Die Frage nach den verschiedenen
Religionen und nach Gottes Plan mit ihnen beschäftigt mich derzeit
bei der Lektüre von Jacques Dupuis' Opus Magnum: "Unterwegs zu
einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus".
Gerade an Weihnachten beschäftigt mich auch, was Gott, wenn wir aus
christlich-theologischer Perspektive schauen, mit den Bekennern
dieser Religionen vorhat, im Sinne einer Theologie der Religionen,
die danach fragt, "welche Bedeutung die Pluralität des
lebendigen Glaubens und der religiösen Traditionen, die uns umgeben,
in Gottes Plan für die Menschheit hat."1
Genau hinschauen, Gutes erkennen. Lazienki-Park, Warschau, 2015. |
Das ist ein dorniges, konfliktreiches
und vieldeutiges Gelände, das in der Geschichte der Kirche sehr
unterschiedlich angegangen wurde.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich will
damit den universalen Anspruch des Christentums nicht aufgeben. Wohl
aber glaube ich, dass man angesichts des universalen Heilswillens
Gottes (vgl. Tit 2,11) und bei gleichzeitiger Anerkenntnis einer
Vielheit religiös praktizierter Wege um die Frage nicht herumkommt,
ob Gott nicht auch mit Menschen auf diesen Wegen in ihrer jeweiligen
Religiosität etwas vorhat und sich auf Wegen, die er allein kennt,
Gemeinschaft mit ihnen schafft.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat dies
im 20. Jahrhundert wieder neu aus der älteren Theologiegeschichte
hervorgeholt und dann formuliert, dass sich in anderen religiösen
Traditionen Elemente von "Gutem und Wahrem" (LG 16)
bzw. "Wahrheit und Gnade ... durch eine Art verborgener
Gegenwart Gottes" (AG 9) finden lassen. Diese Wertschätzung
anderer religiöser Traditionen ist eine Kehrtwende nach
jahrhundertelanger Abwertung und gesteht diesen religiöse
Wahrheitserkenntnis zu.
Für ihre innovativen Einlassungen
griffen die Bischöfe und Theologen zurück auf die
Logos-Christologie, die sich vornehmlich im Anschluss an das
Evangelium vom Weihnachtstag, den Johannesprolog (Joh 1,1-18),
ausformulierte.
Für einige Theologen der frühen
Kirche stellte sich die Aussage dieses Textes dann so dar: Wenn Gott
alles in seinem "Logos" geschaffen hat und alles durch den
"Logos" wurde, wenn dieser "Logos" allem
zugrundeliegt und uns schließlich in Christus als Mensch
entgegentritt, dann kann auch in diesem "Logos", das heißt
im Suchen der menschlichen Vernunft ("Logos") als Anteil am
göttlichen Wort ("Logos") Gott erkannt werden. Jegliche
logos-gemäße Erkenntnis ist folglich zugleich eine Erkenntnis in
Christus, der Gottes fleischgewordener "Logos" ist.
Um nur einen beispielhaft und
exemplarisch herauszugreifen – Justin der Märtyrer (+ 165)
schreibt in dieser Überzeugung: "Was auch immer die Denker
und Gesetzgeber jemals Treffliches gesagt haben, das ist von ihnen
nach dem Teilchen vom Logos, das ihnen zuteil geworden war, durch
Forschen und Anschauen mit Mühe erarbeitet worden. Da sie aber nicht
das Ganze des Logos, der Christus ist, erkannten, so sprachen sie oft
einander Widersprechendes aus."2
Für Justin also gilt: Wenn etwas wahr
ist, dann ist es logos-haft und damit aus der Wahrheit Christi. Die
vollkommene Wahrheit aber findet sich nach ihm nur in der Offenbarung
in Jesus Christus, dem menschgewordenen "Logos".
Dieser Jesus? Peter-und-Paul-Kirche, Marburg, 2015. |
Er kennt also eine "differenzierte
Teilhabe am Logos: Alle Menschen haben an ihm Anteil, doch während
andere ihn nur teilweise empfangen haben (apo
merous) sind wir, denen sich der Logos in der Inkarnation
offenbarte, mit seiner vollständigen Offenbarung gesegnet. In allen
Menschen kann ein Keim des Logos (sperma
tou logou) gefunden werden, denn der Logos-Sämann
(spermatikos logos)
sät in jedem. Doch nur uns wurde die Gesamtheit des Logos gezeigt."3
Natürlich kann dies nicht umstandslos
auf unsere heutige Situation und die Weltreligionen übertragen
werden. Aber das Konzil bedient sich einer ähnlichen Sprache und
sagt denen, die mit ihrem Leben ein christliches Zeugnis geben
wollen, sie könnten auch in anderen Religionen "Saatkörner
des Wortes aufspüren, die in ihnen verborgen sind." (AG
11). Die Christusgemäßheit kann sich also im Ansatz, im "Keim",
in einem "Strahl" in einer nichtchristlichen Religion
finden, das Gute und Wahre in den Religionen "wird von der
Kirche als Vorbereitung für die Frohbotschaft und als Gabe dessen
geschätzt, der jeden Menschen erleuchtet" (LG 16).
Kurzum: Es ist das Heil Christi, das
auch dort heilsam am Werk ist.
Wenn Menschen nun diesen Saatkörnern
gemäß ihre Berufung innerhalb ihrer jeweiligen Religion leben, kann
es dann nicht sein, dass Gott ihnen eben durch diese Keime ihr Heil
in ihrer Religion schenkt? Oder, mit Jacques Dupuis gefragt: "Werden
Andersgläubige in Jesus Christus innerhalb oder außerhalb ihrer
eigenen Religion erlöst, trotz oder – auf geheimnisvolle Art –
dank ihrer Religion? Welche positive Rolle, wenn überhaupt, spielen
die anderen Religionen dann im Mysterium des Heils ihrer Anhänger in
Jesus Christus? Können sie in letzter Konsequenz 'Mittel' oder
'Wege' des Heils genannt werden?"4
Ich kann und will diese Fragen
einstweilen nicht für mich und also auch nicht auf diesem Blog
beantworten, aber einiges deutet meines Erachtens nach darauf hin,
dass der Gott Jesu Christi Heil auch durch die anderen Religionen
wirkt.
Bei Karl Rahner heißt es über die
Haltung hinter diesem Fragen: "Früher
fragte die Theologie ängstlich, wie viele aus der „massa damnata"
der Weltgeschichte gerettet werden. Heute fragt man, ob man nicht
hoffen dürfe, daß alle gerettet werden. Eine solche Frage, eine
solche Haltung ist christlicher als die frühere und ist die Frucht
einer langen Reifungsgeschichte des christlichen Bewußtseins, das
sich langsam der letzten Grundbotschaft Jesu vom Sieg des Reiches
Gottes nähert."5
An Weihnachten hoffe ich, dass Gott
Menschen durch alle Religionen ansprechen kann, denn ich erkenne mit
meinem christlichen Glauben in dem Kind in der Krippe sein
liebevolles Wort an uns, seine ausgestreckte Hand und seine zärtliche
Nähe, die er auch Nichtchristen spüren lässt.
Ein Weg, viele Plakate. Aleje Ujazdowskie am Lazienki-Park. Warschau, 2015. |
1 J.
Dupuis, Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen
Pluralismus. Innsbruck 2010, 39.
2 Justin
der Märtyrer, 2 Apol. X, 3. zit. n. J. Dupuis, a.a.O., 98. (s.a.
https://www.unifr.ch/bkv/kapitel78-9.htm)
3 J.
Dupuis, a.a.O., 100.
4 Ebd.,
192.
5 K.
Rahner, Die bleibende Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils.
In: Stimmen
der Zeit 197 (1979),
795-806, hier 805.