Für viele heutige Christen bedeutete
dies einen neuen Advent, eine Ankunft der katholischen Kirche in
der Gegenwart.
Aufblick wagen. Dornburg, 2015. |
"Lumen Gentium" –
Licht der Völker – heißt das Dokument, in dem es explizit um die
Kirche geht. Nicht die Kirche selbst aber bezeichnet sich als Licht,
sondern Jesus Christus; die Kirche strahlt lediglich wie
beispielsweise der Mond von der Sonne bestrahlt wird.
Gottes Leuchten aber kann sie auch bei
anderen Religionen entdecken – "Was sie nämlich an Gutem
und Wahrem bei ihnen findet, wird von der Kirche als Vorbereitung für
die Frohbotschaft und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen
erleuchtet, damit er schließlich das Leben habe." (LG 16)
Die anderen Religionen seien also als
Vorbereiterinnen, als Advent der Kirche wertzuschätzen.
Diese Aussage ist schon positiver als
viele andere Aussagen, die es im Lauf der Kirchengeschichte gab,
wenngleich die instrumentelle Funktion der anderen Religionen als
vorläufige Wegweiser sich mit deren Selbstverständnis nicht
decken kann.
Doch das Konzil geht noch weiter und
formuliert in der Erklärung "Nostra Aetate" über
das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen, dass Leben und
Lehre anderer Religionen auch dort, wo sie von ihrer eigenen
Glaubensüberzeugung abweichen, "nicht selten einen Strahl
jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet."
(NA 2)
Auch bei den Anderen können Christen
Wahres entdecken, sogar dann, wenn sie selber nicht daran glauben.
Darüber hinaus sollen sie „jene
geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen
Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.“
(NA 2)
Das ist eine einsame
Spitzenformulierung des interreligiösen Dialogs von christlicher
Seite, die auch heute selten eingeholt wird: Das, was andere an
Werten und Überzeugungen haben, die ich nicht teile, soll ich nicht
nur "anerkennen", sondern auch noch "wahren"
und sogar "fördern".
Eigentlich ungeheuerlich – nicht nur
mein Licht auf den Leuchter stellen, sondern auch das von Menschen
anderer Glaubensüberzeugungen!
Für den Islam formuliert Felix Specker
beispielhaft: Hochachtung für den Islam zu haben, bedeutet
keineswegs, "im Islam nur wertzuschätzen, was in genauer
Übereinstimmung mit dem Christentum steht. Im Gegenteil, die
kritische Unterscheidung erlaubt, Aussagen des islamischen Glaubens,
die dem Christentum durchaus kritisch entgegenstehen, mit Hochachtung
ernst zu nehmen. Zu nennen wäre zum Beispiel die koranische Kritik
bestimmter Trinitätsvorstellungen, der Zerstrittenheit des
Christentums oder des exklusiven Schriftbesitzes."1
In Zeiten von Fragen der Integration
von mehrheitlich muslimischen Flüchtlingen eine spannende Haltung –
ihr oft fremdes Wertgefüge auch noch zu fördern und nicht nur
zähneknirschend zu akzeptieren ist eine enorme Herausforderung.
(Ebenso wie die Unterscheidung, was achtenswert ist und was nicht,
denn selbstverständlich gilt das Wahren und Fördern nicht für
jede kulturelle oder religiöse Eigenheit oder Unfreiheiten fördernde
Überzeugungen, das muss nicht extra betont werden.)
Aber als Denkmöglichkeit anzunehmen,
dass das Fremde nicht nur toleriert, sondern auch gefördert werden
kann, ist für viele Menschen offensichtlich ein ungewohnter Gedanke.
Gerade dieser Gedanke aber kann im
Advent eine Offenheit für Gott befördern, denn Er will uns ja nicht
nur in den altbekannten, sondern auch in neuen ungewohnten Gestalten
begegnen.
Übertragen auf die persönliche
Situation können die Fragen der Reflexion dann lauten: Welche
Begegnungen mit anderen Menschen lassen mich leuchten? Wo kann ich
auch die Werte und das Leuchten anderer Menschen anerkennen? Wann
lasse ich Andere leuchten, auch wenn sie nicht meinem Weltbild
entsprechen?
Offenes Fenster, beleuchtet. Dornburg, 2015. |
1 F.
Specker, Hochachtung und Kritik. Das Verhältnis der katholischen
Kirche zum Islam heute. In: Herder-Korrespondenz Spezial 2/2015
"Religion unter Verdacht. Wohin entwickelt sich der Islam?",
16-20, hier 18.