Mittwoch, 18. Juni 2014

Auslieferung an Fronleichnam – Von der Incurvatio zur Traditio

Aus aktuellem Anlass ein Gedanke zu Fronleichnam, dem Hochfest der Eucharistie, des Abendmahls, des Leibes und Blutes Jesu Christi.

Mir scheint immer mehr, dass elementarer und zentraler Bestandteil sowohl mündig-verantwortlichen Menschseins als auch reifer Gottesbeziehung ein Prozess wechselseitigen "sich einander Auslieferns" ist.

Himmelwärts offen, Busbahnhof Jena, 2014.
Dies in der Weise, dass ein solcher Mensch mehr als sich selbst im Blick hat. Nicht für sich in erster Linie arbeitet, spart, rafft, plant und lebt, sondern auch für Andere. Dass er sich wenigstens teilweise aus der Hand zu geben bereit ist, sei es in eine Partnerschaft, ins Elternsein, in eine Ordensgemeinschaft oder sonst einen Dienst. Die Fähigkeit, sich jemandem anzuvertrauen, sich einander zu überlassen, Kontrolle abzugeben – ohne dabei verantwortungslos zu werden - , zu teilen. Kurz: "die geistige Entwicklung des Menschen ist eine Bewegung auf Selbsttranszendenz hin, eine Dynamik, über sich hinauszugehen."1

Es ist dies die Gegenbewegung zur "Incurvatio in seipsum", zur Verkrümmung in sich selbst, die nur sich sieht und sich darin abschließt.
Auch die Lebensbewegung Jesu geht eben aus sich heraus, in Richtung seiner Freunde und in Richtung des Vaters. Sein Schicksal führt freilich auch vor Augen, dass dies nicht ungefährlich und belanglos ist, sondern tatsächlich eine Auslieferung mit allen möglichen bedrohlichen Konsequenzen sein kann. Diese Konsequenzen können auch das Leben derer, die in der Nachfolge Jesu Christi gehen, prägen.

Nicht zufällig hat die Kirche die Ereignisse vor Ostern, also die Auslieferung an die Feinde und die freiwillige Lebenshingabe Jesu am Kreuz mit dem gleichen Wort bezeichnet wie die Weitergabe des Glaubens – "traditio".
"Frucht" dieser "traditio" ist das, was in der Eucharistie gefeiert wird – die heilvolle und lebensspendende Gegenwart des präsenten Gottessohnes durch die Zeiten. 

Verklammert gehaltene Wand, Rixdorf, Neukölln, Berlin, 2014.
Wenn "Tradition" in diesem Sinne als Lebensweitergabe bestimmt werden kann,2 dann muss sie als konstitutives Element auch Liebe beinhalten. Auch die menschliche Weitergabe des Lebens im sexuellen Akt ist schließlich, wenigstens dem Ideal nach, ein Liebesakt, ein Akt der Hingabe aneinander. Ganz ähnlich in den Exerzitien des Ignatius von Loyola: hier führt der geistliche Weg in die "Betrachtung zur Erlangung der Liebe", die sich aus Dankbarkeit speist und damit weiterführt in die "Selbstübergabe: Aufgrund der Erfahrung der Gabe wächst die befreite Hingabe, der Dienst."3

Reifer Glaube im Sinne Jesu würde dann bestehen in hingebungsvoller Liebe zu Gott, in der Offenheit für die Nächsten, im freimütigen Weitergeben (tradere) dessen, von dem jemand überzeugt ist.
Das scheint mir Grund zum Feiern an Fronleichnam: fruchtbare, liebevolle, lebensstiftende Auslieferung an den Anderen.


1   J. Maureder, Mensch werden – erfüllt leben. Würzburg 2007, 66. [Ignatianische Impulse 23]

2   Vgl. M. Seckler, Tradition als Überlieferung des Lebens. Eine fundamentaltheologische Besinnung. In: ThQ 4/1978, 256-267.


3   J. Maureder, a.a.O., 89.