Der zweite meiner Gedanken zu einem vor
kurzem angebotenen Oasentag für Lehrerinnen und Lehrer ist der
folgende:
Krypta
Grabung ins Dunkle. Rostock, 2015. |
Ein Beispiel, das der Kirchenhistoriker
Hubert Wolf in seinem Buch "Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte" anführt, sind Frauen mit
Bischofsvollmachten: In der Abtei Las Huelgas in Spanien gab es mit
ausdrücklicher päpstlicher Genehmigung eine 700 Jahre lange
Tradition, in der die Äbtissinnen seit dem hohen Mittelalter Rechte
für sich in Anspruch nahmen, die sonst Bischöfen vorbehalten waren.
Nicht nur, dass die amtierende Äbtissin
Mitra, Ring und Stab trug, sie vergab im Einzugsbereich ihrer Abtei
auch "alle kirchlichen Stellen, Benefizien und Pfründen, sie
hatte die Oberaufsicht über die Seelsorge, sie ernannte die Pfarrer
und Kapläne und setzte sie ab. Wie ein Bischof übertrug sie den
Geistlichen ihres Sprengels die Vollmacht zum Messelesen und die
Erlaubnis, in den Pfarreien und den der Abtei unterstellten Klöstern
zu predigen. ... Wie es sonst nur Bischöfe konnten, erteilte sie den
Beichtvätern die Vollmacht zur Lossprechung von Sünden. Ohne ihre
ausdrückliche Erlaubnis durfte kein fremder Priester auf dem Gebiet
der Abtei seelsorgerlich tätig werden."1
Und solche Traditionen gab es nicht nur
dort, sondern in mehr als 20 Frauenabteien!2
Was auch immer man von der praktischen
Wiederbelebung heute halten mag, so sind dies doch legitime
christliche Traditionen, die ins Dunkel gerutscht sind.
Übertragen könnte man sagen: In jedem
Menschen gibt es absichtlich oder unabsichtlich verschüttete
Talente, Wünsche oder Lebensträume, die einmal lebendig waren und
nun aus der Versenkung wieder ans Licht geholt werden könnten. Wie
im Advent kann ja auch im Leben der Einzelnen langsam, sozusagen
Kerze für Kerze, das Licht (neu) entfacht werden.
Die Frage zur persönlichen Reflexion
wird dann sein: Welche meiner Talente oder Wünsche möchte ich mal
neu ans Licht holen? Welche Jugendträume haben im Alltag keinen
Platz mehr gefunden und dämmern nun im Keller meines Lebens?
Auftauchen aus dem Untergrund. Mahnmal für die Opfer des Ostens, Warschau, 2015. |
1 H.
Wolf, Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte.
München 2015, 46.
2 Vgl.
ebd., 49. Wolf nennt u.a. Essen, Elten, Gandersheim, Quedlinburg,
Thorn, Regensburg, Andenne, Andlau, Mons, Nivelles, Aquileja,
Brescia, Brindisi, Kildare...