Religionen des Ostens darauf beruht, den
Kreislauf der Wiedergeburten zu verlassen und dass ins Nirvana / Moksha einzugehen eigentliches Ziel der religiösen
Bemühungen ist.
Ewiger Kreislauf. Spielplatz, Rixdorf, Berlin, 2016. |
Neues Leben im Sinne eines Wiederlebens
nach dem Tode ist also ausdrücklich nicht angestrebt, wenngleich
eine Wiedergeburt in diesem Sinne in Kauf genommen werden muss, bis
das eigene Karma so sehr an Wirkkraft verliert, dass ein Hinausgehen
ins Verlöschen möglich wird. Denn das Karma als Grundgesetz von
Ursache und Wirkung menschlicher Taten bringt das Rad der
Wiedergeburten (buddhistisch Samsara) immer wieder neu in Schwung; es
kann vereinfachend als eine Art "Bewusstseinsspeicher"1
angesehen werden, in dem alles aufbewahrt bleibt, was ein Mensch tut
und lässt.
In dieser etwas schematischen Form
verbleibend, möchte ich einige Gedanken wiedergeben, die mir vor
einigen Jahren sehr geeignet schienen, um Unterschiede und
Gemeinsamkeiten zwischen dem Glauben an Auferstehung im christlichen
Sinne und der Überzeugung von Reinkarnation im Sinne von Hinduismus
und Buddhismus darzustellen.2
Das Karma kennt keine Gnade! So oder so
ähnlich plakativ ließe sich kurzfassen, was viele christliche
Theologen grundlegend gegen den östlichen Glauben an die
Wiedergeburt einwenden. Was ein Mensch sät, das wird er unweigerlich
ernten, gegen seine Taten und Gedanken kommt er nicht an (und auch
niemand sonst). Dagegen kennt das Christentum einen von Gott
geschenkten Ausweg aus dem menschlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang: "Im
Zentrum der 'Guten Botschaft' des Christentums finden wir die
grundlegende Überzeugung, daß es in Gott Verzeihung gebe und nicht
Vergeltung."3
Der Konflikt lautet damit in etwa:
Unpersönliche und unvermeidliche Anwendung eines nicht zu
überwindenden Grundsatzes (Karma) versus wohlwollende Zuwendung und
barmherzige Vergebungsbereitschaft, die über alles menschliche Tun
mit großmütiger Liebe schaut (Gott).
Darüber hinaus steht die christliche
Einmaligkeit des menschlichen Lebens mit seinem unhintergehbaren
Ernst als Gegenpol zu einer Art von Relativierung des Einzellebens
durch die Vervielfachung von Lebensläufen in einer Reihe von
Wiedergeburten. Christlich wäre dann: Gott schenkt ein Leben mit der
natürlichen Grenze des leiblichen Todes; ein Leben, das uns genügend
Möglichkeiten bietet und "nicht bloßes Versuchsfeld"4
ist; ein Leben, das uns an unser endgültiges Ziel führen soll.
Andere Erwägungen sind weniger auf die
theologischen Unterschiede aus und stellen mehr in Rechnung, was
Auferstehungsglauben und Reinkarnationsglauben verbindet und was
möglicherweise Anknüpfungspunkte zum tieferen Ausloten auch des
eigenen Denkmodells liefert.
Gemeinsam ist beiden Vorstellungen5
der Glaube an ein Leben über den Tod hinaus und an Konsequenzen, die
sich aus dem jetzigen Leben für das postmortale Geschehen ergeben.
Menschen haben durch ihre Lebenspraxis also in einer gewissen Weise
Einfluss auf die sie erwartende Wirklichkeit nach dem Tod. Der oben
genannte existenzielle Ernst muss ja auch verschiedene mögliche
Ausgänge des Lebens zulassen, damit darin auch wirklicher Ernst ist.
Dazu kommt die Einbettung des
Individuums in die Generationen der Menschheitsgeschichte vor ihm,
die es immer auch beeinflusst. Christlicherseits kann hier
hingewiesen werden auf die Heils- und Unheilsgeschichte mit der
sogenannten Erbsünde und deren universale Heilung in Jesus Christus.
Franz-Josef Nocke fragt in Richtung
einer Vertiefung des eigenen Denkens weiter: "Böte das
Reinkarnationsdenken z.B. die Chance, den Zusammenhang zwischen dem
Einzelnen und der Geschichte vor und nach ihm sowie mit der gesamten
übrigen Wirklichkeit stärker ins Bewußtsein zu heben und damit der
theologisch bedenklichen westlichen Verabsolutierung des Individuums
und seiner Isolierung vom Ganzen entgegenzuwirken?"6
Heilsrelevantes Umfeld. Grünheide, 2016. |
Gerade angesichts einer protestantisch
enggeführten Geisteshaltung, die den Einzelnen vor dem
rechtfertigenden Gott ins Zentrum ihres theologischen Denkens stellt
(und die durchaus auch katholisches Theologisieren betrifft), kann
sich diese mentale Öffnung auf das heilsrelevante Umfeld dieses
Einzelnen für theologisches Denken positiv und konstruktiv
auswirken.
Am spannendsten aber finde ich die
Frage, die auf ein Feld zielt, das auch in der innerchristlichen
Diskussion umstritten ist und auf diese Weise den Boden bereitet für
ein christlich-ökumenisch-selbstkritisches Nachdenken über die
Konsistenz der eigenen Glaubensüberzeugungen.
Es geht um die Frage nach dem
Zwischenzustand, dem sogenannten Fegfeuer. Nocke fragt hier:
"Könnte Reinkarnation ein
Vorstellungsmodell sein, das (vergleichbar etwa dem Bild des
Fegfeuers) den Gedanken der Läuterung ausdrückt, ohne die Bedeutung
des gegenwärtigen Lebens abzuwerten?"7
Ein Reinigungsweg nach dem Tod –
diese religionsverbindende Vorstellung könnte eine
Anknüpfungsperspektive bieten, um sich klar zu machen, dass in einem
irdischen Leben unter Umständen nicht alles geklärt, bereinigt und
geheilt werden kann, sondern dass der Blickwinkel weiter gesteckt
sein muss. Ein potentielles Lernfeld, das ich äußerst anregend
finde.
Für den Hinduismus versucht der
indische Jesuit, zwischen Auferstehung und dem hinduistischen Moksha
zu vermitteln: "Denn es besteht eine funktionale Entsprechung
zwischen ihnen. Das ewige Leben, in das man durch die Auferstehung
eintritt, findet ihre funktionale Entsprechung in der endgültigen
Befreiung im Hinduismus. Auferstehung ist nicht Moksha und umgekehrt.
Aber beide sind wie zwei Augen, die zusammen eine Tiefenperspektive
ermöglichen."8
Aber möglicherweise sind auch die oben
angeführten Gegensätze von unbarmherzigem Karma und barmherzigem
Gott gar nicht so abgrundtief. D' Sa schreibt: "Die Millionen
und Abermillionen von Wiedergeburten, von denen im Samsara die Rede
ist, sind ein bildhafter Ausdruck für die völlige Unfähigkeit des
Menschen, sich aus eigener Kraft aus dem Samsara zu befreien."9
Die Konsequenz aus dieser Aussage wäre, dass auch im Glauben an
Reinkarnation Erlösung nicht zwangsläufig gnaden-lose
Selbsterlösung sein muss. Dies würde allerdings einer tiefere
Durchdringung der Materie voraussetzen als ich hier bieten kann.
Mein Fazit lautet darum: Die anregenden Fragen
aufzunehmen bedeutet nach meinem Dafürhalten nicht, sich über die
Unterschiede hinwegzutäuschen und damit die Gnade eines persönlich
ansprechenden Gottes gering zu schätzen. Doch zugleich muss
selbstkritisch anerkannt werden, dass die Annahme von Gottes
barmherziger Liebe als Grundlage unseres praktischen Lebens uns
oftmals auch nicht leicht fällt. Wie oft sind wir gnadenlos und
unbarmherzig, zunächst mit uns selbst, aber dann auch mit anderen?
Eventuell bietet die Beschäftigung mit
anderen Glaubensüberzeugungen ja dann auch diese Chance: sich wieder
neu auf die eigenen innersten Maßstäbe und Wertsetzungen zu
besinnen.
Oder durch die positive Würdigung des Anderen eine neue "Tiefenperspektive" zu gewinnen.
Neu-alte Tiefenperspektive. Reuterplatz, Neukölln, Berlin, 2016. |
1 G.
Schwikart, Tod und Trauer in den Weltreligionen. 2. Aufl. Kevelaer
2010, 66.
2 Einschränken
muss ich jedoch einerseits, dass mir tiefere als die grundlegenden
Kenntnisse bzgl. dieser Religionen fehlen und ich also nur vom
Prinzip ausgehen kann, während eventuelle Nebenformen und Ausnahmen
zu benennen ich nicht in der Lage bin; andererseits beziehe ich mich
auf wenige Quellen, denen ich wegen ersterer Einschränkung zu
trauen gezwungen bin, hoffentlich zu Recht.
3 R.J.
Blank, Auferstehung oder Reinkarnation? Mainz 1996, 58f.
4 F.-J.
Nocke, Eschatologie. In: Th. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik.
Band 2. 2. Aufl. Düsseldorf 2002, 377-478, hier: 471.
5 Ich
lehne mich hier an eine Aufzählung an, die sich findet in: F.-J.
Nocke, Ist die Idee der Reinkarnation vereinbar mit der christlichen
Hoffnung auf Auferstehung? In: H. Kochanek (Hg.), Reinkarnation oder
Auferstehung. Freiburg i.Br. u.a. 1992, 276ff.
6 F.-J.
Nocke, Eschatologie. a.a.O., 471.
7 Ebd.,
470.
8 F.
X. D' Sa, Auferstehung bei Christen und endgültige Befreiung bei
Hindus. In: Jesuiten. Informationen der Deutschen Provinz der
Jesuiten an ihre Freunde und Förderer. 1/2008. Tod und
Auferstehung, 9-11; hier: 11.