Was trägt mein Leben und was kann ich
über äußere Erfolgsmerkmale hinaus tun, damit es auch im
wirklichen, inneren Sinne gelingt?
Das ist die Frage, um der es David
Foster Wallace vor nunmehr zehn Jahren bei seiner Abschlussrede vor
Absolventen des Kenyon College ging. Seine Ausführungen wurden unter
dem Titel "This is water" bzw. "Das hier ist
Wasser"1
veröffentlicht und verdienen es, auch als Adventsgedanken
aufgegriffen zu werden.
Das hier ist ein Wasserhahn. Weihnachtsmarkt, Potsdamer Platz, 2015. |
Denn das amerikanische
Selbstverwirklichungspathos mit seinem permanenten ökonomischen und
existenziellen Leistungs- und Erfolgsdruck wird hier konterkariert.
Es geht Wallace nicht um das Lob des gesellschaftlichen Fortkommens,
sondern um eher traditionell anmutende Werte.
Er beschreibt den Absolventen die
kommenden Routinen eines oft genug lähmend-frustrierend-ätzenden
Alltags in einem Mittelklasseleben, das in der Mühle täglicher
Wiederholungen beim überlebensnotwendigen Geldverdienen und
-ausgeben steckenbleibt und sich daran aufreibt.
Wirkliches Leben zu lernen beginnt für
Wallace damit, "dass ich ein bisschen Arroganz ablege, ein
bisschen 'kritisches Bewusstsein' für mich und meine Gewissheiten
entwickle".2
Die wichtigste Gewissheit, die er
ablegen helfen möchte, ist die tief verurzelte Überzeugung, selbst
der Mittelpunkt der Welt zu sein: "Wir denken selten über
diese natürliche, grundlegende Selbstzentriertheit nach, weil sie
sozial so abstoßend ist, aber im Grunde ist sie bei uns allen
gleich. Sie ist unsere Standardeinstellung, die mit der Geburt in
unseren psychischen Festplatten verdrahtet ist."3
Über diese Verwicklung in sich selbst hinaus zu gelangen zum "Leben in der Wahrheit" (wie
es Václav Havel nannte), ist für Wallace eine Entscheidung.
Ich kann mir bewusst werden, dass ich
in mich verstrickt bin und in Distanz gehen, meine Perspektive
weiten; gläubige Menschen würden sagen, ich kann die barmherzige
Perspektive Gottes einüben und meine Umwelt als seine Schöpfung
wertschätzen.
Ich muss dies nicht tun, Wallace will
es auch nicht moralisch anempfehlen oder vorschreiben, er bezieht
sich nicht auf einen religiösen Rahmen. Denn es ist die Erfahrung,
die zeigt, dass es mir hilft, meinen Alltag friedvoller zu erleben.
(Ob dieses Sich-selbst-Aufbrechen, dies
als kleine theologische Anfrage, wirklich unsere eigene
Entscheidensmöglichkeit ist, sei hier der religiösen Überzeugung
anheimgestellt.)
Alltagsschmutz. Berlin, 2014. |
Wallace selbst wird religiöse
expliziter, wenn es um die Götter
im eigenen Leben geht: "In den alltäglichen Grabenkämpfen
des Erwachsenendaseins gibt es keinen Atheismus. Es gibt keinen
Nichtglauben. Jeder betet etwas an. Aber wir können wählen, was
wir anbeten."4
Die materiellen und ideellen Götzen,
der eigene Körper, der Erfolg, all das, was viele Menschen de facto
anbeten, meint er, "frisst Sie bei lebendigem Leib auf."5
Denn hier findet kein Mensch Freiheit, sondern nur noch mehr
Unfreiheit.
Und das ist das Thema, auf das er zusteuert: Nicht die
Versklavung ans eigene Ich, nicht die Kniebeuge
vor den vielen Götzen unseres Lebens befreit uns Menschen. Formal
ist dies keine religiöse oder gar christliche Botschaft, material
aber an vielen Punkten übereinstimmend.
Nach dem Bisherigen wird schon fast
vorhersagbar, worauf Wallace stattdessen hinaus will:
"Die wirklich wichtige Freiheit
erfordert Aufmerksamkeit und Offenheit und Disziplin und Mühe und
die Empathie, andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für
sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen,
völlig unsexy, Tag für Tag.
Das ist wahre Freiheit.
Das heißt es Denken zu lernen."6
Und, so wäre aus christlicher Perspektive
hinzufügen:
Das ist der Advent des Menschen, die
Ankunft des wahren Menschseins, wie es sich für Gläubige in Jesus
Christus gezeigt hat. Wie es uns aufgegeben ist als christlicher
Alltag in Barmherzigkeit und Liebe.
Hervortreten des wahren Hauses. Warschau, 2015. |
2 Ebd.,
15.
3 Ebd.,
16.
4 Ebd.,
30.
5 Ebd.